Nahversorgung in Europa

Lebensmittelmärkte behalten ihre Dominanz

Real-Markt im polnischen Stettin. Foto: Manuel Jahn

In Zeiten der Corona-bedingten Zwangsschließungen stehen Retail Assets nicht gerade auf dem Wunschzettel der Investoren. Mit dem systemrelevanten Lebensmittelhandel zeigt die Branche europaweit aber noch ein anderes Gesicht, das selbst die skeptischen Briten überzeugen kann.

Schon vor Ausbreitung der Corona-Pandemie und den Folgen der Zwangsschließungen für den stationären europäischen Einzelhandel war die Skepsis gegenüber Retail Assets bei internationalen Investoren groß. Der Druck durch den europaweit stark wachsenden Online-Handel insbesondere im Modehandel, dem maßgeblichen Mieter in Einkaufsstraßen und Shopping-Centern, hatte viele Anleger verunsichert.

Das gilt vor allem für Investoren in Großbritannien mit seinem im europäischen Vergleich relativ hohen Online-Anteil. Durch die Zwangsschließungen im Nonfood-Handel während der Pandemie-Bekämpfung wurde der Trend nochmals verstärkt. Ablesen lässt sich diese Zurückhaltung an den steigenden Spitzenrenditen für Highstreet-Objekte und Shopping-Center in Großbritannien, aber auch in den anderen großen europäischen Märkten wie Deutschland.

Vor diesem Hintergrund ist die verstärkte Ausrichtung der Investoren auf Handelsimmobilien resp. Fachmärkte und Fachmarktzentren mit Schwerpunkt Nahversorgung /Lebensmittel, die den Markt für Retail Assets hierzulande prägt, auch auf europäischer Ebene zu beobachten. Selbst in Großbritannien stehen Retail Parks (Fachmarktzentren) noch im Fokus der Anleger. „Der Appetit der Investoren auf eigenständige Lebensmittelmärkte und Immobilien mit Lebensmittelbetrieb in ganz Europa hat auch 2020 zugenommen“, heißt es dazu im Habona Report 2021.

Die Basis für diesen Erfolg in einem ansonsten stagnierenden Markt für Retail Assets bildet laut Report die „ausgeprägte Widerstandsfähigkeit der Verbraucherausgaben für Lebensmittel“ in der Pandemie und die „Systemrelevanz von physischen Ladenflächen“. Oder anders formuliert: Gegessen und getrunken wird immer.

So erhöhte sich das Transaktionsvolumen mit Lebensmittelimmobilien wie etwa Supermärkte, Convenience Stores oder Discounter im vergangenen Jahr laut Habona europaweit um 43% auf 6,7 Mrd. Euro. Insgesamt wurden nach den Zahlen, die auf Berechnungen des Immobiliendienstleisters JLL basieren, im Vorjahr etwa 29,5 Mrd. Euro in europäische Retail Assets investiert. Der Immobilienberater BNP Paribas Real Estate liegt mit 37,2 Mrd. Euro etwas höher.

Gerade das Wachstum des Lebensmittelumsatzes sei durch die Covid-19-Pandemie, den Zwang zum Homeoffice bei vielen Arbeitnehmern und das neuartige „Social Distanzing“ befördert worden, heißt es im Report. Wenigstens beim Essen und Trinken wollen sich die Menschen aber noch etwas gönnen.

Anteil der Lebensmittelimmobilien deutlich gestiegen

Vor diesem Hintergrund ist der Anteil der Lebensmittelimmobilien am europäischen Investitionsvolumen mit Retail Assets laut JLL von 6% im Jahr 2016 auf 22% im Vorjahr gestiegen. Rechnet man die Fachmarktzentren mit Schwerpunkt Nahversorgung hinzu, dann summiert sich das europaweite Volumen mit lebensmittelgeankerten Immobilien auf 12,8 Mrd. Euro oder 43% des Gesamtvolumens der genannten 29,5 Mrd. Euro.

