Das Interview

Wir müssen weg von den „Wegwerfimmobilien“

Sebastian Schels Foto: Ratisbona Handelsimmobilien

Gespräch mit Sebastian Schels, geschäftsführender Gesellschafter von RATISBONA Handelsimmobilien über den zweiten Shutdown und die Routine bei der Bewältigung dieser Sondersituation, die allgemeine Lage auf dem Markt für Handelsimmobilien, die Preisentwicklung bei Nahversorgungsimmobilien, die Bedeutung von Mixed-Use-Objekten, das Thema Nachhaltigkeit und die Immobilien-Konjunktur 2021.

Handelsimmobilien Report:Herr Schels, Sie haben den ersten Shutdown im Frühjahr erlebt, vor Weihachten wurde erneut alles geschlossen – bis auf die Versorger mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Was waren Ihre Eindrücke in der zweiten Phase?

Sebastian Schels: Es ist grundsätzlich weniger Aufregung im Markt zu spüren. Man hat in gewisser Weise gelernt, mit der Situation umzugehen. Für einige Branchen und Betreiber ist die aktuelle Situation natürlich sehr hart. Unsere Ankermieter aus dem Lebensmitteleinzelhandel hingegen verzeichnen aktuell Umsatzzuwächse auf ähnlich starkem Niveau wie im ersten Lockdown. Hieran hat sich im Vergleich zum Frühjahr wenig geändert. Denn auch in diesem Lockdown mit mehr Homeoffice und geschlossener Gastronomie ist der Bedarf an Waren des täglichen Bedarfs merklich gestiegen.

HIRHat sich der zweite Shutdown auch auf die Arbeitsabläufe bei RATISBONA Handelsimmobilien ausgewirkt, oder gab es hier schon Routine?

Schels: Nein, auf unsere Arbeitsabläufe im Büro hat sich der erneute Shutdown nicht ausgewirkt. Während des ersten Lockdowns hatten wir bereits einen Großteil unserer Abteilungen auf Homeoffice umgestellt. Deshalb war hier in der Tat schon eine gewisse Routine da. Auch der Betrieb auf unseren Baustellen konnte im zweiten Shutdown weiterlaufen. Verzögerungen im Bauablauf gab es nur sehr vereinzelt, weil bei einigen ausführenden Firmen Mitarbeiter in Quarantäne mussten.

Schon während des ersten Lockdowns haben wir in vielen Geschäftsbereichen Vorkehrungen getroffen und wo nötig Prozesse angepasst. Das hilft uns jetzt dabei, professionell und vorausschauend mit den Einschränkungen umzugehen. Bevorstehende Lieferengpässe können wir heute beispielsweise vermeiden, weil wir in den vergangenen Monaten mit Hochdruck daran gearbeitet haben, mögliche Ersatzprodukte ausfindig zu machen, Lieferketten zu verstärken und die Abstimmung mit unseren Lieferanten zu intensivieren. Von dieser Mehrleistung profitieren unsere Kunden in der jetzigen Situation.

HIR:Die „Handelsimmobilie im Allgemeinen“ steht derzeit nicht unbedingt auf dem Kaufzettel vieler Investoren. Wie sieht das im Segment Fachmarktimmobilien mit Schwerpunkt Nahversorgung aus?

Schels: Durch unseren Fokus auf Lebensmittelmärkte und Fachmarktzentren merken wir nichts von einer Zurückhaltung auf Seiten der Investoren. Ganz im Gegenteil – wir haben in den vergangenen Monaten eine verstärkte Nachfrage in unserem Segment festgestellt. Sicherlich sind einige Bereiche im Segment Einzelhandelsimmobilien wie Shopping-Center, Hochfrequenzlagen und Factory Outlet Center durch die Pandemie stärker betroffen als andere. Das gilt genauso für andere Assetklassen wie Hotel und auch im Bürobereich gibt es derzeit viele offene Fragen. Gemein haben all die genannten Bereiche, dass sie fest etabliert sind. Auch wenn wir in diesen Bereichen nicht oder nur am Rande tätig sind, gehen wir davon aus, dass sie sich von der Krise erholen und dann auch wieder vermehrt auf den Kaufzetteln vieler Investoren stehen werden.

HIR:Welche neuen Investorenkreise entdecken denn Fachmarktimmobilien mit Nahversorgungsschwerpunkt für sich?

Schels: Dieses Segment war bereits vor der Pandemie sehr gut etabliert. Deshalb ist es auch nicht so, dass zahlreiche neue Investorenkreise das Segment erst jetzt neu für sich entdeckt haben. Aber einzelne Investorengruppen haben ihre Engagements merklich ausgeweitet. Vor allem die institutionellen Investoren.

HIR:Wie beurteilen Sie die Preis- und Renditeentwicklung in diesem Segment?

Schels: Die Preise für Supermärkte sind schon in den vergangenen Jahren, also lange vor der Pandemie, kontinuierlich nach oben gegangen. Aber Corona hat diesen Trend sicherlich verstärkt. Im Vergleich zu anderen Assetklassen wie Wohnen, Büro und auch Logistik sind die Faktoren bei Nahversorgungsimmobilien immer noch verhältnismäßig moderat. Vor dem Hintergrund des Anlagedrucks im Markt ist deshalb ein weiterer Preisanstieg in unserer Assetklasse zu erwarten.

