Urbanisierung

Die Entwicklung verliert an Dynamik

Von Potsdam aus ist Berlin relativ schnell zu erreichen. Bild: Fotolia

rv DÜSSELDORF. Der Begriff (Re)Urbanisierung, die Rückkehr der Wohnbevölkerung in die Städte, füllt seit etwa zwei Dekaden die Schlagzeilen. Vor allem der Lebensmittelhandel, der in den 1970er-/1980er-Jahren mit seinen Verbrauchermärkten und SB-Warenhäusern auf die kostengünstigere grüne Wiese gezogen war, kehrt mit neuen (City)Konzepten in die Großstädte zurück. Doch mit den steigenden Wohnungsmieten in den Städten hat die Dynamik der „Urbanisierung“ inzwischen etwas abgenommen, wie Catella Research in seinem Market Tracker zum dritten Quartal 2020 festgestellt hat.

Einer der Gründe für die etwas nachlassende Dynamik sind zweifellos die Wohnungsmieten in den Großstädten und die Kaufpreise, die seit dem Jahr 2010, mit Ausbruch der Euro-Schuldenkrise und der folgenden Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), nur eine Richtung kennen: nach oben. Das verdrängt einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen in die Agglomerationsräume (Speckgürtel), heißt es dazu im Catella Market Tracker„Zwischen Urbanisierung und Suburbanisierung – wo wohnen die Deutschen zukünftig?“

Nach Einschätzung von Prof. Thomas Beyerle, Leiter Research bei der Catella Group, wird die „unzureichende Bautätigkeit im bezahlbaren Wohnraumsektor weiterhin zu einem Nachfrageüberhang und steigenden Preisen führen“. Da gleichzeitig die Infrastruktur im ländlichen Raum verbessert wird und das Pendeln zum Arbeitsplatz in der Stadt weniger Zeit in Anspruch nimmt, werden die Randbereiche um die Städte herum mit ihren niedrigeren Mieten als Wohnstandorte für einige Bevölkerungsgruppen wieder attraktiv (siehe Abb. 4, Quelle: Catella).

Exemplarisch dafür steht laut Catella Tracker etwa der Landkreis Harburg, der mit der Hansestadt Hamburg stark verwoben ist und der zwischen 2018 und 2019 einen Bevölkerungszuwachs von immerhin 2,66% verzeichnete. Oder die Städte Potsdam und Offenbach, die an die Metropolen Berlin bzw. Frankfurt am Main grenzen und einen Zuwachs von 17 resp. 2,43% verzeichnen. Aus diesem Trend ergibt sich für die Forscher die entscheidende Frage: Ist die Phase einer anhaltenden Urbanisierung gestoppt und wird daher der suburbane Raum das neue Ziel verstärkter Wanderungsbewegungen sein?

Aus ihrer Sicht lassen sich bereits heute verschiedene Indikatoren herausstellen, die diese Annahme durchaus stützen: So gehen die Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung in den Großstädten zwischen 2020 und 2030 von einer abnehmenden Dynamik aus, während bei detaillierter Betrachtung einiger ausgewählter Regionen in den Speckgürteln der Großstädte zwischen 2018 und 2020 teilweise starke Bevölkerungszuwächse zu verzeichnen waren.

Andere Randbereiche von Großstädten verloren hingegen Bewohner, wie zum Beispiel der Kreis Mettmann in der Nähe von Düsseldorf mit -2%, der an die Rheinmetropole allerdings auch schlecht angebunden ist. Noch höher fällt der Verlust mit über 11% im Altenburger Land im Umland von Leipzig aus. Von hier aus benötigt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln 38 Minuten und mit dem Pkw 49 Minuten, um nach Leipzig zu kommen. Anhand der Daten schlussfolgern die Experten, dass die Entfernungen zum Stadtzentrum und die entsprechend benötigte Reisezeit wesentlich darüber entscheidet, ob die Bevölkerung bereit ist, aus den Umland-Regionen in den städtischen Raum mit kürzeren Wegen abzuwandern – sofern sie sich die höheren Mieten finanziell leisten können.

Entscheidend ist die Entfernung zum Stadtzentrum

Ein anderer Aspekt, der eine Rolle spielt, ist die Altersstruktur, die die Wahl des Wohnorts gleichfalls mitbestimmt. So zieht es Menschen der Altersgruppe zwischen 18 und 29 Jahren stärker in die Städte, weil sie hier bessere Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten finden. Familien in der Altersklasse der 30- bis 49-Jährigen gehen eher in die Agglomerationsräume (Speckgürtel) um die Großstädte, wobei es laut Market Tracker – wie erwähnt - starke regionale Differenzen gibt und Unterschiede zwischen Ost und West. Familien und die Altersgruppe „50 plus“ zieht es auch in die ländlichen Regionen außerhalb der Speckgürtel.

Dass durch die Covid-19-Pandemie jedoch die Sichtweise auf den eigenen Wohnraum und den Wohnstandort verändert werden könnte, liegt auf der Hand. Die Catella-Forscher können sich vorstellen, dass das urbane Wohnen, das geprägt wird von vielen Menschen, die in relativ kleinen Wohnungen auf relativ engem Raum leben, mit Blick auf die höhere Infektionsgefahr kritischer gesehen wird. Vor diesem Hintergrund könnte aus ihrer Sicht das Wohnen im Randbereich der Städte auf größeren Wohnflächen und in der Nähe zu Natur und Naherholung künftig an Bedeutung gewinnen. Das gilt auch mit Blick auf die Tatsache, dass Urlaub im Ausland für viele in der aktuellen Situation nicht in Frage kommt.

In ihrem Fazit kommen die Marktforscher zu dem Schluss, dass die Urbanisierung nicht gestoppt ist, sich jedoch weniger dynamisch entwickelt. Gleichzeitig könnte der suburbane Raum vor allem in den Speckgürteln der Großstädte Bevölkerungswachstum verzeichnen, so dass auch hier die Mieten zulegen könnten. „Dabei gibt es starke Differenzen zwischen stark peripheren Räumen und dem ländlicheren Umland der Städte“, heißt es im Market Tracker: „Somit ergeben sich aus Investorensicht erweiterte Diversifizierungspotenziale durch die breit gefächerten standortspezifischen Faktoren der Randbereiche.“

Die Forscher gehen davon aus, dass Städte und vor allem ihre Speckgürtel am stärksten wachsen werden, während im ländlichen Raum die Bevölkerung weiter schrumpft. Die Frage bleibt, wie viel sich durch Corona künftig ändern wird?