Das Interview

Leichtes Mietpreiswachstum ab 2025

Roman Müller Foto: Union Investment

Zwischen wachsendem Online-Handel, Inflation und gestörten Lieferketten: Wie entwickeln sich die Märkte für Einzelhandelsimmobilien? Ein Gespräch mit Roman Müller, Senior Investment Manager Retail bei Union Investment, über Mieten und Renditen. 

Handelsimmobilien Report: Erst die Corona-Pandemie, dann Rohstoffknappheit, eine hohe Inflation inklusive steigender Energiekosten: Wie haben die europäischen Einzelhandelsmärkte diese Gemengelage bisher verdaut?

Roman Müller: Die europäischen Einzelhandelsmärkte haben die direkten und indirekten Belastungen aus den Preissteigerungen infolge von Rohstoffknappheit und gestiegenen Energiekosten, verstärkt durch den andauernden Krieg in der Ukraine, weitestgehend aufgefangen. Das belegt auch der von Union Investment und GfK ermittelte Global Retail Attractiveness Index, kurz GRAI: Bei sechs der 15 EU-Länder im Index zeigt der Trendpfeil im ersten Quartal 2023 nach oben - verglichen mit dem ersten Quartal 2022.

Bei den anderen Ländern fallen die Einbußen, abgesehen von wenigen Ausnahmen in den Nordics, moderat aus. Die durch die Bank weg positiven Entwicklungen auf den europäischen Arbeitsmärkten und die seit langer Zeit wieder in allen 15 Ländern steigenden Einzelhandelsumsätze deuten auf eine Erholung und perspektivische Rückkehr der Märkte auf das Niveau vor der Pandemie hin.

HIR: Wie erklären Sie sich die große Diskrepanz zwischen einem einerseits stark negativen Sentiment bei Konsumenten und Händlern und andererseits positiven Arbeitsmarktdaten und steigenden Umsätzen im Handel?

Müller: Im Einzelhandel wird sich die Zweiteilung des Marktes in stationären und Online-Handel noch eine Weile fortsetzen. Aktuell ist, wie gesagt, eine deutliche Belebung der Frequenzen und Umsätze zu beobachten, aber der stationäre Einzelhandel muss sich nach wie vor den Herausforderungen des zunehmenden Onlinehandels stellen, was auf die Stimmung vieler Händler drückt und das negative Sentiment erklärt. Bei den Konsumenten wiederum macht sich die gestiegene Inflation bemerkbar. Viele schnallen den Gürtel enger. Aufgrund der gestiegenen Preise wirkt sich das aber aktuell nicht auf die realen Einzelhandelsumsätze aus.

HIR: Wie entwickeln sich die Spitzenmieten an den europäischen Einzelhandelsimmobilienmärkten in den kommenden ein bis zwei Jahren?

Müller: In den europäischen Metropolen haben die Einzelhandelsspitzenmieten in den zurückliegenden zwölf Monaten eine Seitwärtsbewegung gemacht. In den Jahren 2024 und 2025 wird europaweit mit einer allmählichen Normalisierung der Konsumausgaben gerechnet, sodass sich auch die Mietpreise moderat steigern dürften. 

HIR: Und in Deutschland?

Müller: Das Vertrauen der deutschen Verbraucher hatte sich vor dem Hintergrund der hohen Inflationsrate eingetrübt und erholt sich nur langsam wieder. In diesem Jahr rechnen wir damit, dass die Spitzenmieten moderat korrigieren. Im Jahr 2024 dürften sie sich dann aber bereits wieder stabilisieren, bevor ab 2025 im Zuge einer Normalisierung des konjunkturellen Umfelds und eines verbesserten Verbrauchervertrauens wieder leichtes Mietpreiswachstum möglich sein sollte.

HIR: Wie werden sich die Spitzenrenditen entwickeln?

Müller: Bezüglich der Entwicklung der Spitzenrenditen müssen wir nach Immobilientypen und Standorten differenzieren. Die Anfangsrenditen für Einzelhandelsinvestments in den 1A-Lagen der europäischen Metropolen sind in den vergangenen zwölf Monaten an allen Standorten gestiegen. Der Anstieg sollte zum Jahresende 2023 weitgehend abgeschlossen sein. Danach dürften die Anfangsrenditen für sehr gute Einzelhandelsimmobilien perspektivisch wieder etwas sinken.

Auch in Deutschland haben die Einzelhandelsspitzenrenditen – vor dem Hintergrund der deutlich gestiegenen Finanzierungskosten – in den vergangenen zwölf Monaten korrigiert. Im Schnitt über die Top-7-Standorte waren es 50 Basispunkte. Die Stadt mit dem nach wie vor niedrigsten Renditeniveau ist München. Dort wurden Geschäftshäuser in innerstädtischen Top-Lagen für Anfangsrenditen von rund 3,9 Prozent gehandelt. Auch hier sollten sich die Anfangsrenditen ähnlich wie in den anderen europäischen Metropolen entwickeln. Also eine moderate Korrektur bis zum Jahresende und danach wieder perspektivisch leicht fallende Anfangsrenditen.

HIR: Was bedeutet das für Investoren?

Müller: Der Fokus der Investoren liegt schon seit längerer Zeit auf etablierten Lagen und guten Produkten. Denn der Konsolidierungsprozess im Einzelhandelsmarkt hat ja bereits im Jahr 2017 eingesetzt. Perspektivisch wird die Aufgabe von Flächen an unrentablen Standorten dazu beitragen, dass sich die Umsätze in den verbleibenden, nachgefragten Lagen erhöhen. Die aktuellen Herausforderungen am Markt werden in den kommenden Quartalen zudem opportunistische Investments im Einzelhandelsbereich möglich machen.

Grundsätzlich werden nur qualitativ hochwertige Konzepte in Bestlagen dauerhaft erfolgreich sein, die neben dem klassischen Ladenlokal Zusatzangebote wie beispielsweise moderne Gastronomiekonzepte oder digitale Erlebniswelten bieten. Attraktiv sind und bleiben zudem auch Fachmarktzentren und insbesondere Nahversorgungszentren mit Lebensmittelanker und größtmöglichem FMCG-Anteil. Letzteres steht für „Fast Moving Consumer Goods“, also Waren und Güter des periodischen Bedarfs zur Deckung der Grundbedürfnisse.