Jahresausblick 2020

Zwischen Boom und Sorge vor dem Abschwung

Lebensmittelmärkte sind das beherrschende Thema. Foto: Edeka

Ruth Vierbuchen

Der Zusammenhang zwischen lockerer Geldpolitik und Immobilien-Boom wird immer offensichtlicher. Die Branche stellt sich auf eine Verlängerung des Immobilien-Booms ein. In diesem Umfeld zeigt der Handelsimmobilienmarkt ein heterogenes Bild. Im Logistikmarkt werden die Herausforderungen immer komplexer.

In der späten Phase des Immobilienzyklus hat Ex-EZB-Präsident Mario Draghi mit seiner Entscheidung, das Anleihekaufprogramm mit monatlich 20 Mrd. Euro wieder aufzunehmen, die Immobilienkonjunktur hierzulande erneut angeschoben. In seinem Ausblick kommt der Dienstleister Savills unter der Überschrift „Und ewig läuft der Immobilien-Zyklus?“ denn auch zu dem Schluss, dass der „Superzyklus“ am Immobilienmarkt auch 2020 intakt bleibt und womöglich weit darüber hinaus läuft.

Unter der neuen EZB-Präsidentin Christine Lagarde wird sich an der Geldpolitik zunächst nichts ändern. Sie muss sich erst orientieren, will den zerstrittenen EZB-Rat befrieden und die negativen Folgen der ultralockeren Geldpolitik analysieren sowie die Strategie überprüfen lassen. Und da das Ende des Anleihekaufprogramms von Draghi nicht datiert wurde, hängt alles davon ab, was Lagarde und der EZB-Rat, in dem die Zahl der Gegner der lockeren Geldpolitik wächst, im nächsten Jahr entscheiden.

Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, die Dauer der Niedrigzins-Phase abzuschätzen: Fünf Jahre? Ein ganzes Jahrzehnt? Ein sicheres Indiz dafür, dass die Zinsen noch länger auf dem aktuellen Niveau bleiben werden, sieht Tobias Drasch, Mitglied der Geschäftsleitung von Ratisbona Handelsimmobilien, darin, dass erste Volks- und Raiffeisenbanken Negativzinsen erheben wollen. Der Chefvolkswirt des Bankhauses Berenberg, Holger Schmieding, kann sich laut FAZ dagegen vorstellen, dass das Anleihekaufprogramm in zwei Jahren beendet wird und die Zinsen angehoben werden könnten. Doch das ist erst einmal Spekulation.

Der Anlagedruck bei Investoren bleibt hoch. Und auch wenn das dazu führt, dass die Kaufpreise weiter steigen und die Renditen sinken, sehen viele offenbar keine Alternative zu Immobilien. Die zu erzielenden Immobilienrenditen für institutionelle Investoren würden auf absehbare Zeit attraktiv bleiben, wenn nicht sogar alternativlos, ist Timo Tschammler, CEO von JLL Germany, überzeugt. Gleichwohl konstatiert die EBZ Business School mit Blick auf die Verdoppelung der Investmentaktivitäten seit dem Ausgansniveau von 2010 bis 2013 und die hohen Preise, dass die Nervosität an den Märkten steigt und viele Investoren ein Ende des Booms erwarten. Auslöser für die Wende könnte das hohe Preisniveau sein, das zu Kaufzurückhaltung führen könnte.

Ein anderer Unsicherheitsfaktor sind die internationalen Investoren, deren Anteil sich von 25% im Jahr 2010 bis 2015 verdoppelt hat, nachdem Europa gegenüber den USA lange einen Renditevorsprung aufwies. Das hat sich laut EBZ zugunsten des US-Markts gedreht, so dass der Anteil ausländischer Investoren sinkt. Noch sei  der Rückgang des Auslands durch ein stärkeres Engagement nationaler Investoren kompensiert worden, doch wenn der Abfluss nicht mehr ausgeglichen werde, könnte der Abschwung einsetzen.

Heterogenes Bild bei Handelsimmobilien

In diesem Umfeld zeigt sich auf dem Markt für Handelsimmobilien ein heterogenes Bild. Während Händler aus dem Nonfood-Bereich wie Mode mit der Internet-Konkurrenz und veränderten Konsumgewohnheiten kämpfen, stehen Fachmärkte und Fachmarktzentren mit Bezug zum Lebensmittelhandel, der schon seit Jahren mit innovativen Konzepten auf veränderte Kundenwünsche reagiert und sich mit seinem dichten Filialnetz gegen die Online-Konkurrenz behauptet, bei Investoren hoch im Kurs. „Die besten Aussichten bieten Investments in Objekte mit einem hohen Anteil von Mietern aus dem Lebensmitteleinzelhandel sowie preisorientierte Non-Food-Fachmärkte“, konstatiert Thomas Kuhlmann, Vorstandchef der Hahn Gruppe.

Nicht zuletzt mit Blick auf die Zinsentwicklung erwartet auch der auf dieses Segment spezialisierte Entwickler und Investor Ratisbona laut Drasch für 2020 „ein sehr hohes Niveau beim Entwicklungsgeschäft und beim Verkauf“. Mit Blick auf das knappe Angebot sieht er eine hohe Nachfrage nach Supermärkten, Discountern und Fachmarktzentren, zumal verstärkt institutionelle Investoren im Markt aktiv sind und vermehrt Portfolios nachfragen. Auch Kuhlmann ist optimistisch, dass das Umfeld 2020 günstig bleibt, zumal gegenüber anderen Nutzungsarten die Bewertungen von deutschen Handelsimmobilien vergleichsweise moderat seien.

