Marktausblick

Die konsequente Bekämpfung der Inflation sollte Priorität haben

HIR DÜSSELDORF.Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat sowohl die kurzfristige Konjunkturentwicklung als auch die mittelfristigen Aussichten für Wachstum und Wohlstand stark verändert. Laut Ifo Institut droht eine Stagflation, da die Inflation hoch bleiben wird und das Wachstum schwach ausfällt oder die Wirtschaft in eine Rezession gerät. Die Geldpolitik steht vor dem Konflikt, mit Zinserhöhungen die Inflation einzudämmen aber das Wachstum damit zu dämpfen. Die Finanzpolitik kann zwar die Last steigender Preise umverteilen, sie aber nicht aus der Welt schaffen.

Wie das Ifo Institut, München, in seiner Einschätzung über die wirtschaftliche Entwicklung unter den Bedingungen des Ukraine-Kriegs feststellt, werden die eingeleiteten Maßnahmen zur Diversifizierung der Energieversorgung zu mehr Versorgungssicherheit führen – aber bei höheren Energiekosten. Deutschland als Standort für energieintensive Industrien droht an Boden zu verlieren. Ein Gasembargo gegen Russland würde womöglich den Zerfall der Weltwirtschaft in einen amerikanisch und einen chinesisch dominierten Block begünstigen.

Größter Verlierer ist aus Sicht der Ifo-Experten zwar Russland, doch wird auch in Deutschland der Wohlstand sinken, da beispielsweise eine neue Infrastruktur für die Energieversorgung aufgebaut werden muss, es wird mehr Geld für Rüstung ausgegeben und für die Flüchtlingshilfe. Als Konsequenz müssten die Steuern langfristig erhöht und die Staatsausgaben gesenkt werden.

Mit einer herkömmlichen Konjunkturpolitik in Form höherer öffentlicher Ausgaben oder steuerlicher Entlastungen ist dem Problem, dass die Energiepreise weiter gestiegen sind und die Kaufkraft der Bundesbürger schmälern und so die Konjunktur belasten, nicht beizukommen. Denn es gibt keinen Mangel an Nachfrage, sondern eine Verknappung des Güterangebots.

Dabei ist der Weg, die Steuern auf Benzin zu senken populär, aber ökonomisch eher schädlich. Denn da die Steuersenkung nicht automatisch an Kunden weitergegeben wird, dürfte ein Teil dieser Entlastung die Gewinne der Mineralölproduzenten steigern. Nach empirischen Schätzungen macht das mindestens ein Drittel aus.

Der Rest der Entlastung fließt zum großen Teil an Haushalte mit überdurchschnittlichen Einkommen, die aber bei Steuererhöhungen künftig zur Kasse gebeten werden, um die Staatsschulden zu bedienen, die zur Finanzierung der Benzinsteuersenkung aufgenommen wurden. Es handelt sich also für viele nur um eine Umverteilung von der rechten in die linke Tasche.

Deshalb ist es besser, Haushalten mit niedrigen Einkommen oder Fernpendlern, die durch hohe Benzinpreise sehr stark belastet werden, gezielt zu helfen. Unter den bisherigen Maßnahmen sind pauschale Zahlungen an Empfänger von Sozialtransfers und kinderreiche Familien sowie höhere steuerliche Pauschalen für Fernpendler überzeugendere Maßnahme.

Andererseits sind hohe Energiepreise in der aktuellen Lage wichtig, da sie Verbrauchern und Unternehmen einen Anreiz geben, Energie zu sparen. Um einkommensschwache Haushalte dabei nicht zu überfordern, sollten diese gezielt unterstützt werden. Unternehmen, die die Last nicht tragen können, sollte der Zugang zu Krediten erleichtert werden, damit sie so wenig öffentliche Beihilfen wie möglich in Anspruch nehmen. Störungen auf dem Arbeitsmarkt könnten durch die Kurzarbeit abgemildert werden.

