Lehren aus der Corona-Krise

Qualität zahlt sich in Krisenzeiten besonders aus

Städte mit attraktiver Architektur wie Trier können punkten. Foto: BBE

Der Shutdown im März und April hat viele deutsche Innenstädte verändert und – zumindest vorübergehend – die Gewichte von den Großstädten in die kleineren, auf die Nahversorgung fokussierten Städte verlagert. Das spüren viele typische Innenstadt-Mieter aus dem Bereich Mode, die um Frequenz und Umsatz kämpfen. Die Corona-Pandemie beschleunigt den Veränderungsdruck in den Cities. Nach Beobachtung der BBE Handelsberatung ergeben sich daraus für viele Kommunen neue Erfahrungen und wichtige Lerneffekte.

„Eine leistungsfähige Nahversorgung war und bleibt der Stabilitätsanker“, konstatiert Jörg Lehnerdt, Niederlassungsleiter der BBE Handelsberatung Köln, zusammenfassend: „Vor allem in kleineren Innenstädten sind Lebensmittel- und Drogeriemärkte inzwischen die wichtigsten Frequenzbringer.“ Entscheidend ist aus Sicht des Experten, dass die Verkaufsflächen groß genug sind. Auch Andreas Grüß, Geschäftsführer bei der Lührmann-Gruppe, kann bestätigen, dass derzeit bei den Standorten in Kleinstädten eine vergleichsweise höhere Kundenfrequenz als in den Jahren zuvor zu verzeichnen ist. Diese Verschiebung der Kundenströme registrierte auch Nico Schröder, Geschäftsführer von Hystreet.com, die in vielen deutschen Städten Frequenzmessungen durchführt.

Ein gutes Beispiel für gelungene Stadtentwicklung zur Krisenbewältigung bietet laut Lehnerdt das nordrhein-westfälische Herdecke, das nach dem Verlust seines Hertie-Warenhauses den Bereich südlich der historischen Altstadt zu einem starken Nahversorgungsstandort ausbaute: „Nun gibt es Rewe, Edeka, Lidl und dm im Verbund mit guten Parkmöglichkeiten und dem „Mehrwert“ der kleinteiligen Innenstadt direkt daneben - nicht zu vergessen das Café Extrablatt mit Terrasse zu den Ruhr-Auen und das neue Wohnquartier nebenan.“ Vieles deutet aus seiner Sicht darauf hin, dass Herdecke die wichtige Umwandlung bereits hinter sich hat, die anderen Kleinstädten noch bevorsteht.

Aus Sicht von Lührmann-Geschäftsführer Grüß sind die Verantwortlichen in den Kleinstädten deshalb gut beraten, wenn sie die aktuelle Momentaufnahme der guten Stimmung „als Chance für eine Optimierung ihrer Verkaufskonzepte verstehen“ und den zurückkehrenden Kunden die Vorteile der regionalen Einkaufs- und Erlebnislandschaft deutlich machen.

Dabei sollten aus seiner Sicht nicht nur die Infrastrukturvorteile in den Vordergrund gerückt werden, sondern auch auf architektonische Reize in der Stadt, kulturelle Angebote und ein breit aufgestelltes Portfolio aus interessanten Anbietern gesetzt werden. Und dabei könnten die Städte auf das Gefühl vieler Bürger bauen, dass sie beim Einkauf vor Ort in diesen schwierigen Zeiten den regionalen Einzelhandel unterstützen.

Im Kontrast dazu sind die erfolgsverwöhnten Großstädte in der aktuellen Lage ins Hintertreffen geraten. Denn wenn es darum geht, weite Strecken für eine Shopping-Tour in der nächsten Großstadt auf sich zu nehmen, belasten die Einschränkungen im öffentlichen Leben und die Maskenpflicht die Kauflaune der Bundesbürger laut Lührmann doch stark. Das können auch die Kommunen an der immer noch unterdurchschnittlichen Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel ablesen.

