Hamburger Bündnis für die Innenstadt

Geschäftsleute und Bürger wollen die Politik wachrütteln

Straßenszene. Foto: Hamburg Marketing

Sabine Richter, Hamburg

Der Online-Handel nimmt dem stationären Handel Frequenz, aber vor allem Umsatz weg. Die Folgen sind sinkende Mieten, Geschäftsaufgaben oder Flächenverkleinerungen. Geschäftsleute und Hamburger Bürger fürchten um die Zukunft der City. Deshalb  haben sich in Hamburg die Handelskammer und sechs Verbände zu einem bisher einzigartigen „Bündnis für die Innenstadt“ zusammengeschlossen.

Sie wollen damit die Politik wachrütteln und sie fordern die Bürgerschaft und den Senat auf, sich gemeinsam mit der Wirtschaft für eine attraktive, lebendige Innenstadt einzusetzen. Die Politik solle mit hohen Investitionen - eine konkrete Summe nannte das Bündnis nicht - die Rahmenbedingungen schaffen, um mehr Touristen aber auch die Einheimischen wieder für die alte City zu begeistern.

„Der Einzelhandel, der eine der prägenden Branchen der City-Wirtschaft ist, erfährt im Zuge der Digitalisierung einen tiefgreifenden Strukturwandel und die enge Verbindung zwischen Handel und Innenstadt verändert sich zusehends“, konstatiert der Vizepräses der Handelskammer, André Mücke.

Zum Bündnis gehören die Handelskammer Hamburg, das City Management Hamburg, der Dehoga Hamburg Hotel- und Gaststättenverband., der Handelsverband Nord., der Tourismusverband Hamburg, der Trägerverbund Projekt Innenstadt und der Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels. Die Innenstadt müsse mehr bieten: Eine hohe städtebauliche Qualität, eine hohe Verweilqualität und ein Einkaufserlebnis, das mit Kultur, mit Events und gastronomischen Angeboten verknüpft wird, sind sich die Kooperationspartner einig.

Hauptkritik: Jahrzehntelang habe sich die Politik in Hamburg auf die Hafencity konzentriert. Millionensummen seien in die Leuchtturmprojekte Elbphilharmonie, die Magellan-Terrassen und die Entwicklung des Überseequartiers geflossen. Dies käme bei den Touristen auch gut an, aber der Kern der Innenstadt sei darüber vernachlässigt worden. Die Folge: Vor allem kleine Händler hätten Angst, dass sie zwischen der boomenden Hafencity und dem Onlinehandel zerrieben würden.

In der Tat lockt die Hafencity neben der einzigartigen Wasserlage mit vielerlei Attraktionen, Elbphilharmonie, Miniatur Wunderland, Dungeon, ein Luxuskino und ein vielseitiges gastronomisches Angebot. In der alten Innenstadt kann man nach dem Shoppen dagegen wenig Spannendes unternehmen, weil nach Verkaufsschluss die berühmten Bürgersteige hochgeklappt werden.

Und die wirklich große Konkurrenz kommt erst 2022, wenn Unibail-Rodamco-Westfield im Überseequartier das größte Einkaufszentrum der Stadt mit 200 Läden, dazu Wohnungen, Büros und Hotels eröffnet. Das sei zwar einerseits eine neue Attraktion für Hamburg, es werde aber auch die Wettbewerbssituation im Einzelhandel nachhaltig verändern, so Mücke. Die alte City werde gute Argumente liefern müssen, damit die Hamburger und ihre Gäste noch hierher kommen.

Die Wirtschaft hat sich seit 2005 stark engagiert

16 Seiten umfasst der Forderungskatalog. Doch auch wenn er in vielen Punkten noch unkonkret ist, so ist sich das Bündnis einig, dass es höchste Zeit ist, dass sich der Senat für die Innenstadt engagiert. Mehr als 53 Mio. Euro habe die Wirtschaft seit 2005 im Rahmen diverser Business Improvement Districts (BID) selbst in die Aufwertung der City investiert. Straßen wurden mit neuen Belägen aufgewertet, attraktiver beleuchtet, Bordsteinkanten wurden abgesenkt, breitere, hochwertig gestaltete Fußwege geschaffen, Events etabliert, um die Verweildauer der Besucher zu verlängern.