In diesem Kriegs-Szenario wird die Inflation nach Einschätzung des Ifo Instituts – angetrieben von den steigenden Preisen für Energie und Lebensmittel – in den nächsten Monaten bei über 7% liegen. In der Eurozone liegt sie mit 9,9% derzeit noch etwas höher. Es wäre vor dem Hintergrund der konjunkturellen Abschwächung zwar naheliegend, von der Europäischen Zentralbank (EZB) zu fordern, dass sie den Abbau der Anleihekäufe weiter verschiebt, doch würde damit die Gefahr zunehmen, dass die Inflation weiter steigt und sich die Inflationserwartungen „entankern“.

Abbau der Anleihekäufe darf nicht weiter verschoben werden

Da die EZB vor allem Einfluss auf die längerfristigen Inflationserwartungen hat, ist es sinnvoll, zu verhindern, dass sich Tarifpartner und andere Marktakteure auf höhere Inflationsraten einstellen und so eine Lohn-Preis-Spirale entsteht, die nur mit hohen Kosten zu stoppen ist. In dieser Lage muss die EZB trotz fragiler Konjunktur primär die Inflation bekämpfen.

Ein erhebliches Risiko für die weitere Konjunkturentwicklung wäre ein plötzlicher Ausfall der Gasimporte aus Russland, wenn sich die russische Regierung entscheidet, kein Gas mehr zu exportieren oder weil Pipelines durch Kriegshandlungen beschädigt werden oder weil die deutsche Regierung sich – im Alleingang oder EU-weit koordiniert – entscheidet, kein Gas aus Russland mehr zu importieren. Denn während Öl und Kohle wahrscheinlich aus anderen Ländern geliefert werden können, ist die Lage auf dem Gasmarkt komplexer. Auf Grund des bestehenden Pipelinenetzes und der letztlich begrenzten Kapazitäten der Terminals ist eine kurzfristige Substitution des russischen Gases durch LNG ebenso wie eine Erhöhung der Pipelineimporte aus anderen Ländern nur begrenzt möglich. Deshalb sollten politische Maßnahmen darauf abzielen, die Anreize zur Substitution und Einsparung fossiler Energien so schnell wie möglich zu erhöhen. Ein schnelles Handeln würde die Notwendigkeit noch massiverer Anpassungen in diesem oder im nächsten Jahr vermeiden.

Die deutsche Politik hat sich offenbar dafür entschiede, kurzfristig weiter Gas aus Russland zu importieren, die Importe aber mittelfristig ganz einzustellen. Dieses Prozedere ist problematisch. Sofern es überhaupt sinnvoll ist, Gasimporte aus Russland einzustellen, dann sollte das sofort geschehen. Nach dem Ende des Ukraine-Krieges wäre es sowohl im Hinblick auf Kosten der Energieversorgung als auch strategisch klüger, weiter Gas aus Russland zu importieren.

Gleichzeitig müssen Parallelstrukturen aufgebaut werden, u.a. durch den Aufbau von LNG-Terminals und diversifizierte Lieferbeziehungen, um schnell auf russisches Gas verzichten zu können. Dies sollte EU-weit koordiniert werden. Das führt aber zu einer Gasversorgung, die teurer ist als bisher, aber auch deutlich sicherer. Zudem würde aus der heutigen beidseitigen Abhängigkeit eine einseitige Abhängigkeit Russlands von der EU werden. Das wäre für die Europäische Union unter strategischen Aspekten besser als ein dauerhafter Abbruch der Gasimporte.

Denn bei einem Abbruch endet zwar die Abhängigkeit der EU von den Importen, es entfällt aber auch die Möglichkeit, auf Russland Druck auszuüben. Ob Russland bereit wäre, sich in diese einseitige Abhängigkeit zu begeben, ist offen. Das Land hat aber nur die Alternative, vollständig von anderen Nachfragern wie etwa China oder Indien abhängig zu werden. Das spricht dafür, dass Russland auch unter diesen Bedingungen weiter Gas an die EU-Staaten liefern würde.