Dass sich seit einigen Jahren verstärkt auch wieder Drogeriemarkt-Ketten und Lebensmittelanbieter in den Cities der Metropolen ansiedeln, dürfte auch hier zur besseren Durchmischung des Angebots beitragen. Zumal der Mode-Handel schwächelt. In Düsseldorf haben sich jüngst dm und Aldi im Souterrain des neuen innerstädtischen Shopping-Centers Kö-Bogens II, an der Einkaufsmeile Schadowstraße, eingemietet. Und Rewe ist mit seinem To-go-Konzept schon länger in den Top-Lagen unterwegs. Bei ihrem schwierigen Weg zurück in die Stadtzentren sind Lebensmittelhändler auch schon mal bereit, das Konzept an nicht ideal geschnittene Flächen anzupassen. Dass die Nahversorger laut JLL im ersten Halbjahr 2020 die Hauptstützen des Vermietungsmarkts waren, passt denn auch ins Bild.

Eine weitere wichtige Erkenntnis aus dem Shutdown ist laut BBE Handelsberatung Köln, dass sich „Qualität“ in Krisenzeiten besonders auszahlt: „Wer mit verlässlichem Service und persönlicher Ansprache Kundenvertrauen und -bindung aufgebaut hat, konnte auf die Loyalität der Stammkunden zählen und hat viel Zuspruch und Unterstützung erfahren,“ so Lehnerdt. Denn stationäre Einzelhändler etwa mit einer Multichannel-Strategie konnten auch während der Schließung mit ihren Kunden in Kontakt bleiben – und den Verkauf aufrechterhalten.

Online geht nicht zwingend zu Lasten der Cities

So konzipierte das Modehaus Gutbrod aus Freystadt während des Shutdowns sein Online-Konzept „Fashion at Home“. Dazu gehörte, dass sich die Kunden eine Fashion Box, also ein Paket aus verschiedenen Teilen, zusammenstellen lassen konnten. Eine Preisreduzierung von 10% gab es obendrauf. Nach den Worten von Geschäftsführer Julian Gutbrod gelang es dem Modeanbieter nach der Zwangsschließung sehr schnell das Online-Konzept zu starten und die ersten Bestellungen zu generieren – und vom wachsenden Interesse am Online-Kauf während des Shutdowns zu profitieren.

Die Frage, ob sich die vielerorts entstandenen lokalen Online-Plattformen auf Dauer tragen werden, bleibt aus Sicht der BBE Handelsberatung zunächst noch offen. Denn mit den Lockerungsmaßnahmen haben sich die Gewichte wieder etwas verschoben. Zwar profitiert „Online“ nach Erkenntnis des Handelsberaters von der aktuellen Lage, „aber nicht unbedingt zu Lasten der Innenstädte“. Die stärkere Verlagerung des Einkaufs während der Lockdown-Phase ins Internet habe den Kunden deutlich gemacht, was ihnen gemessen am Einkaufsbummel in der realen Einkaufsstadt fehle.

„Am liebsten möchten sie nun das stationäre Einkaufserlebnis zurückhaben, ohne auf die Auswahl und den Komfort des Online-Handels verzichten zu müssen“, glaubt Lehnerdt. Daraus leitet sich für Einkaufsstandorte, die zukunftsfähig bleiben wollen, die Notwendigkeit ab, beiden Ansprüchen gleichermaßen genügen zu müssen. Das kann beispielsweise über die Verlängerung der Ladentheke durch das Internet geschehen. Wobei die Loyalität der Kunden immer eine wichtige Rolle spielt.

Die Mittelstadt Elmshorn, nordwestlich von Hamburg, hat es anders gemacht als die Städte, die mit relativ wenigen nicht wirklich repräsentativen Anbietern unter einem Online-Portal den Eindruck vermitteln wollen, man könne dort allumfassend shoppen. Stattdessen hat die Stadt eine interaktive Karte konzipiert – den City Online Guide – der Orientierung und Übersicht gibt und zum (stationären) Einkauf motiviert.

Leer stehende Kaufhäuser werden zu Schicksalsfrage

Zur Schicksalsfrage für die betroffenen Innenstädte werden laut BBE - nach den Schäden durch die Zwangsschließungen - schwächelnde Shopping-Center und leerstehende Kaufhäuser, die durch den Frequenzverlust auch das Geschäft der Nachbarn beeinträchtigen. Bei der Neupositionierung solcher prominenter Innenstadtimmobilien sieht Lehnerdt die Lösung in der Ergänzung des Einzelhandelsangebots durch andere Nutzungsarten. Das Stichwort heißt: „Mixed-Use-Quartiersentwicklung“ – wobei auch über das eigene Grundstück hinausgedacht werden sollte.

