Einzelhandelskonjunktur

Einkaufen wird anders sein als vor der Krise

Die Fußgänger sind zurück in den Einkaufsstraßen. Foto: BBE/Krägenau

Der deutsche Einzelhandelsmarkt zeigt ein zwiespältiges Bild. Lebensmittelmarkt und Online-Handel profitierten deutlich, so dass der Handelsverband Deutschland 2021 ein Umsatzplus von 1,5% erwartet. Nach den Lockerungen ist auch der Modehandel wieder etwas optimistischer.

 „Die Krise ist noch lange nicht vorbei“, konstatiert Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE) bei der Jahrespressekonferenz mit Blick auf die Bilanz für das erste Halbjahr 2021 und die Erwartungen für die zweite Jahreshälfte. Nach der aktuellen Umfrage unter 650 Handelsunternehmen aller Standorte, Größen und Branchen gab das Gros (73%) der vom Shutdown besonders hart betroffenen Innenstadthändler an, dass sie im ersten Halbjahr – gegenüber dem bereits schwachen Vorjahr – Umsatzeinbußen verzeichnen mussten.

Besonders hart traf es dabei den Bekleidungseinzelhandel. Hier lagen 78% der Befragten noch unter dem schwachen Halbjahr 2020. Wie sehr sich der Lebensmitteleinzelhandel von diesem Krisen-Szenario abheben konnte, zeigt der Blick auf die Angaben aus dieser Branche, die 2019 gemäß EHI Retail Institute einen Umsatz von 178 Mrd. Euro erzielte. Hier verzeichnete die Mehrheit (59%) in den ersten sechs Monaten laut HDE steigende Erlöse, 20% erreichten das Vorjahresniveau und nur 20% klagten über rückläufige Umsätze.

Mit den Lockerungen Ende Mai und vor allem seit Juni mit den wärmeren Sommertemperaturen hat sich das Geschäft auch der Innenstadt- und Bekleidungshändler wieder deutlich belebt, auch wenn die Frequenz in den Innenstädten laut Genth noch nicht das Vor-Krisen-Niveau erreicht hat. So schätzten laut Umfrage 46% der Innenstadthändler ihre Lage als befriedigend ein und 21% als gut. Immer noch schlecht läuft das Geschäft bei 34%.

Im Bekleidungseinzelhandel sind sogar 51% zufrieden und jeder Fünfte (19%) spricht von einem guten Geschäft. Allerdings: „Die positive Entwicklung in den letzten Wochen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das erste Halbjahr insbesondere für den Innenstadthandel verloren ist“, warnt Genth aber vor zu viel Optimismus: „Extrem gelitten hat der Bekleidungseinzelhandel, dessen Erlöse um rund ein Drittel geschrumpft sein dürften“, stellt er fest.    

Nach der Belebung zum Juni und den inzwischen deutlich gesunkenen Infektionszahlen blicken die Einzelhändler wieder mit mehr Zuversicht in die zweite Jahreshälfte und die Mehrheit geht davon aus, dass sich dieser Erholungsprozess fortsetzt. Bezogen auf alle Einzelhändler rechnet der größte Teil (44%) mit steigenden Erlösen, 39% glauben, dass sie das Vorjahresniveau wieder erreichen können und nur 17% sind pessimistisch gestimmt. Diese Zahlen spiegeln auch in etwa die Einschätzung des innerstädtischen Einzelhandels wider, nur dass hier 37% mit dem Erreichen des Vorjahresniveaus rechnen und 19% pessimistisch sind.

Interessant ist der Blick auf den Bekleidungshandel. Mit 49% ist der Anteil der Optimisten, die mit steigenden Umsätzen rechnen, unter allen Branchen am höchsten. Nach den Tiefschlägen im Ostergeschäft 2020, zur Weihnachtssaison 20/21 und zum Ostergeschäft dieses Jahres kann es aber auch nur noch besser werden. Selbst im Lebensmittelhandel ist mit 41% der Anteil der Optimisten nicht so hoch. 36% der Bekleidungshändler glauben, dass sie das Vorjahresniveau erreichen können, aber immer noch 16% sind für den weiteren Jahresverlauf pessimistisch gestimmt.

