Handel 2022/2023: Besuche in den Innenstädten

Die Städte müssen gute Gründe liefern

Die Menschen kehren in die Innenstädte zurück. Foto: R. Vierbuchen

Für den stationären Einzelhandel und die Innenstädte waren die Zwangsschließungen zur Pandemiebekämpfen gravierende Einschnitte in einer Phase, in der die Branche ohnehin in einem Strukturwandel steckte. Wie gravierend die Folgen sind, zeigen die Insolvenzen namhafter Handelsunternehmen. Nach Abflauen der Pandemie stellt sich mit Blick auf die Zukunft von Stadt und Handel nun die Frage, wie viel Normalität in die deutschen Innenstädte zurückgekehrt ist – und was getan werden muss, um die Lage zu verbessern.

Viele Branchen sind noch weit hinter der Vor-Corona-Zeit – sprich: dem Jahr 2019 – zurück, wie Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln beim Web Talk Handel 2022/2023: Fokus Innenstadt konstatierte. Der Modehandel, der für viele einer der Hauptgründe für den Besuch in der Stadt ist, leide immer noch. Ein Lichtblick ist, dass sich die Frequenzen in den Innenstädten erholen. Viele hätten sich nach dem Ende der Beschränkungen gefreut, überhaupt wieder raus zu dürfen, doch warnt Hudetz gleichzeitig, dass dieser Effekt auch schnell wieder verpuffen kann.

Denn im Gegensatz zu früher als die Konsumenten in die Städte gehen mussten, um sich etwa mit Bekleidung einzudecken, lässt sich heute das meiste auch bequem im Internet bestellen, so dass die Menschen gar nicht mehr zwingend in die Städte gehen müssen und deshalb auch nicht mehr automatisch kommen. Nach Feststellung von IFH-Geschäftsführer Hudetz haben die Städte lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Stadtbesucher Kunden sind, denen die Innenstädte etwas bieten müssen, damit sie vorbeischauen.

Die monatelangen Zwangsschließungen und Beschränkungen haben zusätzlich viele Konsumenten dazu gebracht, im Online-Shop zu kaufen und viele sind auf den Geschmack gekommen. So entfielen von den 102,6 Mrd. Euro Umsatzwachstum im Jahr 2022 – gemessen am Vor-Corona-Jahr 2019 – nach den Worten von Johannes B. Berentzen, geschäftsführender Gesellschafter der BBE Handelsberatung GmbH in München, 29,4% oder 30,2 Mrd. Euro auf den Online-Handel. In diesem Kontext weist er aber auch darauf hin, dass ein Teil der Online-Erlöse auf den stationären Einzelhandel entfallen.

Das zeigt der Blick auf die Zahlen: Demnach entfallen 40,7% der Online-Umsätze auf den Einzelhandel mit stationärer DNA, die reinen Internet Pure Player bestreiten 35,8% der Online-Umsätze, die Katalogversender wie etwa Otto 12% und die Hersteller 11,5%. Wie Berentzen betont, ist es den stationären Einzelhändlern 2022 im Online-Geschäft gelungen, aufzuholen.

Aber auch der stationäre Verkauf hat Boden gut gemacht. So zeigt der Umsatzrückgang im Versand- und Online-Handel im vergangenen Jahr um nominal 3,6% und real um 8,5% wie das Statistische Bundesamtes ermittelte, bei einem gleichzeitigen Anstieg der Erlöse im „Einzelhandel in Verkaufsräumen“ um nominal 9,9% und real 1,3%, dass viele Menschen wieder vermehrt in die realen Geschäfte und die Städte zurückgekehrt sind.

Viele Menschen kehren in die Läden zurück

Mit Blick auf die vielfältigen und umfangreichen Warenangebote der Online-Konkurrenz muss eine Stadt nach den Worten des BBE-Geschäftsführers heute aber gute Gründe liefern, damit die Menschen in die Innenstädte kommen. Und der Blick auf die Befragung von knapp 69 000 Stadtbesuchern in 111 Städten im vergangenen Herbst für die Studie „Vitale Innenstädte“ des IFH zeigt, dass die Menschen mit dem Einzelhandelsangebot nicht rundum zufrieden sind. Zwar hat sich die Benotung des Einzelhandelsangebots 2022 – gegenüber 2020 – leicht von 2,5 auf die Schulnote 2,4 verbessert, doch gibt es auch die 37,9% der Befragten, die das Einzelhandelsangebot mit Note 3 und schlechter bewerteten. Hinzu kommt, wie Berentzen anmerkt, dass diese Befragung die Gründe der Menschen, die nicht mehr in die Städte kommen, nicht erfassen kann. Doch auch die gilt es zurückzugewinnen.

