Einzelhandelskonjunktur

Die Inflation hinterlässt deutliche Spuren

Die Bundesbürger halten sich mit Anschaffungen zurück. Foto: BBE

rv DÜSSELDORF. Der Umsatzeinbruch von real 9,8% im Juni im deutschen Einzelhandel ist ein deutliches Zeichen für die bestehende Irritation der Bundesbürger über die unvermindert hohen Teuerungsraten in allen Bereichen ihres Alltags. Entsprechend ist das GfK-Konsumklima inzwischen auf den niedrigsten Wert seit Erhebung der Verbraucherstimmung für Gesamtdeutschland im Jahr 1991 abgesackt.

Vor diesem Hintergrund konstatiert das IFH Köln in seiner Gemeinschaftsstudie mit der BBE Handelsberatung über die Trendentwicklung 2022/2023, dass die Herausforderungen durch „Lieferengpässe, Preissteigerungen und Energieknappheit“ für die Konsumgütermärkte und den Einzelhandel im Angesicht von Coronapandemie und Ukrainekrise größer denn je sind. „Auf Seiten der Konsumentinnen und Konsumenten herrscht Verunsicherung, verzichtbarer Konsum wird stark reduziert, größere Investitionen werden aufgeschoben“, weist Johannes Berentzen, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung, auf die offenkundige Kaufzurückhaltung hin.

Nach Feststellung des Statistischen Bundesamtes betraf die Kaufzurückhaltung fast alle Branchen. Der Lebensmittelhandel lag im Juni real um -7,3% unter dem Vorjahreswert, nominal aber noch mit 1,8% im Plus, der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren verlor gegenüber Juni 2021 real -12,1% und nominal -10,8% - und lag damit um 13,6% unter Juni 2019. Beim „Einzelhandel in Verkaufsräumen“, also dem stationären Handel, lag das Minus real bei 8,5% (nominal -0,7%). Und auch der Internet- und Versandhandel büßte real 15,5% (nominal -10,7%) ein, blieb aber um 22,3% über dem Wert vom Juni 2019.

Aus Sicht von Berentzen bleibt das Marktumfeld für den deutschen Einzelhandel, das in den vergangenen Jahren schon durch die Digitalisierung und die Corona-bedingten Zwangsschließungen beeinträchtigt war, damit herausfordernd. In einigen Teilbranchen geht er auch von einer Fortsetzung der Konsolidierung aus. In diesem Umfeld prognostiziert der Handelsverband Deutschland für 2022 dennoch ein nominales Wachstum von 3%, was bei der hohen Inflationsrate aber einem realen Rückgang von -2% entsprechen dürfte. Es ist aber durchaus möglich, dass die Inflation höher ausfällt als die hier zugrunde gelegten 5%.

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres liegt das Umsatzwachstum des deutschen Einzelhandels real noch bei +0,6% und nominal bei +6,9%. Mit zunehmender Kaufzurückhaltung könnte der Umsatz im zweiten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum jedoch schrumpfen. Während der Internet- und Versandhandel im ersten Halbjahr 2022 gemessen am Vorjahreszeitraum einen Erlösrückgang von real 11,3% verbuchen musste, lag der Einzelhandel in Verkaufsräumen mit einem Wachstum von real 3,7% und nominal 9,6% noch im Plus.

Das spricht dafür, dass viele Kunden nach Lockerung der Coronamaßnahmen in die Einkaufsstraßen zurückgekehrt sind. Der arg gebeutelte Einzelhandel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren erzielte im ersten Halbjahr per Saldo – gegenüber 2021 – sogar noch ein Umsatzplus von real 69,1% und nominal 71,3%. Ob sich dieser Aufwärtstrend im zweiten Halbjahr fortsetzen kann, ist nach dem Rückgang im Juni und dem deutlichen Absturz des Konsumklimas derzeit offen.

„Die von den Konsumentinnen und Konsumenten wahrgenommenen Preiserhöhungen führen vor allem zu Sparverhalten und strategischem Einsatz von Haushaltsbudgets, insbesondere im Bereich Lebensmittel“, berichtet das IFH in seiner Studie. Hinzu kommt, dass viele Haushalte mit Blick auf die erwartete drastische Erhöhung der Gaspreise ihr Geld zusammenhalten müssen und der Spielraum für andere Anschaffungen kleiner wird.

Trotz der großen Unsicherheiten, die jede Prognose gegenwärtig beeinflussen, wagen IFH und BBE schon einen Blick auf das Jahr 2023. So gehen die Experten davon aus, dass alle Handelsbranchen ein Wachstum in der Bandbreite von 1,0% und 2,5% erzielen können. „Das liegt trotz erwarteter weiterer Preiserhöhungen nominal unter den langjährigen Wachstumsraten und bringt bei einem Teil der Branchen reale Umsatzverluste und bei den übrigen Branchen reale Umsatzzuwächse – wenn auch im Promillebereich – mit sich“, schreiben die Experten. Nach den Szenario-Berechnungen des IFH Köln könnten vor allem die Mode-Branchen und die Märkte rund um Freizeit/Hobby – auf Grund von Nachholeffekten – die höchsten Wachstumsraten erwarten.