Nun sei die Zeit der Selbstheilung vorbei, sagte der Präsident des Handelsverbands Nord, Andreas Bartmann. In zehn Handlungsfeldern soll die Stadt aktiv werden:

- Aufmerksamkeit für die Innenstadt schaffen

- Erreichbarkeit gewährleisten

- Orientierung schaffen – analog und digital

- Wegeverbindungen schaffen

- Vorreiter in der City-Logistik werden

- die Nutzungsmischung voranbringen

- Öffentliche Räume aufwerten

- Standards für öffentliche Räume weiterentwickeln

- Regeln für ein Miteinander weiterentwickeln

- ein Investitionsprogramm für die Innenstadt auflegen

Klar positioniert sich das Bündnis aber gegen eine autofreie Innenstadt – derzeit ein viel diskutiertes Thema in Hamburg. „Wer eine autofreie Innenstadt fordert, bekommt eine einzelhandelsfreie Innenstadt“, mahnt der Vorsitzende des Trägerverbunds Innenstadt, der Schuhhändler Ludwig Görtz. Schließlich kämen viele Kunden von weit her zum Einkaufen in die City und die Händler müssten auch beliefert werden.

Klare Position gegen eine autofreie Innenstadt

Verkehr und Erreichbarkeit sind neben einer höheren Aufenthaltsqualität, schöneren Plätzen, mehr Sicherheit und Sauberkeit das dominierende Thema. „Die Innenstadt muss vor allem gut erreichbar sein, mit dem ÖPNV, dem Pkw, dem Fahrrad und zu Fuß“, sagt André Mücke: „Dazu gehören mehrere Stationen der neuen U-Bahn-Linie 5 in der Innenstadt, eine deutlich zuverlässigere S-Bahn, eine bessere Koordinierung der Baustellen sowie attraktive Wege für Radfahrer und Fußgänger.“ Und der Präsident des Hotel- und Gaststättenverbands, Franz J. Klein, ergänzt: Der Hauptbahnhof müsse umgestaltet werden, die Zustände seien katastrophal.

Auch der Lieferverkehr und die Logistik müssten in der Innenstadt neu aufgestellt werden, forderte Bartmann: „Hamburg soll zum Vorreiter in der City-Logistik werden. Wir fordern die Stadt auf, die erfolgreichen Modellprojekte der City-Logistik weiterzuführen und mehrere unternehmensneutrale Mikro-Hubs in der Innenstadt oder in Innenstadtnähe zu schaffen. So könnte die Zahl der Lieferfahrzeuge in den Geschäftsstraßen nachhaltig reduziert werden. Derzeit leisten sich die Paketdienste noch ein Wetttrennen, wer am meisten Pakete ausliefert“.

Neue Lösungen für die Ludwig-Erhard-Straße, die die Innenstadt zerschneidet und den Michel an den Rand drängt, forderte der Vorstandsvorsitzende des Tourismusverbands, Norbert Aust. Rezepte, wie sich die Innenstadt neu erfinden kann, werden in unzähligen Veranstaltungen diskutiert. Die Säle sind stets voll. „Mehr Wohnen, mehr Hotels, mehr Gastronomie und mehr Entertainment. Jedes Kino, das die Innenstadt verließ, hat Besucher und damit Frequenz am Abend aus der Innenstadt abgezogen“, sagt Richard Winter vom Immobiliendienstleister JLL.

„Heute besteht die Notwendigkeit, den Handel zusammen mit den Angeboten, die schon in der Stadt sind wie Freizeit, Treffpunkte, Theater, Museen, Kultur, Gastronomie als gemeinsames attraktives Gesamtpaket völlig neu zu denken und zu vermarkten“ ergänzt Dirk Hünerbein, Director of Development bei Unibail-Rodamco-Westfield Germany. Der Einzelhandel werde künftig eine Spur weniger dominieren und sich neben attraktiven Freizeit- oder Gastronomie-Angeboten weiterentwickeln. Anderes, wie Kultur und Wohnen gewinne an Bedeutung. „Für einen starken innerstädtischen Raum müssen sich alle Player zusammensetzen und Bündnisse schmieden“, so Hünerbein.

„Es gibt großes Interesse an unseren Ergebnissen“, berichtet Heiner Schote, LeiterHandel bei der Handelskammer Hamburg. „Es haben bereits mehrere Gespräche stattgefunden und es kommen immer neue Einladungen. Wir haben den richtigen Moment erwischt“, ist er überzeugt: „Bisher ist die Politik davon ausgegangen, dass die Innenstadt von allein funktioniert“. Dass der Handlungsdruck größer geworden ist, hat laut Schote auch mit der künftigen Konkurrenz im Überseequartier zu tun. Viele Projekte seien in der Umsetzung, das meiste ginge aber nicht von heute auf morgen.

In der Hafencity sei unter dem Label „New Downtown“ von Anfang an eine Nutzungsmischung aus Einzelhandel, Büro und Wohnen geplant gewesen, so Schote weiter, in der alten City könne dies häufig nur bei Neubauten oder Refurbishments umgesetzt werden, abhängig von den Interessen der Investoren und vom Baurecht.