Leerstand in Hamburg

Jetzt sind kreative Ideen gefragt

Auf der Suche nach neuen Ideen für die Einkaufslagen. Bild: Fotolia

Die ganze Republik sorgt sich um ihre Innenstädte. Die Initiativen zu ihrer Rettung sind nicht mehr überschaubar. In Hamburg sind sie besonders nötig. In der wichtigsten Einzelhandelslage, rund um die Mönckebergstraße, bleibt kaum ein Stein auf dem anderen. Im von Karstadt genutzten Thalia-Hause entstehen Wohnungen und Büros, C&A wird abgerissen, hier sollen Flächen für zwei Hotels, Büros und Gastronomie entstehen. Und was mit den seit März 2020 leerstehenden Häusern von Karstadt Sport und Kaufhof geschieht, ist noch unklar.

Und das ist längst nicht alles, Leerstand gibt es in den besten Lagen. Vielleicht ist die Stadt deshalb besonders kreativ im Umgang mit leer gezogenen Flächen, wie folgende Beispiele zeigen. Den Anfang machte im vergangenen November die Hamburger Stiftung Baukultur (HSBK), die mit einem einmonatigen Festival das Erdgeschoss des ehemaligen Karstadt-Sport-Hauses in der Mönckebergstraße 2 - 4, über dem heute der rote Schriftzug „Jupiter“ prangt, bespielt hat. Über 60 Büros und Initiativen haben sich hier zu den Themen „Stadtentwicklung“ und „Klimawandel“ eingebracht. 4 000 Besucher kamen zu den Veranstaltungen und Ausstellungen.

Danach wurde das Kaufhaus von der frisch gegründeten gemeinnützigen Stiftung „Mut Urban Trust“ in einen Ausstellungs- und Veranstaltungssaal verwandelt. Hier ging es unter anderem um Visionen für die Zukunft des Kaufhauses und um die Leerstandsproblematik in der Innenstadt. Die Stiftung sieht die temporäre Nutzung des Jupiter aber nur „als Pionierssitzung und Eröffnung einer ersten Debatte“.

Die Stiftung, hinter der vor allem der Hamburger Kreative Mathias Müller-Using steht, ist derzeit auf der Suche nach freien Ladenflächen oder auch Parkhäusern im Stadtzentrum um Orte für unterschiedlichste Akteure und Veranstaltungen zu schaffen und damit Begegnungsstätten für alle Bürger.

„Wir wollen Leerstand als Potenzial begreifen, um freie Orte der Kultur zu schaffen, für Ausstellungen, Workshops, Nachbarschaftstreffs“, so Müller-Using, der unter anderem die Begrünung und Aufstockung eines Flakbunkers aus dem 2. Weltkrieg initiierte. Mit der Stiftung möchte er Stadtentwicklung gemeinwohlorientiert denken. „Die Gewinnerwartungen von Immobilieninvestoren lassen etwas ökologisch sowie städtebaulich Vorbildliches und sozial Gutes nur schwer entstehen“.

Leerstand als Potenzial begreifen

Wie man aus der Not eine Tugend macht, zeigt überaus erfolgreich das Programm „Frei_Fläche - Raum für kreative Zwischennutzung“, das im Juni 2021 von der Bürgerschaft beschlossen und jüngst bis Ende 2023 verlängert wurde. Rund 4,3 Mio. Euro will die Hansestadt dafür aus dem regulären Haushalt zur Verfügung stellen. Die Kreativ Gesellschaft als Organisatorin vermittelt leerstehende Handelsflächen für 1,50 Euro pro qm an Hamburger Kreative zur Zwischennutzung. Hinter der Organisation steht die Behörde für Kultur und Medien (BKM), die Hamburg Kreativ Gesellschaft und der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG).

„Damit werden dringend benötigte Räume für die Kreativwirtschaft geöffnet, der schädliche Leerstand wird vermieden und die Einkaufsquartiere mit attraktiven Angeboten belebt. Die Vermieter erhalten für die Laufzeit sämtliche Nebenkosten erstattet, bleiben aber maximal flexibel, denn die Zwischennutzungen lassen sich kurzfristig kündigen“, erklärt Dr. Katja Wolframm, Leiterin Immobilien bei der Hamburg Kreativ Gesellschaft

Auch im Jupiter, dem ehemaligen Karstadt-Gebäude am Hauptbahnhof, werden wieder Ausstellungen aller Art stattfinden. hier verwandelten sich gleich 8 000 qm über sechs Etagen in Arbeitsräume, Veranstaltungs- und Ausstellungsflächen für Kreativschaffende aus vielen Bereichen

Als das Programm an den Start ging, war die Skepsis groß: Würden genügend Vermieter ihre Flächen für so wenig Geld anbieten? Gibt es genügend Kreative, die leer stehende Läden und Geschäfte inklusive eines ausgewachsenen Kaufhauses bespielen können? Und haben Politik und Kreativ-Gesellschaft einen ausreichend langen Atem?

Sie hatten. Seit Programmbeginn konnten 70 Projekte aus Mode- und Produktdesign, Kunst, Musik, Architektur und Performance auf 55 Einzelhandelsflächen über ganz Hamburg realisiert werden. 30 621 qm wurden so zwischengenutzt und damit Leerstand vermieden. Dabei betrug die durchschnittliche Flächengröße je Nutzung 437,4 qm und die durchschnittliche Nutzungsdauer 489 Tage.

Ateliers, Ausstellungsräume und Pop-up-Stores

Entstanden sind Ateliers, Ausstellungsräume, und Pop-up-Stores in besten Innenstadtlagen wie Neuer und Alter Wall, Ballindamm, Hamburger Hof aber auch in Geschäften im Elbe Einkaufszentrum, dem Mundsburgcenter oder dem Wandsbek Quarree.

Den leeren oder verhängten Schaufenstern, regelrechte Sargnägel für eine City, will die gemeinnützige Gesellschaft Hamburger Originale zu Leibe rücken. Die Initiative wurde 2021 gegründet, um dem Stadtmarketing neue Impulse zu verleihen, wie Gründungsmitglied Marc Ciunis sagt. Die Initiative will Fensterflächen leer stehender Läden dekorativ bekleben, mit Motiven, die für Hamburg und seine Wirtschaft stehen. „Wir wollen das volle Potenzial Hamburgs ausschöpfen und das vielfältige Angebot, welches weit über die bekannten Touristen-Attraktionen hinausgeht, abbilden“, so Ciunis.

Über 100 Hamburger Geschäftsleute und Unternehmen, sind mit im Boot, darunter so unterschiedliche wie das Autohaus Krüll, Barkassen Meyer, Block Gruppe, Holsten, Hanse Lounge, Porsche, Otto Group, Tchibo und Wempe. Aber auch Hamburg Tourismus, die Handelskammer Hamburg und das City Management Hamburg sind dabei.

Die Mitglieder zahlen Beiträge ein. Damit werden Kampagnen und Netzwerk-Aktionen finanziert. Gründungsmitglied Nils Julius: „Wir schlagen mit der Kampagne zwei Fliegen mit einer Klappe. Die Motive können für die Vermietungsgesellschaften oder Immobilienunternehmen individualisiert werden, so dass für beide Seiten ein Nutzen entsteht. Wir sind mit unseren Botschaften präsent und die Inhaber der Flächen müssen keine eigenen Beklebungen entwickeln. Sie müssen diese lediglich produzieren und aufbringen“.