Bewertung von Immobilien

An Zertifikaten führt kein Weg vorbei

Bild: Redevco

Was vor der Zinswende noch Kür war, ist heute Pflicht: Die Bewertung und Zertifizierung von Immobilien in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit. Ohne entsprechende Zertifikate ist eine erfolgreiche Platzierung von Objekten in einem Käufermarkt mittlerweile kaum möglich. Ebenso ist eine zunehmende Bedeutung von Zertifizierungen bei langfristig orientierten Immobilienbestandshaltern deutlich wahrnehmbar. In diesem Artikel soll erläutert werden, welche Nachhaltigkeitsmaßnahmen die Zertifizierung in der Praxis aus der Perspektive eines paneuropäisch aufgestellten Real-Estate-Management-Unternehmens umfasst.

Das Risiko eines „Stranded Assets“ gewinnt bei Investitionsentscheidungen auf dem Immobilienmarkt immer mehr an Bedeutung. Investoren und Bestandshalter haben einen wachsenden Bedarf an Benchmarks und Orientierungshilfen bei Transaktionen und Investitionsentscheidungen, um den wachsenden Anforderungen an die klimaneutrale und ESG-konforme Ausrichtung von Immobilien gerecht zu werden und damit eine vorzeitige Abwertung des Bestands zu vermeiden.

Aus der Entwicklerperspektive können Zertifizierungen hierbei als Bewertungsmodell dienen, auf dessen Grundlage sich Nachhaltigkeitsmaßnahmen ableiten und den jeweiligen Projektbeteiligten zuweisen lassen. Bei Transaktionen wiederum heben entsprechende standardisierte Zertifizierungssysteme gewisse Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer auf und schaffen eine größere Markttransparenz. Schließlich führt die große Schnittmenge der Anforderungen von etablierten Zertifizierungssystemen mit denen der EU-Taxonomie zu weiteren Synergien mit Blick auf die Resilienz eines Immobilienportfolios.

Bei der Arbeit an paneuropäischen Immobilienbeständen ist die Zertifizierung nach BREEAM mittlerweile branchenüblich, sowohl wenn es um neue Entwicklungen geht als auch für Zertifizierungen von Bestandsimmobilien („in use“). Im Rahmen der BREEAM-Zertifizierung werden Gebäude mittels einer Skala von null bis 100 Punkten bewertet und je nach erreichter Punktzahl wird einer der fünf Exzellenzgrade (Neubau) bzw. sechs Exzellenzgrade (Bestand) verliehen.

Aus Sicht von Bestandshaltern ist die „In use“-Zertifizierung ein gutes Mittel, um Antworten zu erhalten auf Fragen wie: Wo stehen wir mit dem Asset? Haben wir ein großes Risiko, dass es in Zukunft ein Stranded Asset wird? Dem Anspruch an ein allumfassendes Bewertungssystem können Zertifizierungen alleine jedoch kaum gerecht werden, da sich die Anforderungen an zukunftsfähige und resiliente Assets in einem stetigen Wandel befinden.

Das Zertifizierungssystem BREEAM ist im Rahmen von Neu- und Umbauten sowohl ein Maßnahmenkatalog als auch ein Bewertungsmodell, anhand dessen sich ableiten lässt, welche Investitionen dazu beitragen, ein Objekt „future proof“ (zukunftsfähig) zu machen. Offen ist in gewisser Weise, welches Zertifikat sich am Ende durchsetzt. BREEAM ist für die Immobilienmanager von Vorteil, deren Objekte in verschiedenen europäischen Ländern und ggf. auch auf anderen Kontinenten verortet sind. Sie verfügen damit über ein international anerkanntes Zertifikat, das auch länderübergreifende Vergleiche ermöglicht. Wer ausschließlich in der DACH-Region verankert ist, nutzt bislang meist die DGNB-Zertifizierung, die am Markt weit verbreitet ist. Unabhängig davon, welches Zertifikat sich letzten Endes durchsetzen wird, ist bereits heute klar: Immobilien ohne Zertifikat senden ein falsches Signal aus.

Offen ist noch, welches Zertifikat sich am Ende durchsetzt

Als langfristig orientierter Bestandshalter hat Redevco sich zum Ziel gesetzt, mit seinen Immobilienentwicklungen einen positiven Beitrag zur Stärkung der Innenstädte zu leisten und Vorreiter im Sinne der Nachhaltigkeit zu sein. Das Unternehmen hat sich bereits 2019 verpflichtet, das gesamte Portfolio bis 2040 auf den Net-Zero-Carbon-Stand zu bringen und den CO2-Fußabdruck von Entwicklungen weitestgehend zu minimieren. Im Rahmen von Neuentwicklungen werden daher sowohl die Betriebs- als auch die Bauphase in Bezug auf die Nachhaltigkeit betrachtet. Ein gutes Bespiel hierfür ist das Projekt Elisen Palais (Foto) an der Mönckebergstraße in der Hamburger Innenstadt. Dort kommt neben der BREEAM-Zertifizierung der „Cradle to Cradle“-Ansatz ins Spiel, bei dem die Kreislauffähigkeit bei der Wahl der Materialien und der Aufbauten im Mittelpunkt steht.

So werden Verbundmaterialien nach Möglichkeit vermieden, um eine sortenreine Trennung der verbauten Materialien am Ende des Lebenszyklus zu ermöglichen. Auch für den Fall, dass ein Bestandsobjekt nicht erhalten werden kann, sollte so viel wie möglich von der alten Gebäudesubstanz wiederverwertet werden. Im genannten Projekt konnten so beispielsweise 450 t an Stahlträgern wieder eingebaut werden, die zuvor aus dem ehemaligen C&A-Gebäude ausgebaut worden waren.

Entsprechend werden auch Betonplatten aus den alten Decken geschnitten und wieder in das neue Gebäude eingesetzt, mit dem Ziel, die CO2-Bilanz des Objekts zu optimieren. All das – in Verbindung mit einem nachhaltigen energetischen Gebäudekonzept und der Vermeidung von fossilen Brennstoffen – trägt dazu bei, mit dem Objekt auch den Net-Zero-Carbon-Standard zu erreichen.

Wer heute verantwortungsvoll plant und entwickelt, sollte sich darüber hinaus mit der Nutzungsflexibilität von Objekten befassen. Ein Objekt, das nur auf die spezifischen Bedürfnisse eines Mieters zugeschnitten ist, kann aus unserer Sicht nicht nachhaltig sein. Bieten die Grundrisse und Erschließungsstrukturen jedoch genug Spielraum für einen Mieterwechsel oder andere Nutzungsarten, wird ein Objekt auch dem volatilen Mietermarkt standhalten. 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Zertifizierungen ein wertvoller Indikator sind. Es bleibt aber unabdingbar, alle technischen sowie auch sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit zu betrachten, da nicht das reine „Labelling“ im Vordergrund stehen sollte. Nur so können Akteure auf dem Immobilienmarkt das Risiko einer Abwertung der Immobile oder sogar eines Stranded Assets minimieren.

Langfristig orientierte Immobilienmanager, die immer das Objekt, den Nutzermix, die Infrastruktur und die Lage des Gebäudes in ihre Überlegungen einbeziehen, können daher wirksame Maßnahmen ergreifen. Vor diesem Hintergrund befinden sich die Marktteilnehmer in einem ständigen Abwägungsprozess, welcher Ansatz für entsprechende Entwicklungen der richtige ist. Zertifizierungen leisten hierzu einen wichtigen Beitrag und sind aus der Praxis nicht mehr wegzudenken.