Einzelhandel in Europa

Preissteigerungen dämpfen die Kauflaune

Im europäischen Einzelhandel liegen Licht und Schatten derzeit eng beieinander. Nach den mageren Jahren der Pandemie ist die Kaufkraft in den 27 Ländern der Europäischen Union (EU) 2022 um 6,1% auf 18 468 Euro pro Kopf und Jahr bzw. 8,3 Billionen Euro gestiegen. Und auch der Einzelhandel verzeichnete laut GfK ein stattliches Plus von 6,5% auf 2,83 Billionen Euro. In den osteuropäischen Ländern lag das Wachstum sogar bei 9%. Doch bei einer Inflationsrate von durchschnittlich 9,2% im vergangenen Jahr sackten Kaufkraft und Einzelhandelsumsatz real unter das Vorjahresniveau. Und die Verbraucher zeigen sich sehr preissensibel.

„Der europäische Einzelhandel erlebt seit Beginn der Corona-Pandemie eine Krise nach der anderen“, fasst Philipp Willroth,Studienleiter Geomarketing bei der GfK, im Vorwort der Studie „Einzelhandel Europa 2022 und 2023“ die Lage zusammen. Nach dem Ausklingen der Pandemie blieb den Europäern wenig Zeit zum Entspannen, bevor mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine die Probleme bei der Energiebeschaffung, die Inflation in allen Lebensbereichen und die Lieferengpässe für Verunsicherung in der Wirtschaft, im Einzelhandel und bei den Verbrauchern sorgten. Hinzu kommt, dass die Dauer und der Ausgang des Krieges aus heutiger Sicht völlig offen sind.

So fasst die Studie die konträre Lage unter der Headline zusammen: „Hohe Inflationsraten lassen Einzelhandelsumsätze in der EU erneut steigen, auch wenn die Kaufzurückhaltung hoch bleibt“. Der Umsatzzuwachs war allein vom Anstieg der Verbraucherpreise für die Güter des täglichen Bedarfs getrieben.

Laut Studienleiter Willroth sind die „Preissteigerungen“ denn auch das allgegenwärtige Gesprächsthema und die Konsumenten reagieren darauf mit einer erhöhten Preissensibilität. Viele wechseln von Herstellermarken zu günstigeren Handelsmarken und auch Kaufzurückhaltung bei Gütern des mittel- und langfristigen Bedarfs ist zu beobachten.

Ablesen lässt sich die Zurückhaltung daran, dass laut Studie der Anteil des Einzelhandelsumsatzes am privaten Konsum in den 27 EU-Staaten erstmals seit Jahren gesunken ist – und zwar um 4,6% auf 34,2% – obwohl der Einzelhandelsumsatz im Vorjahr deutlich zugelegt hatte und obwohl die Einkaufslust nach Aufhebung der Corona-bedingten Restriktionen zurückgekehrt war und wieder mehr Touristen in den Einkaufsstraßen europäischer Städte unterwegs waren. Die Frequenz in den Innenstädten nähert sich laut GfK wieder dem Vor-Corona-Niveau. Doch der Konsum werde vor allem durch die hohe Inflation und die hohen Energiepreise gedämpft.

Über Lohnsteigerungen kann dieser Kaufkraftverlust aber so schnell auch nicht ausgeglichen werden. Denn während laut Studie für 2023 europaweit eine Inflationsrate von 6,7% erwartet wird, liegen die Erwartungen bei den Lohnsteigerungen im Schnitt bei 5,9%. Mit Blick auf die immer noch hohe Inflation und die Sorge vor hohem Preisdruck weisen die GfK-Forscher aber auf den Unterschied zwischen der aktuellen Lage und einer klassischen Lohn-Preis-Spirale hin, die dadurch gekennzeichnet ist, dass wachsende Lohnkosten die Produktionskosten steigen lassen, während aktuell die Löhne als Folge der Inflation zulegen.

