Vitale Innenstädte 2022

Online-Shopper kehren vermehrt zurück

Viel Grün und gute Erreichbarkeit. Foto: R. Vierbuchen

Seit den Zwangsschließungen zur Pandemie-Bekämpfung hat die Diskussion unter den Experten über die richtige Mischung für eine belebte Innenstadt Fahrt aufgenommen. Wie die Bundesbürger auf dieses Thema blicken und wie sie ihre Städte bewerten, hat das IFH Köln in seiner jüngsten Studie „Vitale Innenstädte 2022“ zwischen Mitte September und Mitte November des Vorjahres im Rahmen von fast 69 000 persönlichen Interviews mit Menschen aller Altersklassen in 111 deutschen Städten ermittelt.

Dabei zeigte sich in der fünften Befragung des IFH Köln seit 2014 zum Thema „Vitale Innenstädte“, dass die bisherigen Aktivitäten von Städten, Gemeinden und anderen Innenstadtakturen, erste Früchte tragen. Vergaben die Teilnehmer der Befragungen über alle Städtegrößen hinweg im Jahr 2016 noch die durchschnittliche Schulnote 2,7, was einer „drei plus“ entspricht, so war es im vergangenen Herbst eine 2,5, was einer „zwei minus“ entspricht.

Erfreulich ist zudem, dass sich die Zahl der Besucher nach den Corona-bedingten Einbrüchen 2020 und 2021 sowie dem dynamischen Anstieg der Online-Bestellungen im vergangenen Herbst wieder erholt hat, auch wenn noch Luft zum Vor-Corona-Niveau von 2019 bleibt. Nach den Entbehrungen durch die Pandemie ist die Wertschätzung für den stationären Einzelhandel laut Studie wieder gestiegen.

Zudem ergab die Umfrage, dass auch die Online-Shopper wieder in die Stadtzentren zurückkehren – auch wenn sie die Innenstädte zum Einkaufen seltener besuchen, was ein Ansporn für die Akteure sein muss, die Aufwertung der Innenstädte im Sinne der Besucher voranzutreiben. Zumal die Umfrage ergab, dass Personen, die verstärkt im Internet einkaufen, das „innerstädtische Einzelhandelsangebot in fast allen Bereichen schlechter“ bewerten als andere. Hier dürfte nicht selten die Vielfalt des Internets fehlen.

Unterstützt wurde die IFH-Studie auf Seiten der Städte und Gemeinden von der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e. V. (BCSD), dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), dem Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB), dem Handelsverband Deutschland (HDE) und weiteren lokalen Partnern.

Aus Sicht von Jürgen Block, Geschäftsführer des BCSD zeigen die aktuellen Umfrageergebnisse, „dass die häufig skizzierten Untergangsszenarien mit Blick auf die deutschen Innenstädte“ wohl überzeichnet waren: „Im Gegenteil, bei allen erkennbaren Herausforderungen für die Zentren, ist das Ansehen und die Attraktivität der Städte über die Jahre leicht gestiegen.“ Und damit dieser Aufwärtstrend anhält, will das City- und Stadtmarketing nach Blocks Worten auch in Zukunft seine „Transformationskompetenz“ einbringen.

Erfreulich für den innerstädtischen Einzelhandel im Allgemeinen ist, dass Einkaufen und Einkaufsbummel mit 60% der Nennungen (2020: 61%) das Besuchsmotiv Nummer eins für die Innenstädte bleiben. Der Blick auf die Altersklassen zeigt allerdings, dass die Anziehungskraft des Einzelhandels auf die jüngere Generation (bis 25 Jahre) mit 50% der Nennungen geringer ist als auf die Best Ager (26 - 50 Jahre) mit 60% der Nennungen und die Über-51-Jährigen mit 64% der Nennungen.

Dieser Unterschied lässt sich auch daran ablesen, dass die jüngeren Zielgruppen das innerstädtische Einzelhandelsangebot über die meisten Branchen hinweg laut Studie kritischer bewerten. Das eröffnet Chancen, über neue Konzepte und Angebote nachzudenken. Allerdings gilt es bei der jüngeren Generation auch zu bedenken, dass sie in der Regel noch ein sehr begrenztes Budget zur Verfügung hat und noch keine Einkäufe für eine ganze Familie mit Kindern erledigen muss.

Der Individualverkehr spielt eine wichtige Rolle

Zu den wesentlichen Veränderungen nach Corona gehört auch, dass die Gastronomie am stärksten als Besuchsmotiv für den Innenstadtbesuch zulegen konnte. Gegenüber 2020 ist der Anteil von 26% der Nennungen auf 35% gestiegen. Vor allem die Best Ager (36%) können einem Restaurant- oder Café-Besuch viel abgewinnen. Bei den Älteren liegt der Anteil mit 35% auf einem ähnlichen Niveau und bei der jungen Generation bei 32%.

Dass vor allem für auswärtige Besucher (41%) das Gastronomieangebot einer Innenstadt wichtiger ist als für die lokale Bevölkerung (31%) liegt allerdings auf der Hand. Das eröffnet Städten aber auch die Chance, mehr Gastronomie zu bieten, um eine größere Magnetwirkung auf das Umland zu entfalten. Voraussetzung ist freilich, dass die Menschen aus der Umgebung auch bequem in die Stadt kommen können, wenn sie nicht direkt an der S-Bahn-Linie wohnen. Der motorisierte Individualverkehr gilt vor diesem Hintergrund für viele Bundesbürger als Top-Anreisemittel – trotz der schlechten Benotung mit Blick auf Energiekrise und Klimawandel.