Mit Blick auf die aktuellen Diskussionen über die Nachnutzung von leerstehenden Einzelhandelsflächen durch andere Nutzungsarten wie Büros, Hotels, Arztpraxen oder Wohnungen ist das Ergebnis der IFH-Umfrage, dass der Hauptgrund für den Stadtbesuch (60% der Nennungen) immer noch das Einkaufen und der Einkaufsbummel sind, von großer Bedeutung – auch wenn die Bedeutung etwas nachgelassen hat und die Gastronomie mit 35% der Nennungen – nach 26% im Jahr 2020 – deutlich zulegen konnte.

Doch weist Berentzen darauf hin, dass Wohnungen in den Innenstädten mit 16% der Nennungen nicht für Frequenz und Anziehung sorgen. Auch auf den Behördengang, den Arztbesuch, den Gang zur Arbeit oder zur Ausbildungsstätte entfallen nur 16% der Nennungen als Grund für den Stadtbesuch, genauso wie für den Gang zum Frisör oder anderen Dienstleistern. Die Keimzelle für Frequenz in der Innenstadt ist laut Berentzen der Handel. Oder wie IFH-Geschäftsführer Hudetz es formuliert: Der Handel ist nicht alles, aber ohne Handel ist alles nichts.

Wohnungen sorgen in der City nicht für Frequenz

Zur Erwartungshaltung der Befragten an eine attraktive Innenstadt gehören laut IFH-Studie denn auch Geschäfte zum Shoppen und Bummeln, knapp vor Geschäften für die tägliche Versorgung – vor allem für jüngere Menschen ist das noch wichtiger als für Ältere. Geschätzt werden Orte zum Verweilen und um Freunde zu treffen. Und dazu passt das wachsende Interesse an der Gastronomie allgemein und der Außengastronomie, genauso wie Sonstige Freizeitangebote sowie Sport und Spiel.

Tatsache ist andererseits, dass viele Facheinzelhändler mit ihren originellen Konzepten aus dem Markt verschwunden sind, dass viele Filialisten ihr Filialnetz bereinigen und/oder ihre Verkaufsflächen verkleinern und ein Teil der Einzelhandelsflächen künftig leer steht, so dass Alternativen gesucht werden und weitere Anreize für den Stadtbesuch geschaffen werden müssen. Die gibt es aber nicht nur in Form von Handels-fremden Nutzungen, auch klassische Einzelhändler von der grünen Wiese beispielsweise kommen mit neuartigen Konzepten und Ideen in die Innenstädte.

Zu nennen sind hier etwa Hagebau und Decathlon mit innerstädtischen Kleinfläche oder Ikea mit einem Studio-Konzept nur für die Planung von Küchen. Laut IFH-Geschäftsführer Hudetz bringt der Handel die Marke zum Kunden in die Innenstadt, doch mit einem ganz anderen Konzept. Denn ganz Ikea oder ganz Hagebau auf einer innerstädtischen Kleinfläche funktioniert nicht und würde nur Frust erzeugen.

Dass es immer noch viele eingefleischte Einzelhändler mit überzeugenden Konzepten und tollem Erlebniswert gibt, die sich einsetzen und an den Innenstadt-Handel glauben, hat Berentzen jetzt wieder im Zusammenhang mit den Bewerbungen für den aktuellen Wettbewerb „Stores of the Year 2023“, erfahren. Die Gewinner werden beim nächsten Handelsimmobilien-Kongress Ende des Monats in Berlin bekannt gegeben. Die ideenreichen Bewerber für den diesjährigen Wettbewerb stimmen Berentzen optimistisch – in dieser schwierigen Zeit des Strukturwandels.