Lohnsteigerungen gleichen Kaufkraftverlust kaum aus

So weit die europäische Durchschnittsbetrachtung. Tatsächlich sind die Unterschiede – beispielsweise bei der Kaufkraft – unter den 27 europäischen Ländern erheblich und reichen von 37 015 Euro pro Kopf in Luxemburg an der Spitze – das ist mehr als das Doppelte des EU-Durchschnitts – bis zu 6 667 Euro in Bulgarien am Ende der EU-Liste. Daneben bilden noch Ungarn und Rumänien das SchlussfeldDeutschland steht mit 24 631 Euro auf Platz drei, hinter Dänemark und vor Österreich.

Die Kaufkraft umfasst die Mittel, die den Hauhalten für Essen, Wohnen, Dienstleistungen, Energiekosten, private Altersvorsorge, Versicherungen, Urlaub oder auch Mobilität zur Verfügung steht. Transferleistungen wie Renten oder Arbeitslosengeld werden mit eingerechnet. Die Länder der Top-10-Liste liegen laut GfK um 20 bis 67% über dem Durchschnitt. Den zehnten Platz belegt Frankreich mit einem Durchschnittswert von 21 942 Euro. Der Kontrast ist aber nicht nur unter den einzelnen EU-Ländern sehr groß, sondern auch in den Ländern selbst erheblich.

Auch der Blick auf die Entwicklung des Einzelhandels in der EU nach dem Abflauen der Pandemie zeigt große Unterschiede. Während vor allem in den skandinavischen Ländern eine durchweg starke Kaufzurückhaltung zu spüren ist, ist der Einzelhandelsumsatz – wie bereits oben erwähnt – in den osteuropäischen Ländern mit einem Plus von durchschnittlich 9% deutlich höher. Am höchsten fiel das Plus laut Studie mit +23% in der Slowakei aus.

Neben den erheblich gestiegenen Preisen für Lebensmittel führen die Forscher dieses Wachstum auch auf die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine zurück. So springt beispielsweise der hohe Zuwachs beim Lebensmittelumsatz in Polen ins Auge. Im Norden der EU verzeichnete dagegen Finnland nur ein Wachstum von 3%, Norwegen von 0,3%, Dänemark von 0,5% und in Schweden ging der Einzelhandelsumsatz sogar um 1% zurück. Hier wurde, genauso wie in Dänemark, vor allem bei Nonfood-Gütern gespart. In Deutschland wuchs der Umsatz moderat um 1%.

Im ersten Halbjahr 2023 blieb der Einzelhandelsumsatz hierzulande nach den vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes real um 4,5% unter dem Vorjahreswert, nominal legten die Erlöse dagegen um 3,6% zu. Besonders drastisch zeigen sich hierzulande in diesem Zeitraum die Folgen der hohen Inflation bei Lebensmitteln. Hier stieg der Umsatz nominal um 7,6% und lag real immer noch um 5,8% unter dem Vorjahreswert. Beim Nonfood-Handel gingen die Erlöse real um 3,6% zurück und lagen nominal mit 1,1% noch leicht im Plus.

Wieder mehr Einkäufe beim entspannten Bummeln

Unterschiede ermittelte GfK auch bei der Ausgabenstruktur. So springt ins Auge, dass in West- und Zentraleuropa die Umsätze im Nonfood-Handel stärker gewachsen sind als im Lebensmittelhandel. „Endlich war es nach den Corona-Einschränkungen und dem bequemen, aber nicht immer reizvollen virtuellen Einkaufserlebnis der Online-Shops wieder möglich, Einkäufe beim entspannten Bummeln vor Ort zu tätigen“, heißt es dazu in der Studie: In diesem Kontext legten die Umsätze im Nonfood-Handel im Schnitt der 27 EU-Länder um 6,8% zu, wovon vor allem der Bekleidungseinzelhandel profitiert.

