Einzelhandel in Europa

Der „Brick and Mortar Retail“ ist effektiver als der Online-Handel

Bekleidungs- und Schuhhandel zieht es vermehrt in Fachmarktzentren. Foto: Cushman & Wakefield

rv DÜSSELDORF. Die Zwangsschließungen zur Pandemie-Bekämpfung haben den betroffenen Einzelhändlern in ganz Europa zu schaffen gemacht. Nach dem starken Einbruch auf dem deutschen Vermietungsmarkt im Jahr 2020 erholt sich die Stimmung unter den Einzelhändlern inzwischen wieder spürbar. Diesen Trend hat der globale Immobiliendienstleister CBRE im Rahmen einer Untersuchung jetzt auch im gesamten europäischen Einzelhandel registriert.

Gemäß der Studie EMEA Retail Occupier Survey von CBRE tragen sich viele stationäre Einzelhändler wieder verstärkt mit Expansionsplänen. So will die Mehrheit (57%) der befragten Händler ihr Ladennetz bis Ende des Jahres 2022 ausweiten. Befragt hat der Immobiliendienstleister dafür mehr als 50 der größten europäischen Einzelhändler aus allen Branchen mit einem Netz aus weltweit 70 000 Läden. Themen der Befragung waren die aktuelle Lage der Einzelhändler im Vergleich zur Zeit vor Ausbruch der Pandemie, ihre aktuellen Expansionspläne, der Blick auf die Bedeutung von Online- und Offline-Handel, die Pläne mit Blick auf die Lieferkette und die Einstellung zu den ESG-Kriterien.

Interessant ist dabei, dass 37% der expansionswilligen Einzelhändler planen, in Märkten zu expandieren, in denen sie bislang noch nicht vertreten sind. Dabei zählt Deutschland neben Frankreich und Großbritannien zu den drei wichtigsten Expansionszielen.

Vor dem Hintergrund des allenthalben wachsenden Online-Handels – hierzulande schätzen Experten, dass künftig etwa die Hälfte der Textilien künftig online verkauft wird – stellt sich die Frage, warum viele stationäre Einzelhändler so stark auf die Vergrößerung ihres Ladennetzes setzen? Auch darauf gibt die Studie eine Antwort. Denn aus Sicht der Branche ist der „Brick and Mortar Retail“ effektiver als der Online-Handel. So gaben 64% der Befragten an, dass die Existenz von realen Stores in einem lokalen Markt auch den Online-Verkauf beflügelt.

Diese Erkenntnis hatte bereits vor Jahren der International Council of ShoppingCenters (ICSC) Europe in einer entsprechenden Befragung gesammelt. Punkten konnte der stationäre Einzelhandel gegenüber dem Online-Handel laut CBRE-Studie auch bei Kennzahlen wie Rentabilität, Cross-Selling von Produkten, die Gewinnung neuer Kunden, Kundenbindung und die Einführung neuer Produktlinien. Bei allen Kennzahlen bekundeten die befragten Einzelhändler demnach, dass der stationäre Einzelhandel effektiver sei als der Online-Handel.

Der stationäre Laden beflügelt auch den Online-Shop

Auch die Tatsache, dass die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung die Frequenz in den klassischen Einkaufslagen stark beeinträchtigt hat, konnte die Standortwahl der Einzelhändler nicht beeinflussen. So präferiert die größte Gruppe der Befragten (knapp 25%), große Shopping-Center als bevorzugten Standort für die Expansion. Dies ist bei einer grenzüberschreitenden Expansion in einen neuen Markt nicht überraschend. Die Agglomeration eines namhaften Shopping-Centers sichert dem Neuling, der den Markt noch nicht kennt, eine hinreichende Frequenz.

Auf dem zweiten Platz rangieren die Haupteinkaufslagen in den großen Städten. Auch hier ist in normalen Zeiten die Frequenz für einen neuen Anbieter groß genug – anders als in den Einkaufsstraßen von kleineren Städten, die nur etwa 7% der Befragten auf dem Radar haben.

Nachdem Fachmarktzentren mit Schwerpunkt Nahversorgung gut durch die schwierigen Pandemie-Zeiten gekommen sind, denn Lebensmittelhändler und Drogeriemärkte waren weiter geöffnet, haben laut CBRE-Umfrage speziell für Bekleidungs- und Schuhhändler Fachmarktzentren bei der Standortwahl „oberste Priorität“. Allerdings kommt es bei dieser Wahl auch auf das Genre des Einzelhändlers und des Fachmarktzentrums an. Denn manche Fachmarktzentren sind sehr preisorientiert und nicht der richtige Standort für gehobene Marken. Dafür sind mehr hybride Malls in Fachmarktlagen mit dem Mietermix klassischer Shopping-Center geeignet.

Mit Blick auf diese Ergebnisse besteht laut Frank Emmerich, Head of Retail bei CBRE in Deutschland, kein Zweifel daran, dass der Onlinehandel zwar auf dem Vormarsch ist, doch erweise sich der stationäre Einzelhandel trotz allem als sehr resilient: „Die Händler wollen expandieren, da ihnen die physische Präsenz in Einkaufsstraßen und Shopping-Centern entscheidende Vorteile bietet, die der Online-Handel allein nicht bieten kann.“

Das Thema Nachhaltigkeit ist nicht mehr wegzudenken

Da Lieferengpässe durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg im Einzelhandel ein wachsendes Problem darstellen, hat CBRE auch bei diesem Thema nach den Lösungsansätzen der Branche gefragt. Hier setzen die Befragten vor allem auf Softwarelösungen, gefolgt von dem Plan, die Lagerkapazitäten auszubauen, um größere Bestände anzulegen und schließlich auf ein sogenanntes „Nearshoring“, worunter die Rückverlagerung von Produktionen nach Europa verstanden wird.

Mit Blick auf den drastischen Anstieg der Energiepreise und die wachsende gesellschaftliche Sensibilität gegenüber sozialen Themen und guter Unternehmensführung gewinnt zudem das Thema ESG im Energie-intensiven stationären Einzelhandel an Bedeutung. In diesem Kontext stimmten laut CBRE 38% der befragten Einzelhändler der Aussage zu, dass sie bei ihrer Expansionsstrategie mehr Wert auf die Frage legen werden, ob die jeweilige Handelsimmobilie auch die ESG-Kriterien erfüllt.

Interessant ist dabei, dass es aus Sicht der Branche leichter ist, im stationären Einzelhandel ESG-Ziele zu erreichen als im Online-Handel. Darüber hinaus gehen viele Befragte davon aus, dass grüne Mietverträge in den nächsten drei Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Mietvertragsverhandlungen einbezogen würden.

Wie Alex Ozga, Senior Research AnalystEMEA Retail bei CBRE, berichtet, ist das Thema Nachhaltigkeit inzwischen zu einem zentralen Thema für die Mieter aus dem Einzelhandel geworden: „Viele der größten europäischen Einzelhändler haben sich verpflichtet, bis 2040 ein Netto-Null-Unternehmen zu werden, wobei Einzelhändler im Modebereich beispielsweise zunehmend das Ausbessern und Verleihen von Bekleidungen als Teil ihres Serviceangebots anbieten.“ Aus seiner Sicht deuten die Umfrageergebnisse darauf hin, dass die Fokussierung auf das Thema Nachhaltigkeit auch die Immobilienpläne der Einzelhändler beeinflussen wird.