Ein wesentlicher Trend, der die Nahversorgung prägen wird, ist laut Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung, die Re-Urbanisierung - die Rückkehr des Lebensmittelhandels in die Cities. Das stellt die Branche mit Blick auf Flächenknappheit und Kosten vor die Herausforderung, die Konzepte an die Flächenzuschnitte anzupassen. Der Lebensmittelhandel ist hier aber auf einem guten Weg.

Im Nonfood-Einzelhandel, vielen innerstädtischen Einkaufslagen und Shopping-Centern ist die Welt derzeit diffiziler. Gleichwohl verweist Stumpf darauf, dass auch Asset-Klassen wie Highstreet-Objekte außerhalb der Top-Städte und Shopping Center mit einem kompetenten Management, einer klaren Positionierung in einer guten Lage ihre Bedeutung auch künftig behalten werden. Nachdem die Renditen für diese Assets bedingt durch eine zu pauschale Risikobetrachtung auch für gute Objekte stark unter Druck geraten sind, erwartet der BBE-Geschäftsführer, dass nachhaltig positionierte Objekte 2020 wieder realistischer und damit höher bewertet werden.

„Retail Investment-Produkte werden zwar stellenweise immer noch mit spitzen Fingern oder gar nicht angefasst“, so auch Christoph Scharf, Head of Retail Services bei BNP Paribas Real Estate, mit Blick auf diese Segmente,„mit sinkenden Preisen und neuverhandelten Mietverträgen auf Marktniveau wird die Retail-Immobilie 2020 aber wieder etwas mehr in den Fokus der Investoren rücken“. Eine leichte Erholung sieht er auch auf dem Vermietungsmarkt. Nachdem sich das Volumen im zweiten Quartal 2019 leicht erholt und der Trend im dritten Quartal anhielt, könnte „das Tal der Tränen“ durchschritten sein. Die Eigentümer und Mieter hätten sich inzwischen auf die veränderte Marktsituation eingestellt und seien kompromissbereiter, so Scharf.

Die Art des Einkaufens wird sich ändern

Mit Blick auf den Wandel erwartet Harald Ortner, Geschäftsführer der HBB, dass die Zeit des Umbruchs und der Umstrukturierung noch etwa vier bis fünf Jahre dauern wird. Danach seien die nicht nachhaltigen Konzepte ausgeschieden und neue hätten den Markt erschlossen. Derweil arbeiten die Betreiber von Shopping-Centern an neuen Konzepten. Denn nach den Worten von Christine Hager, Managing Director und Head of Shopping Center Asset Management bei Redos, wird sich die Art, wie Kunden einkaufen, durch die Digitalisierung und Urbanisierung verändern. „Darauf müssen wir reagieren und den Einzelhandel neu denken“, konstatiert sie und plädiert für „mehr mutige, frische Konzepte“ für Flächen und für Standorte.

Über die Forderungen hinaus, Einzelhandel mit zeitgemäßer Gastronomie und Entertainment zu verknüpfen, sollten Shopping-Center aus ihrer Sicht durch die Integration von Büros, Co-Working, Hotels und Logistik zu Orten für „modernes Leben und Arbeiten“ werden.

Die ECE setzt vor allem auf die Einbindung der Center in die digitale Welt. Deshalb würden der Ausbau der „Digital Mall“ und des „Connected Commerce Projekts“ stark vorangetrieben – weitere Center und Produkte integriert und Angebote wie die Auslieferung aus den Centern getestet, sagt Steffen Eric Friedlein, ECE-Geschäftsführer Leasing. Über die „Digital Mall“ können Kunden im Internet sehen, ob ein Produkt in einem Shop der ECE-Center vorrätig ist. Mit „Connected-Commerce“ werden stationäre Sortimente von Händlern aus den Centern mit der Plattform „otto.de“ verknüpft, so dass die Reichweite steigt.

Für Kuno Neumeier, Geschäftsführer der Logivest, zeigt der Blick auf 2019, dass die Herausforderungen für die Logistikbranche – vor allem für den Immobiliensektor – komplexer werden. Auf der einen Seite die schwächelnde Auto-Industrie mit dem Wandel durch die E-Mobilität, auf der anderen der stark wachsende eCommerce, der neue Immobilien mit einer reibungslosen Prozesskette für immer kürzere Lieferzeiten benötigt. Dennoch sei der Neubau-Flächenumsatz in den ersten neun Monaten um 30% gesunken. Ob der Mangel an Bestandsimmobilien und Grundstücken in den nächsten Jahren beseitigt werde, hänge von der Kooperation zwischen Immobiliensektor, Logistikwirtschaft und kommunalen Entscheidungsträgern ab.

In Zeiten des Booms und des Umbruchs schaut Manuel Jahn, Head of Business Development bei Habona Invest, auch über den Tellerrand: „Sparquote erneut gestiegen, Bankguthaben der privaten Haushalte auf Rekordniveau. Aber die revolvierende Hoffnung der Sparer, dass in zwei Jahren ,Normalität' einkehrt, wird nun doch der Kraft des Faktischen weichen“, bilanziert er: „Die Perspektive auf ein neues Jahrzehnt ohne Zinsen verlangt nach Lösungen, die leicht wie ein Sparbuch zu verstehen sind. In dem Maße, wie die Immobilienwirtschaft wieder profitieren wird, wächst auch ihre Verantwortung gegenüber dem Anleger. Denn Beton ist nur dort Gold, wo er mit und nicht gegen Demografie und Digitalisierung arbeitet.“