Vermietungsmarkt Einzelhandel

Filialschließungen im Modehandel gehen Hand in Hand mit Neupositionierungen

Viele Neuvermietungen im Westfield Überseequartier in Hamburg. Bild: URW

Die Diskussionen über die schrumpfende Frequenz in den Stadtzentren und den Attraktivitätsverlust der Innenstädte haben durch die Folgen der Pandemiebekämpfung nochmals an Fahrt gewonnen. Nun kommen von Seiten des Mode-Handels, dem klassischen Frequenzbringer der Cities, erste positive Signale. Die Branche hat auf dem innerstädtischen Vermietungsmarkt wieder die Führungsrolle übernommen, wie die Analysen der Immobiliendienstleister JLL und BNP Paribas Real Estate für das erste Halbjahr 2023 ergeben haben.

„Der Textilsektor findet zu alter Stärke zurück und führt das Feld im Branchenvergleich mit 46% wieder eindeutig an“, konstatiert Dirk WichnerHead of Retail Leasing bei JLL Germany. Dabei wirkt dieser Trend auf den ersten Blick paradox, da zuletzt vor allem Insolvenzverfahren etwa von Galeria Karstadt KaufhofPeek & Cloppenburg (P & C) Düsseldorf, der deutschen Handelstochter von Gerry WeberAppelrath-CüpperGörtz oder Reno als Folge der Corona-bedingten Zwangsschließungen die Schlagzeilen beherrschten und diese Verfahren – mit Ausnahme von P & C – auch mit Filialschließungen einhergingen.

Doch im Windschatten dieser Schließungen haben die daraus folgenden Nachvermietungen von Großflächen durch Mode-Anbieter laut BNP Paribas Real Estate (BNPPRE) auf dem Vermietungsmarkt für Retail Assets die Marktdynamik in der ersten Jahreshälfte spürbar angekurbelt. Denn Schließungen bedeuten in der aktuellen Lage demnach nicht zwingend den Rückzug der Händler aus den Innenstadtlagen, vielmehr bedeuten sie den Startschuss für gezielte Neueröffnungen zur Neupositionierung des eigenen Geschäfts, für die der krisenbedingte Druck auf die Mieten derzeit auch eine günstige Voraussetzung bietet.

So weist der Immobiliendienstleister darauf hin, dass die Vermieter bei der Mietvertragsgestaltung eine zunehmende Kompromissbereitschaft an den Tag legen, die durch Risikobeteiligungen und Incentives dazu beiträgt, dass bei den potenziellen Mietern die Abschlussbereitschaft zunimmt. Dies hat laut BNPPRE im ersten Halbjahr maßgeblich zur Marktbelebung auf dem innerstädtischen Vermietungsmarkt für Handelsimmobilien beigetragen. Dieses Zusammenspiel aus Geschäftsaufgaben auf der einen und Neupositionierungen auf der anderen Seite habe sich entscheidend auf den Flächenumsatz ausgewirkt.

Zudem haben nach den Worten von JLL-Vermietungschef Wichner einige Marken aus dem Mode-Handel während der Pandemie ihre Hausaufgaben gemacht. Sie präsentierten sich inzwischen mit einer Multichannel-Strategie bei der sie den stationären und den Onlinehandel im Sinne der Kunden kombinieren. Dabei hätten sie nicht nur die Vertriebsseite, sondern auch die logistische Infrastruktur mit ihren Lieferservices vielfach verbessert. Wichner: „Hier hat sich in den vergangenen Jahren die Spreu vom Weizen getrennt.“

Diese Rückverlagerung des Vermietungsgeschehens vom Bereich Gastronomie/Lebensmittel, der laut JLL vor allem während der Lockdowns in der Pandemie durch die verstärkte Expansion der Nahversorger in die innerstädtischen Top-Lagen die Spitzenposition erreicht hatte, wieder zum Mode-Handel hat auch dazu geführt, dass die Vermietung von Großflächen mit mehr als 1 000 qm oder sogar 2 000 qm den Markt im ersten Halbjahr dominiert hat.

Nach den Worten von Christopher WunderlichHead of Retail Advisory bei BNP Paribas Real Estate (BNPPRE), bildeten „Großflächen mit einem Umsatzanteil von knapp 60% im laufenden Jahr die wichtigste Säule der Vermietungsaktivitäten“. Oftmals würden die gleichen Akteure einerseits für Zugänge zum Flächenangebot sorgen und andererseits für Leerstandsabgänge verantwortlich sein. Vor diesem Hintergrund summierte sich das Volumen der Fashion-Branche am Segment Großflächen mit über 1 000 qm laut BNPPRE auf knapp 100 000 qm. Mit insgesamt 98 100 qm in den ersten sechs Monaten kommt JLL zu einem ähnlichen Ergebnis für die Branche, davon 51 000 qm allein im zweiten Quartal.

Damit zeigt die Textilbranche laut Wichner, dass sie in der Lage ist, „große Flächen zu bespielen, was die Gastronomie so nur in Ausnahmefällen vermag“. Im Rahmen dieser Entwicklung erreichte das Vermietungsvolumen mit insgesamt 213 000 qm laut JLL im ersten Halbjahr in etwa den Wert der vergangenen sechs Quartale. Ein Volumen von 112 000 qm im zweiten Quartal bedeutete gegenüber den ersten drei Monaten eine leichte Steigerung. Dabei ging die Zahl der Vermietungsabschlüsse im Jahresvergleich von 470 auf 414 zurück.