HIR:Für die Lebensmittelfilialisten lag die Untergrenze für den Betrieb eines rentablen Lebensmittelmarkts bislang bei einem Einzugsgebiet von 5 000 Personen. Was hat sich an dieser Größenordnung geändert und warum geht das heute?

Schels: So pauschal lässt sich das nicht sagen. Das hängt immer von der Region ab. Als einen Treiber dieser Entwicklung im Allgemeinen könnte man den verstärkten Fokus der Händler auf Nachverdichtung anführen. Die Händler machen einen guten Job, sie arbeiten an ihren Sortimenten und erweitern diese, indem sie beispielsweise Eigenmarken etablieren oder Convenience-Produkte einführen. Dabei profitieren sie von der Zunahme der Kaufkraft in der Bevölkerung und von der wachsenden Bereitschaft vieler Verbraucher, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben. Dadurch steigende Umsätze ermöglichen es den Händlern wiederum, kleinere Einzugsgebiete mit weniger als 5 000 Menschen zu erschließen.

HIR:Welche Rolle spielen Mischobjekte in der Strategie von RATISBONA Handelsimmobilien und was bedeutet das für die Auswahl der geeigneten Standorte?

Schels: Wir entwickeln mittlerweile zwar auch immer mehr Mixed-Use-Standorte in Metropolregionen. Dadurch rücken wir aber nicht von unserem Fokus auf Nahversorgung in ländlichen Regionen ab. Unsere Strategie umfasst beides. Wir prüfen allerdings mittlerweile bei allen Projekten Obergeschossnutzungen und projektieren Mixed-Use-Konzepte aus Einzelhandel und Wohnen überall dort, wo es möglich ist. Neben ihrer Wirtschaftlichkeit haben diese Konzepte auch einen ökologischen Mehrwert. Wenn schon Fläche versiegelt wird, dann sollten aus Gründen der Nachhaltigkeit die Möglichkeiten für verschiedene sinnvolle Nutzungen dieser Fläche auch voll ausgeschöpft werden. Auch deshalb nimmt die Bedeutung von Mixed-Use-Konzepten in Ballungsräumen und damit auch die Nachverdichtung zu.

HIR:Was bedeutet aus Ihrer Sicht Nachhaltigkeit und Klimaschutz bei den klassischen Lebensmittelmärkten/Discountern und Fachmarktzentren?

Schels: Nachhaltigkeit fängt hier mit einer digitalen Planung auf Basis der Arbeitsmethode Building Information Modelling an. Denn damit lassen sich Immobilien viel vorausschauender und so auch ressourcenschonender konzipieren. Ein weiterer wichtiger Ansatz ist es, nachwachsende Materialien wie Holz beim Bau einzusetzen (Foto: Ratisbona). Genauso können wir die Dächer der Immobilien ökologisch nutzen – durch PV-Anlagen oder Gründächer. Möglichkeiten, Immobilien nachhaltiger zu bauen, gibt es viele. Bei RATISBONA suchen wir nach langfristigen Lösungen und treffen so auch unsere Entscheidungen.

Damit unsere eher konservative Branche insgesamt nachhaltiger wird, brauchen wir aus meiner Sicht ein flächendeckendes Umdenken: Wir müssen weg davon, Immobilien als „Wegwerfimmobilien“ zu verstehen und zu bauen. Stattdessen brauchen wir Kreislaufimmobilien, deren einzelne Bestandteile recycelt werden können. Wir müssen schon bei der Planung und beim Bau an die Wiederverwendung der Materialien denken. Erst dann werden wir signifikante Klimaschutzeffekte sehen. Die Pandemie könnte durchaus zu dem dafür notwendigen Umdenken beitragen. Denn dadurch ist nicht nur die Digitalisierung stärker in den Fokus gerückt. In Krisenzeiten erfolgt eine Rückbesinnung auf das, was wirklich wichtig ist im Leben. Dazu gehört auch der Schutz unserer Ressourcen und Umwelt.

HIR:Würden Sie zum Abschluss noch einen kurzen Blick auf die Immobilien-Konjunktur 2021 werfen?

Schels: Für RATISBONA Handelsimmobilien rechnen wir aufgrund der geschilderten Rahmenbedingungen mit einem stabilen Jahr 2021. Mit Blick auf die Immobilienbranche erwarten wir, dass sich die Assetklassen, die kurzfristig pandemiebedingt gelitten haben, schrittweise wieder erholen werden. Auch für die Assetklassen Shopping-Center, Highstreet und Hotel sind wir optimistisch, dass es noch 2021 erste Schritte in Richtung Normalität geben wird. Der Online-Handel hat durch die vorübergehende Ausnahmesituation natürlich stark zugenommen. Deshalb sollten wir den stationären Einzelhandel und Shopping-Center aber nicht abschreiben. Was wir vielerorts allerdings brauchen, sind neue Konzepte. Das hat die Pandemie deutlich gezeigt.