Digitaler Reboot-Talk 2021

Krisenbewältigung geht nur gemeinsam

Die Digitalisierung nimmt allenthalben zu. Foto: IREBS

In Zeiten von Corona ist vieles anders. Auch die 2020 erstmals ausgetragene Veranstaltung Reboot, die sich als Zukunftskonferenz der Handelsimmobilien-Branche versteht, kam 2021 als „digitaler Reboot-Talk“ daher. Die GCSP-Veranstaltung stand damit beispielhaft für das zentrale Thema in Corona-Zeiten: die Digitalisierung.

Die Covid-19-Pandemie hat in den vergangenen zehn Monaten in Teilen des Nonfood-Handels und der Handelsimmobilien-Szene bereits viel verändert – mit Blick auf den jüngsten, endlos erscheinenden Shutdown vieles zum Negativen –, durch den Handlungs-Druck, die Krise bewältigen zu müssen, aber auch vieles zum Positiven. Zu den wesentlichen Erkenntnissen in einer Branche, in der die Interessen von Vermieter und Mieter nicht selten gegenläufig waren, gehört nach den Worten von Christine Hager, (Foto: Redos) u.a. Vorstandsvorsitzende des German Councils of Shopping Places (GSCP), dass die Krise nur gemeinsam bewältigt werden kann, von Vermietern, Mietern und der Politik.

Das gilt vor allem mit Blick auf die Tatsache, dass bei vielen Marktteilnehmern inzwischen die Grundhaltung besteht, dass eine weitere Verlängerung zu befürchten ist, wie Hager bei der in diesem Jahr online präsentierten Veranstaltung Reboot 2021 feststellte. Die Branche werde mit dem neuen Corona-Virus leben müssen, darauf müsse sich der Einzelhandel einrichten. Die Politik könne sich aber auch nicht von Lockdown zu Lockdown hangeln, merkte Hager kritisch an. Das sei keine Lösung.

Deshalb ist es notwendig, gemeinsam mit der Politik eine Lösung zu finden. Zumal die GSCP-Vorsitzende befürchtet, dass die von Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsminister angekündigten Hilfen bei vielen Händlern zu spät ankommen. Das sieht die Vizepräsidentin des EuropaparlamentsNicola Beer (FDP) genauso. Es gehe nicht, alle 14 Tage einen Lockdown zu verkünden. Der Handel brauche Planungssicherheit und es sei notwendig, darauf zu achten, dass der Einzelhandel für die Folgen der Zwangsschließungen auch entschädigt werde. Mit Beers Unterstützung kann die Branche bei ihren Verhandlungen mit der Politik demnach wohl rechnen.

Zu den positiven Folgen der Krise kann sicher gerechnet werden, dass der deutsche Einzelhandel – gezwungenermaßen – in punkto Digitalisierung beim Verkaufsprozess deutliche Fortschritte gemacht hat. „Deutschland hat profitiert“, ist Carsten Keller, Vice PresidentDirect to Consumer bei Zalando überzeugt. Die bisherige Lagerbildung „Online gegen Offline“ habe sich durch die Krise aufgelöst. Denn viele stationäre Händler mussten während des Shutdowns lernen, dass das Internet den schnellen Zugang zum Kunden sichert. Allenthalben sieht man heute in den Schaufenstern der geschlossenen Geschäfte den Link zum Online-Shop.

Die Internet-Größe Zalando, die beim ersten Shutdown viel Aufwand treiben musste, um ihren Mitarbeitern die technische Ausstattung fürs Homeoffice zu beschaffen, zeigte ihre Solidarität mit den stationären Einzelhändlern über „Connected Commerce“. Auf diese technisch leicht zu bedienende Online-Plattform stellt Zalando die Bestellungen der Kunden und die angeschlossenen stationären Händler übernehmen die Aufträge und den Versand der Ware von ihrem Laden aus an die Kunden. Nun arbeitet Zalando laut Keller daran, den Kunden auch „Click & Collect“ zu bieten.

Auch die Buchhandels-Kette Thalia Mayersche hat in den schwierigen Zeiten des ersten Shutdowns die Themen „gemeinsames Handeln und Digitalisierung“ mit der Plattform Shopdaheim unter einen Hut gebracht, wie Michael Busch, CEO der Thalia Holding GmbH berichtet. Die zentrale Frage bei diesem Projekt: „Wie schafft man etwas, von dem alle glauben, dass es nicht geht?“ Weil viele kleine Buchhandlungen noch kein eCommerce etabliert hatten, baute Thalia die Plattform mit dem Ziel auf, einen solidarischen Beitrag für die regionalen Buchhändler zu leisten, um Arbeitsplätze und Steuerzahlungen in den Regionen zu sichern.

Der eigenen IT-Abteilung, die glaubte, dass man für ein solches Projekt ein Jahr brauche, teilte der Thalia-CEO mit, er brauche die Plattform in einer Woche, was mithilfe von 50 bis 60 Mitarbeitern auch gelang. Nach etwa drei Wochen waren 10 000 bis 20 000 regionale Buchhändler bei Shopdaheim vertreten. „Wenn man eine Idee hat“, so sagt Busch über die Basis des Erfolgs, „dann sind die Grenzen der Idee die eigene Vorstellungskraft.“

Auf die Frage nach der Zukunft des stationären Einzelhandels konstatiert der Thalia-CEO: „Er wird anders sein, aber er wird weiterwachsen“. Aus seiner Sicht müssen die verschiedenen Branchen Plattformen bilden, um sie als Dienstleistungsplattformen zu nutzen. Ungeachtet der aktuellen Beschränkungen will die Thalia Mayersche weiter expandieren, durch die Eröffnung neuer Filialen und Übernahmen.

Wie die Innenstädte in Europa etwa im Jahr 2035 aussehen werden, davon hat die Vizepräsidentin des Europa-Parlaments Beer, klare Vorstellungen: „Woran erinnern Sie sich, wenn Sie in den Einkaufsstraßen Europas unterwegs waren?“ lautet ihre Gegenfrage: „An das T-Shirt, das Sie in der Filiale einer großen Kette gekauft haben, oder an das nette Café? Es geht aus ihrer Sicht um das Erlebnis im Einzelhandel, um die Ruhezonen. Hier müsse Kreativität aufgebracht werden. Und aus ihrer Sicht gibt es zweifellos die kreativen Unternehmen mit innovativen Konzepten.

„Der Händler muss verstehen, dass er kein Retailer ist, sondern Teil der Freizeitindustrie“, ist auch Manuel Niederhofer, Chief Digital & Information Officer bei der Aachener Grundvermögen, überzeugt. Wie die stationäre und die digitale Welt im Verkaufsalltag zusammenfinden können, stellt sich etwa bei der Frage, wie es mit Hilfe von Tools gelingt, das Erlebnis des Kunden für den Einzelhändler messbar zu machen. Wie Nico Schröder, Geschäftsführer von AC + X ergänzt, geht es darum, digitale Tools so einzusetzen, dass sie im Verkaufsprozess helfen, die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden zu erkennen. Beim Blick in die Zukunft ist er aber überzeugt, dass es nicht nur auf neue Konzepte ankommt, sondern auch auf etablierte Händler mit erfolgreichen Konzepten.