Die Gastronomie sucht vor allem kleinere Flächen

Noch positiver beurteilt der Immobiliendienstleister BNPPRE, der für die Citylagen einen Flächenumsatz von 275 000 qm errechnete, die Marktlage. Das sei das beste Zwischenergebnis seit 2019, als das Volumen bei gut 280 000 qm lag. Das waren zudem 37% mehr als im ersten Halbjahr 2022 und 24% mehr als im ersten Halbjahr 2021. Auf Flächen ab 1 000 qm entfielen damit gut 160 000 qm, ein Wert, der nach Feststellung des Immobiliendienstleisters seit Mitte 2017 mit 165 000 qm in den vergangenen sechs Jahren nicht mehr erreicht wurde.

Nach dieser Aufholjagd der Textilbranche ist der Vermietungsanteil der Gastronomie und der Lebensmittelmärkte laut JLL auf 23% zurückgefallen, was gleichzeitig der schwächste Wert der vergangenen vier Jahre ist. „Zwar ist die Nachfrage nach Gastronomieflächen vorhanden und nach wie vor dringen neue internationale Systemgastronomen auf den deutschen Markt, wie zum Beispiel die Seafoodkette Big Easy oder die französische Big Mama Group“, schreibt der Immobiliendienstleister, „doch werden in dieser Sparte vor allem Flächen im kleineren und mittleren Segment angemietet“.

Auch der Lebensmittelbereich, der 50% des Flächenumsatzes in diesem Segment ausmacht, war in den vergangenen sechs Monaten weiter aktiv, wobei besonders die Asiakette Go Asia mit fünf Anmietungen ins Auge springt. Auf dem dritten Rang folgt erneut der Bereich Gesundheit/Beauty mit einem Flächenumsatzanteil von 8% - nach 9% im Vorjahreszeitraum. Hier zeigte sich laut JLL, dass sich die klassischen Drogeriemärkte mit Anmietungen zurückgehalten haben.

Wie bereits oben erwähnt, macht sich im innerstädtischen Vermietungsmarkt bemerkbar, dass die Vermieter angesichts der schwierigeren Marktlage in vielen Teilen des innerstädtischen Nonfood-Handels kompromissbereiter sind. So registrierte JLL bei den Spitzenmieten in Städten aller Einwohnerklassen weitere Mietpreisminderungen, wobei die zehn größten Städte mit einem Rückgang von 2,1% bei den Spitzenmieten im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 noch am besten wegkamen. Vier Städte aus der Liste der Top 10, nämlich Leipzig, NürnbergMünchen und Stuttgart, konnten ihre Spitzenmieten konstant halten.

In der Bayernmetropole, die mit 310 Euro je qm und Monat laut BNPPRE unvermindert an der Spitze steht, vor Frankfurt mit 285 Euro, Düsseldorf mit 280 Euro und Berlin mit 250 Euro, spiegelte sich das in einem Flächenumsatz wider, der 2023 mit 3 100 qm deutlich unter dem Fünfjahresschnitt liegt, weil laut Wichner „nicht mehr alle Händler bereit sind, das hohe Preisniveau mitzugehen“. Dagegen würden Eigentümer ihre Haltung damit begründen, dass in München auch die höchsten Umsätze erzielt würden.

Den höchsten Rückgang bei den Mieten registrierte JLL mit durchschnittlich 6% in den Städten mit weniger als 100 000 Einwohnern und in den Städten mit 250 000 bis 500 000 Einwohner. Dagegen liegt die Größenklasse mit 100 000 bis 250 000 Einwohnern mit durchschnittlichen -4,1% im bundesweiten Durchschnitt der 66 untersuchten Städte. Konstante Mieten konnte JLL aber auch für 21 Städte registrieren, die nicht zu den Top 10 gehören, wie Freiburg, Dresden und Münster.

Die Vermieter zeigen sich kompromissbereiter

Wie die relative Stabilität bzw. der geringe Mietrückgang in den A-Städten schon vermuten lässt, war hier das Vermietungsgeschäft mit einem Volumen, das JLL für die Top 10 mit 106 500 qm (+22%) und BNPPRE für die Top 7 mit knapp 90 000 qm bezifferte, am lebhaftesten. Dabei profitieren Hamburg mit 30 400 qm an der Spitze vor Berlin mit 29 500 qm (Grafik: JLL) von den Vermietungen in der Neuentwicklung Überseequartier, das 2024 eröffnet werden soll, und der Entwicklung Am Tacheles, in dem die ersten Handelsmieter ihre Flächen bezogen haben. Mit 9 500 qm und einigem Abstand komplettiert Stuttgart das Führungstrio.

Es folgen auf den Plätzen im Mittelfeld Frankfurt mit 8 900 qm, Düsseldorf mit 7 300 qm und Köln mit 6 900 qm – allesamt im kleineren und mittleren Flächensegment. Nürnberg mit 5 400 qm, Hannover mit 3 800 qm, München mit 3 100 qm sowie Leipzig mit 1 800 qm bilden die Schlussgruppe der Top 10.

Beim Blick auf die zweite Jahreshälfte zeigt sich Christoph ScharfGeschäftsführer der BNP Paribas Real Estate GmbH und Head of Retail Services zuversichtlich, dass das bisherige Zusammenspiel von aufgegebenen Einzelhandelsflächen und den umfangreichen Neupositionierungen im innerstädtischen Einzelhandel das Marktgeschehen auch weiterhin maßgeblich prägen wird. Denn bei vielen namhaften Einzelhändlern seien auch im weiteren Jahresverlauf Umstrukturierungen und Standortwechsel zu erwarten. Deshalb sieht er gute Chancen, dass der Vermietungsmarkt für Handelsimmobilien „den Schwung aus den ersten sechs Monaten in die zweite Jahreshälfte transportieren kann“.