Hier dürften zwei Aspekte eine Rolle spielen. Zum einen, dass durch die Abschaffung der Restriktionen der Einkauf wieder erleichtert wurde und zum andern, dass es dadurch auch wieder mehr berufliche und private Anlässe gab, sich neue Bekleidung zu kaufen. Besonders stark fiel die Umsatzsteigerung im Nonfood-Handel etwa in Österreich, in Irland und Portugal sowie außerhalb der EU in der Schweiz, Großbritannien und der Türkei aus. Moderater war das Plus in Spanien, Frankreich und Griechenland.

Der Lebensmittelhandel lag im Schnitt der EU-27-Länder mit einem Zuwachs von 6,9% in einer ähnlichen Größenordnung wie der Nonfood-Umsatz. Allerdings mit dem regionalen Unterschied, dass die Erlöse in den Ländern Osteuropas die Wachstumsraten im Nonfood-Segment laut Studie teils um ein Vielfaches übertrafen und deutlich über dem EU-Durchschnittswert lagen. Das gilt vor allem für die Slowakei mit 38%. Grund für das hohe Umsatzwachstum waren in den betroffenen Ländern vor allem die hohen Preise, die durch Lieferengpässe und steigende Rohstoffkosten inflationär getrieben wurden. Mit Blick auf die sich langsam abflachende Inflation – in der EU lag sie zuletzt bei 5,3% – geben die GfK-Forscher für die Zukunft und das Einzelhandelsjahr 2023 eine leicht positive Prognose ab.

Nachdem sich der Online-Handel während der Pandemie auch auf europäischer Ebene sehr dynamisch entwickelt hat, sind die Forscher auch der Frage nachgegangen, inwieweit die Verbraucher wieder in die Einkaufsstraßen zurückgekehrt sind, oder ob der Internethandel seine Marktposition noch weiter ausbauen konnte. Die Antwort fällt eindeutig aus:“ 2022 hat sich gezeigt, dass die Konsumenten wieder verstärkt den lokalen Einzelhandel aufgesucht haben“, heißt es in der Studie: „Anstatt Schuhe und Kleidung in mehreren Größen zu bestellen und wieder zurücksenden zu müssen, gab es wieder die Möglichkeit, sie im Laden anprobieren zu können, sich beim neuen Outfit beraten zu lassen oder einfach durch die Läden zu schlendern.“

So gingen die Ausgaben im Online-Handel laut Studie in einigen wenigen Ländern wie Schweden und Dänemark – gemessen an den Pandemie-Jahren – etwas zurück. Auch in Deutschland verzeichnete der Versand- und Internet-Handel nach den vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes im ersten Halbjahr 2023 nominal und real einen Erlösrückgang, während der Einzelhandel in Verkaufsräumen zumindest nominal noch im Plus lag. Andere Länder verzeichneten beim Online-Handel laut Studie ein abgeschwächtes Wachstum. Auch bei Produkten aus dem Technologiebereich ging nach dem Ende der Pandemie der Online-Kauf etwa zurück, allerdings blieb der Marktanteil des Online-Handels in diesem Segment über dem Niveau der Vor-Corona-Zeit.

Dass der Anteil des Einzelhandels am privaten Konsum im EU-Durchschnitt 2022 um 4,6% auf 34,2% zurückging, führen die Forscher darauf zurück, dass die Bürger mehr Geld für Energie ausgeben und Rücklagen für die nächste Rechnung bilden mussten: „Mehr als 50% der Konsumenten sorgten sich, dass die bereits erhöhten Ausgaben für Strom, Gas, Heizöl und Kraftstoffe weiter steigen würden und gaben an, dass dadurch ihr bisheriges Einkaufsverhalten beeinflusst würde“, heißt es. Beim Blick in die Zukunft zeigen sich die GfK-Forscher zuversichtlich, dass die Konsumlaune der Europäer mit den abflachenden Teuerungsraten wieder steigt.