So reist über alle Städtegrößen hinweg der größte Teil der Besucher (43%) mit dem Pkw oder dem Motorrad an. Ein kleiner Lichtblick: 2020 lag der Anteil mit 45% noch etwas höher. Mit Abflauen der Pandemie fahren aber auch wieder mehr Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln (22% nach 18%) – vor allem in den Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnern ist der Anteil von 46% (2020) auf 52% gestiegen.

In den Städten unter 500 000 Einwohnern bleibt der Individualverkehr dagegen – mehr oder weniger stark ausgeprägt – das wichtigste Verkehrsmittel. Entsprechend sind stadtnahe Parkplätze elementar für die Erreichbarkeit und die Qualität der Cities. Andernfalls besteht die Gefahr, dass viele ins Internet abwandern. Mit dem Fahrrad kommen im Durchschnitt 15% der Befragten in die Stadtzentren, wobei der Anteil in den Städten bis 50 000 Einwohner mit 24% am höchsten ist und in den Metropolen mit 8% am niedrigsten.

Obwohl sich die Benotung für die Städte etwas verbessert hat, ergab die Befragung dennoch, dass die Aufenthaltsqualität, das Ambiente und das Flair in den Stadtzentren immer noch weiter ausbaufähig sind. Vor allem beim „Erlebniswert“ und der „Stadtbegrünung“ sahen die Befragten noch Nachholbedarf. Mit einer Note von 2,4 oder „zwei minus“ blieb der Wert gegenüber 2020 unverändert. Lediglich die Großstädte mit mehr als 500 000 Einwohnern und Städte mit 100 000 bis 200 000 Einwohnern verbesserten sich von 2,4 auf 2,3. Das ist aber noch nicht gut.

Aufenthaltsqualität, Ambiente und Flair sehr gefragt

Zusammengefasst sollen die Innenstädte auf Wunsch der Befragten laut IFH-Studie ein Begegnungsort sein und zum Verweilen einladen (45%), aber Einzelhandelsangebote (43%) sowie Kunst- und Kultur (36%) und eben auch Gastronomie (35%) bieten aus Sicht der Befragten „wichtige Ansatzpunkte, um Städte attraktiver zu gestalten“.

Interessant ist deshalb auch der Blick auf die Beurteilung der innerstädtischen Einzelhandelssortimente, die über alle Altersgruppen hinweg in der Bandbreite von 2,0, also „gut“ für Anbieter von Körperpflege, Kosmetik und Drogerie bis zu jeweils 2,8 oder „drei plus“ für Angebote in den Bereichen Elektro/Computer/Foto/Telefon sowie Wohnen/Einrichten und Deko-Artikel benotet werden.

Dabei werden die Angebote von Bekleidung, Schuhen und Lederwaren, Uhren und Schmuck sowie Lebensmitteln mit der Durchschnittsnote 2,4 bewertet. Bücher stehen mit 2,3 etwas besser und Angebote wie Büro und Schreibwaren mit 2,6 sowie Sport, Spiel, Hobby und Basteln mit 2,7 etwas schlechter da. Wie oben bereits erwähnt, bewerten die unter-25-Jährigen die Angebote von Bekleidung, Schuhen und Lederwaren mit jeweils 2,6 sowie Uhren und Schmuck mit 2,5 und Elektro/Computer/Foto/Telefon sowie Wohnen/Einrichten/Deko mit jeweils 2,9 etwas schlechter als die älteren Generationen.

Weil „Empfehlungen ein wichtiges Tor für Entscheidungen“ ist, sollten sich Städte und ihre Wirtschaftsakteure nach den Worten von Ulrike Regele, Referatsleiterin Handel von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), in der heutigen Zeit intensiv mit diesem Thema befassen: „Aktive Aufforderung zur Bewertung auf Plattformen, mehr Instagrammability, aber auch Blogger-Kooperationen oder eine Weiterempfehlungskultur untereinander bringen dann nicht nur mehr Besucher, sondern auch Impulse für mehr „Miteinander“ und Identifikation in und mit der eigenen Stadt."

„Empfehlungen sind ein wichtiges Tor für Entscheidungen“

Im Kontrast dazu ergab die IFH-Befragung, dass die Mehrzahl der deutschen Städte in punkto Weiterempfehlung schlecht abschneidet. Nur jede vierte Stadt (24%) verzeichnet für ihre Innenstadt eine hohe Weiterempfehlungsrate, wobei Ältere hier aktiver sind als Jüngere. Wichtig für die Weiterempfehlung sind die Aufenthaltsqualität einer Stadt, ihr Ambiente und ihr Flair, die Stadtgestaltung und ihre touristische Attraktivität und schließlich der Erlebniswert sowie das Einzelhandelsangebot.

Nach den Worten von Markus Preißner, wissenschaftlicher Leiter am IFH Köln, gilt es, diese Einflussfaktoren konsequent in den Blick zu nehmen und entsprechende Maßnahmen abzuleiten. Für eine lebendige Innenstadt gelte es Besuchsanlässe für alle Altersklassen und Besuchergruppen zu schaffen – sowohl für die lokale Bevölkerung als auch für Auswärtige.

Für Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des HDE, folgt aus der niedrige Weiterempfehlungsrate bei Innenstädten, dass mehr und zielgenauere Maßnahmen für attraktive Innenstädte erforderlich sind, wobei aus seiner Sicht die Zeit drängt. Deshalb setzt er sich dafür ein, dass die in den Ministerien verteilten Kompetenzen zur Innenstadtentwicklung gebündelt und eine für die Innenstadtentwicklung verantwortliche BundesstiftungAllianz für Innenstädte e.V.“ aufgebaut werden sollte. Diese wäre der Garant, dass die Mittel punktgenau verwendet werden. Genth beziffert das Volumen für die nächsten fünf Jahre mit 500 Mio. Euro.