Das Ende einer Illusion

Die Wachstumsgrenzen der Geldschöpfung sind erreicht

Foto: Deutsche Bundesbank

Die Märkte hangeln sich von Datenpunkt zu Datenpunkt. Es gilt jedoch, vor lauter Lärm die relevanten Entwicklungen nicht aus den Augen zu verlieren.

Aus konjunktureller Sicht belasten der zunehmende Protektionismus und gestiegene Energiekosten die Weltwirtschaft. Als Ursachen werden die Folgen der Pandemie in China, die Sanktionen gegen Russland sowie die steigenden Finanzierungszinsen genannt. Rezessionsrisiken sind weltweit spürbar, aber die weitere Entwicklung ist nicht prognostizierbar.

Wurden Arbeits-, Kapital- und Immobilienmärkte früher regelmäßig etwa alle fünf Jahre von Konjunkturwechseln geprägt, herrscht auch im Jahr zwei nach der russischen Invasion und der vom Bundeskanzler ausgerufenen außenpolitischen Zeitenwende eine relative Ruhe des Abwartens. Weder wollen sich Unternehmen von wertvollen Fachkräften, noch Eigentümer von ihren Immobilien trennen.

Der Crash auf den Anleihemärkten 2022 ist am Kleinanleger weitgehend vorbeigegangen, und die Bankenpleiten 2023 scheinen zunächst eingehegt zu sein. Belastungen, die sich direkt auf Firmen und Verbraucher hätten auswirken können, wurden in Deutschland bisher durch Hunderte von Milliarden schwere Sondervermögen, Abwehrschirme und Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes abgefedert.

Das Warten auf den „normalen“ Konjunkturzyklus erhöht allerdings die Bereitschaft, über eine auch wirtschaftliche Zeitenwende nachzudenken, also über mögliche Wendepunkte von internationaler bis globaler Tragweite, die naturgemäß erst im Nachhinein erfasst werden können.

Anzeichen dafür gibt es reichlich:

1.) nach über 40 Jahren Rückkehr global hoher Inflationsraten
2.) abruptes Ende der globalen Geldmengenexpansion
3.) Infragestellung und Verringerung globaler Abhängigkeiten
4.) das Gespenst ernsthafter Knappheiten und Versorgungskrisen

Im Ergebnis erzeugen die neuen Rahmenbedingungen nach Einschätzung des Investmentberaters Feri „ein grundsätzlich verändertes Wirtschafts- und Anlageszenario von enormer Komplexität, das nach 2022 auch das Jahr 2023 und viele Folgejahre entscheidend prägen wird“.

Wiederentdeckung des realwirtschaftlichen Nutzens

Für die Kapitalmärkte bedeutet dies eine tektonische Verschiebung hin zu einem völlig anderen makroökonomischen Umfeld: Während in den zurückliegenden Jahren die Geldschöpfung der Notenbanken eine wesentliche Triebkraft war, müssen sich die Märkte nun auf eingeschränkte Liquidität einstellen. Konnten Krisen bisher durch expansive Geldpolitik großer Notenbanken zu einem großen Teil kompensiert werden, ist dies durch das inflationäre Umfeld in dieser Weise bis auf Weiteres nicht mehr möglich. Die erheblichen Renditen und Benchmarks, die durch die Aufblähung des Geld- und Kapitalmarktes erzielt wurden, werden voraussichtlich abgelöst durch Erträge aus realwirtschaftlicher Nachfrage und echtem Kundennutzen. Zinsen werden bleiben und machen Profitabilität wieder zwingend.

Der im Rückblick nun vielfach als Goldene Dekade bezeichnete Zeitraum zwischen Finanzkrise und Pandemie täuscht etwas darüber hinweg, dass auch diese Phase nicht arm an Krisen war. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hatten auch schon in der jüngeren Vergangenheit die Verschuldungskrise, Währungskrise, Klimakrise, Bildungskrise, Demographiekrise, Wohnungskrise usw. zu bewältigen. Jede Krise ist Ausdruck von Entwicklungen, die mit den gegebenen Rahmenbedingungen in Konflikt geraten. Die Anpassung von Rahmenbedingungen unterliegt grundsätzlich mehr oder weniger komplexen politischen Diskursen und kann Zeit in Anspruch nehmen. Da es sich hierbei selten um geordnete, linear verlaufende Anpassungen handelt, sondern zuweilen um sektorale, wellenartige oder gar chaotische Entwicklungen, ist der übergeordnete Transformationsprozess nicht leicht als solcher zu erkennen – bzw. oft erst mit großem, zeitlichem Abstand.

Transformation – aber nun wirklich

Es bedurfte des – aus westlicher Perspektive – größten Zivilisationsbruchs der jüngeren Geschichte, um die schleichenden geopolitischen Veränderungen hin zu einer multipolaren Welt mit neuen Machtansprüchen und Blockbildungen zu verstehen. Lieferkettenprobleme, Ressourcenengpässe und Inflation werden seitdem nicht länger als kurzzeitige, pandemiebedingte Phänomene begriffen, sondern als Ausdruck einer sich noch konstituierenden neuen Ordnung, die in immer mehr Weltregionen anderen Regeln folgt als zuvor.

Der politische Westen sieht sich dabei einem doppelten Transformationsdruck ausgesetzt: Neben den weltwirtschaftlichen Herausforderungen müssen noch die selbstgesteckten Ziele der Dekarbonisierung erfüllt werden. Bürgern und Unternehmen wird  derzeit sehr klar, dass damit einhergehende Veränderungen die Sozial-, Lebens- und Teilhabeverhältnisse spürbar beeinflussen werden. Höhere Risikoaufschläge bei der internationalen Arbeitsteilung sowie die Kosten der Dekarbonisierung machen Produktion, Konsum und Energieerzeugung teurer. Der Rückbau der verlängerten Werkbänke in Asien sowie der Ausstieg aus dem fossilen Energiezeitalter sind keine konjunkturellen „Korrekturen“, sondern vermutlich Generationenaufgaben.

Der spürbare Inflationsprozess dürfte sich nach Einstellung eines neuen Gleichgewichts auf den Kredit- und Anlagemärkten allmählich abschwächen. Aber die genannten strukturellen Herausforderungen der Wirtschaft verlangen nach einer adäquaten Verzinsung. Zudem steuern die alternden Gesellschaften Europas und Ostasiens unausweichlich der demographischen Wende zu – dem Punkt, an dem mehr Menschen in Rente gehen als neu auf den Arbeitsmarkt kommen.

Migration und höhere Erwerbstätigkeit können diese Effekte zwar mildern, aber in den meisten betroffenen Ländern nicht vollständig kompensieren. Der Faktor Arbeit wird damit in immer mehr weltwirtschaftlichen Regionen knapper und teurer, eine Gegenbewegung zu den bisherigen Treibern der Globalisierung, die bislang den Preisauftrieb begrenzt hatte.

(Mit der Frage, welche Folgen diese Entwicklung für den Immobilienmarkt hat, befasst sich der Handelsimmobilien Report in der nächsten Ausgabe.)