An der Spitze in diesem Segment stand 2020 Deutschland mit einem Transaktionsvolumen von 4,2 Mrd. Euro bei einem Gesamtvolumen von 7,53 Mrd. Euro. Auf Platz zwei folgte Großbritannien mit 3,1 Mrd. Euro (Gesamtvolumen: 5,0 Mrd. Euro) vor Frankreich mit 1,2 Mrd. Euro (4 Mrd. Euro) sowie Spanien und Italien mit je 0,7 Mrd. Euro bei Gesamtvolumina von 2,14 Mrd. Euro resp. 1,28 Mrd. Euro. Auf die genannten Länder entfielen laut JLL/Habona Report 78% der im Vorjahr gehandelten Lebensmittelimmobilien und Fachmarktzentren.

Die Spitzenrenditen für diese Anlageklasse gehören laut JLL traditionell zwar zu den stabilsten in Europa, doch hat die wachsende Nachfrage der Investoren die Werte auch in den maßgeblichen Ländern sinken lassen: Immerhin 50 Basispunkte sind es in Spanien auf 4,5% und in Polen auf 6%. In Großbritannien gaben die Renditen um 25 Basispunkte auf 4,8% nach und in Deutschland um 20 Basispunkte auf 4,0%. Diesen niedrigsten Wert im EU-Ranking teilt sich Deutschland mit Frankreich. Am anderen Ende der Liste steht Italien mit einer Rendite von 6,5%. Der Europäische Durchschnittswert in den 27 EU-Ländern liegt laut JLL bei 5,1%.

Beim Blick auf das Corona-Jahr 2021 mit der Fortsetzung der Zwangsmaßnamen in den europäischen Märkten ist laut Habona Report nicht davon auszugehen, dass das Interesse der Investoren an dieser Anlage-Klasse nachlassen wird, weil die Bedingungen mehr oder weniger gleich bleiben werden: „Die Nachfrage regionaler und lokaler Investoren nach guten Produkten nimmt weiter zu, angezogen entweder von den stabilen langfristigen Erträgen, die diese Immobilien bieten, oder von den Wertsteigerungsmöglichkeiten.“

Ein wesentliches Thema auf dem Markt für Lebensmittelimmobilien und Fachmarktzentren sind dabei Sale-and

lease-back-Transaktionen. Wie der Immobilienberater JLL dazu im Report schreibt, bietet sich für Anleger derzeit ein Zeitfenster, um attraktive Qualitätsprodukte zu erwerben. „Gut gelegene Objekte mit erschwinglichen Mieten werden auch im Jahr 2021 von einer gesunden und starken Investorennachfrage profitieren.“

Namhafte Sale-and-lease-back-Transaktionen waren im vergangenen Jahr der Verkauf eines Portfolios für 325 Mio. Euro durch die niederländischen Supermarkt-Kette Jumbo an den Investor Annexum Invest sowie der Verkauf von 27 Lebensmittelmärkten für 180 Mio. Euro durch die spanische Supermarkkette Mercadona an den Investor LCN Capital Partners. In Deutschland ist der Verkauf von 120 Lebensmittelmärkten für 500 Mio. Euro durch die TLG Immobilien an X+Bricks  zu erwähnen.

Zu den Investoren, die sich speziell auf die Entwicklung von Fachmarktzentren mit Schwerpunkt Nahversorgung in den osteuropäischen Ländern Polen, der Tschechischen Republik und der Slowakei spezialisiert hat, ist der Projektentwickler Trei Real Estate GmbH, ein Unternehmen der Mülheimer Tengelmann-Gruppe, der in der Region bislang 31 Vendo Parks entwickelt hat. In diesem Jahr sollen sieben weitere Nahversorgungszentren dazukommen.

Die Rahmenbedingungen dürften sich 2021 ändern

In ihrem Bericht über den europäischen Nahversorgungsmarkt haben die Experten von JLL auch einen Blick auf die Rahmenbedingungen im Jahr 2021 geworfen, die aus ihrer Sicht maßgeblich von den Fortschritten bei der Impfkampagne geprägt sein werden. Das werde einen wichtigen Wendepunkt darstellen, der sich stark auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben auswirken wird.