Dass in Großstädten Einzelhandelsflächen in den oberen Etagen in Büros umgewandelt werden könnten, wird schon länger diskutiert. In Zeiten von „Homeoffice“ und den guten Erfahrungen damit, stellt sich aber die Frage, wie viel Büroflächen hierzulande letztlich gebraucht werden. Und bei Warenhäusern oder schwächelnden Shopping-Centern, die geschlossenen Fonds gehören, bleibt die Frage, ob das Geld für umfangreiche Neupositionierungen – neben den Renditen für die Anleger – eingeplant wurde. In vielen Fällen wohl eher nicht.

Vorbildlich gelang es laut Lehnerdt der Stadt Singenam Hohentwiel mit ihren etwa 47 000 Einwohnern in der Nähe der Schweizer Grenze das Problem Warenhaus und Innenstadt zu lösen. Mit Hilfe von Unterschriftenaktionen durch die Mitarbeiter, der großen Unterstützung der Stadt und des Vermieters (BTH Anlagenverwaltung GmbH & Co. KG) sowie harten Verhandlungen mit Galeria Karstadt Kaufhof ist es hier gelungen, die Schließung von Karstadt abzuwenden. Ergänzt wird das Einzelhandelsangebot ab Herbst durch die Eröffnung des neuen ECE-Shopping-Centers Cano (16 000 qm) direkt gegenüber.

Zu den weiteren wichtigen Erkenntnissen der Corona-Krise gehört auch, dass „Gastronomie doch nicht das neue Textil“ ist, wie Lehnerdt mit Blick darauf feststellt, dass die Branche schwer unter den Abstands- und Hygieneauflagen leidet und um ihre Existenz kämpft. Das dürfte sich während der Winterzeit, wenn die Außenbestuhlung wegfällt, verschärfen. Die Branche falle wohl „als Nachfolgenutzung aufgegebener Fashionanbieter weitgehend aus“.

Die Quintessenz aus sechs Monaten Einzelhandel und innerstädtische Entwicklung in Zeiten von Corona-Krise lautet, dass attraktive Einkaufsmöglichkeiten zweifellos wichtig bleiben, aber doch an Bedeutung verlieren. „Gewinner der Zukunft werden wohl Innenstädte sein, die verstärkt auf städtebauliche Qualität wie Plätze, Boulevards, historische Gebäude, Wohnen und im besten Fall auch Kultur- und Freizeitangebote setzen“, glaubt Lehnerdt. Dass dabei Universitätsstädte und touristische Destinationen ohnehin im Vorteil sind, zeigen viele Beispiele.

Wie auch die Stadt Regensburg, die es bedingt durch ihre oberzentrale Funktion und die ausgeprägte Solitärlage auf ein Einzugsgebiet von 700 000 Einwohnern bringt. Sie profitiert mit ihrer einmaligen Altstadt, die zum Weltkulturerbe gehört, laut Lehnerdt schon lange nicht mehr nur vom Einzelhandel allein, sondern ist mit Gastronomie, Kultur und Universität breiter aufgestellt. Die beiden Shopping-Center „Donau-Einkaufszentrum“ und die „Regensburg Arcaden“ wurden aus Platzgründen ohnehin außerhalb der City angesiedelt. Damit kann sich die Stadt auch in Corona-Zeiten noch gut behaupten – auch wenn sich internationale Touristen derzeit rarmachen.

„Wer aber lediglich eine in die Jahre gekommene Fußgängerzone und beim Handel nur Standard bietet, wird zunehmend ins Abseits geraten“, fürchtet der Experte, wenn er nicht gegensteuert. Deshalb setzt sich die Stadt Hamm in Westfalen mit einem Innenstadt-Handel, der in der Defensive ist, schon seit Jahren proaktiv mit ihrer Zukunft als Einkaufsdestination auseinander. Laut Lehnerdt wurde das Bahnhofsquartier, das einen Magneten nach dem anderen verloren hat, im städtebaulichen Rahmenplan neu gedacht und der Einzelhandel wird ergänzt durch eine Hochschule, die städtische Volkshochschule und die Stadtbibliothek. Das ist ein wichtiger Anfang.