Etwas günstiger lief es in Branchen, die von den veränderten Lebensbedingungen der Bundesbürger mit Homeoffice, Kontakt- und Reisebeschränkungen und der stärkeren Besinnung auf Freizeit, Heim und Garten mehr oder weniger profitieren konnten. Aus den entsprechenden Branchen ging etwa in den ersten vier Monaten dieses Jahres laut HDE bei den Heimwerker-Märkten der Umsatz „nur“ um 16% zurück, im Möbelhandel lag das Minus bei 12%.

Ein deutliches Umsatzwachstum verzeichneten dagegen – wie erwähnt – der Lebensmittelhandel, aber auch der Fahrradhandel, denn Fahrradfahren gehörte zu den wenigen Sportarten, die während der gesamten Zeit der Zwangsschließungen ohne Beschränkung ausgeübt werden konnten. Zu den ganz großen Gewinnern gehörte in den ersten vier Monaten allerdings der Online-Handel (einschließlich der Omnichannel-Händler mit stationärer DNA), was die diversen Untersuchungen bereits im vergangenen Jahr immer wieder belegt haben.

Umsatzrückgang im stationären Nonfood-Handel

Denn auch wenn Lebensmittel existenziell wichtig sind, so gibt es auch Nonfood-Artikel, die bisweilen von essenzieller Bedeutung sind, wie technisches Equipment, wenn etwas kaputt geht oder auch Bekleidung. Hinzu kommt, dass immer mehr Bundesbürger Geschmack am bequemen Online-Kauf gefunden haben. Das dürfte vor allem für Menschen mit knappem Zeit-Budget gelten.

Laut HDE verzeichnete der Online-Handel im ersten Tertial einen „Umsatzsprung von 30%“ – darin dürften aber auch Erlöse von Omnichannel-Händlern mit stationärer DNA enthalten sein – so dass der Verband seine Prognose für den deutschen Einzelhandel im Gesamtjahr 2021 auf 1,5% angehoben hat auf einen Gesamtumsatz von 586,1 Mrd. Euro. Auch die Wachstumsrate beim Online-Handel setzt der HDE von vorher 17% auf nunmehr 20% hoch, so dass sich der Online-Umsatz 2021 auf 87,1 Mrd. Euro summieren könnte.

Nach Einschätzung von Stefan Genth (Foto: HDE) haben die Verbraucher ihr Einkaufsverhalten in Zeiten der Zwangsmaßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung völlig neu justiert. Die Frage, ob und wann der Einzelhandel das Vorkrisen-Niveau von 2019 wieder erreichen kann, sieht der Hauptgeschäftsführer kritisch. Das Einkaufen werde anders werden, „als wir das 2019 noch gesehen haben“.

In diesem Umfeld prognostiziert der Handelsverband für den stationären Einzelhandel 2021 einen Umsatzrückgang von 1,1% von 504,6 Mrd. auf 499 Mrd. Euro. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass der stationäre Lebensmittelhandel nach den Schätzungen – gemessen an 2020 – um 3,4% zulegen wird, der stationäre Nonfood-Handel 4,2% verlieren und der Bekleidungshandel zum Jahresende um 13,2% unter dem Vorjahresniveau bleiben wird. Gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 dürfte der Bekleidungshandel sogar 37% verlieren.

Bundesbürger haben in der Pandemie viel Geld gespart

Die Voraussetzung für eine Erholung im Nonfood-Einzelhandel ist, dass die Infektionszahlen niedrig bleiben – und die Impfquote weiter stark wächst –, so dass es im Jahresverlauf keinen weiteren Lockdown geben wird, die Erwerbstätigkeit weitgehend stabil bleibt und der Konsum gegenüber 2020 steigt und die Sparquote sinkt. Die interessante Frage für den Einzelhandel ist, wie viel von den zusätzlichen Ersparnissen, die der HDE auf etwa 100 Mrd. Euro schätzt, in den Einzelhandel fließen werden. Allerdings geht Genth davon aus, dass die Sparquote oberhalb des dreijährigen Durchschnitts bleiben wird.

Ein wichtiges Thema für die Erholung des Einzelhandels sind die richtigen Rahmenbedingungen von Seiten der Politik, wobei aus Sicht der Branche Steuererhöhungen unbedingt vermieden werden sollten. Zudem sieht der Handel die Notwendigkeit, die Stadtzentren mit Hilfe von Investitionsoffensiven zu stabilisieren. So setzt sich der HDE für Förderprogramme in Höhe von jährlich mindestens 500 Mio. Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren ein. Aber auch private Investitionen sind laut Genth in diesem Kontext wichtig.