So werden – wahrscheinlich in den Sommermonaten – wieder die Restaurants öffnen und viele Arbeitnehmer aus dem Homeoffice an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Auch wird es wieder mehr Touristen geben. Mit dem Umlenken von Konsumausgaben aus dem Lebensmittelhandel in andere Bereiche erwartet JLL in ganz Europa sinkende Lebensmittelumsätze. Allerdings ist diese Prognose mit Unsicherheiten behaftet, sofern sich die Impfkampagne verlangsamt – wofür im Moment aber nichts spricht – und sich die Periode der Zwangsschließungen verschärft und verlängert.

Mit einer echten Wende in den meisten europäischen Einzelhandelsmärkten und mit Wachstum rechnet JLL erst im Jahr 2022. Die höchsten durchschnittlichen Zuwachsraten erwarten die Experten zwischen 2022 und 2025 für Deutschland, Schweden und Spanien. Dabei könnte der stationäre Lebensmittelhandel davon profitieren, dass Kunden, die aus Furcht vor Ansteckung in der Krise vermehrt Online gekauft haben, wieder in die Geschäfte vor Ort zurückkehren.

Das legt der Blick auf Großbritannien, Europas größten Online-Lebensmittelmarkt, nahe. Hier war der Online-Anteil am Lebensmittelumsatz von 5,2% im Jahre 2019 laut ONS (Office for National Statistics)  auf 9,2% im vergangenen Jahr gestiegen. Nachdem die Regelungen während der Sommermonate 2020 gelockert wurden, gingen auch die Online-Einkäufe von Lebensmitteln in ganz Europa wieder zurück. Einen ähnlichen Trend erwartete JLL auch für 2021.

Deshalb sehen die Experten kurz- und mittelfristig keine Disruption durch einen steigenden Online-Handel mit Lebensmitteln, so dass sie in ihrer Analyse zu dem Ergebnis kommen, dass die Nahversorgung „nahezu unersetzlich“ bleibt: „Supermärkte werden auch in absehbarer Zukunft weiterhin fast 90% aller Lebensmittelausgaben in Europa auf sich ziehen, und Lebensmittelhändler werden weiterhin die Möglichkeit haben, Marktanteile in lokalen Einzugsgebieten abzuschöpfen“, heißt es im Habona Report.

Mit Blick auf Lebensmittelhändler wie etwa Rewe oder Edeka, die sich im Zeitalter der Digitalisierung mit einem Online-Vertrieb ein zweites Standbein aufgebaut haben - auch um gegenüber Amazon ihre Claims abzustecken – kommt JLL zu dem Ergebnis, dass die Hauszustellung ein schwieriges und vor allem kostspieliges Geschäftsmodell bleiben wird. Stichwort: Die teure letzte Meile. Das hat auch Amazon auf seinem Heimatmarkt USA insbesondere bei der Belieferung von Haushalten im ländlichen Raum in einigen Bundesstaaten festgestellt und den Service eingestellt.

Deshalb erwarten die Experten, „dass die Lebensmittelhändler mehr Click & Collect Services einführen und in  größeren Filialen Mikro-Fulfillment Center einrichten werden. Derweil wächst der stationäre Lebensmittelhandel in Europa durch die Ausweitung seines Ladennetzes weiter. Allen voran seien die Discounter Aldi,Lidl und das russische Unternehmen Mere auf dem besten Weg, in diesem Jahr monatlich einige neue Filialen zu eröffnen, heißt es im Habona Report. Verstärkt gehen die deutschen Discounter auch wieder in die Innenstädte.

Auf Expansionskurs sind aber auch lokale Discounter wie die italienischen Händler MD und IN’s Mercato sowie Biendronka in Polen. Spar setzt auf kleinere Convenience-Store-Formate und eröffnet Filialen etwa in Spanien und den Niederlanden. Hier arbeitet der Lebensmittelhändler mit einem neuen 80 qm großen City Format für hochfrequentierte Standorte.