Immo-Talk

Wie zukunftsfähig ist die Liaison zwischen Einzelhandel und Innenstadt noch?

Foto: Hystreet.com

Der stationäre Einzelhandel ist ungeachtet aller Diskussionen über den Strukturwandel in der Branche und die Krisen, die ihn beuteln, der Hauptanziehungspunkt für die innerstädtischen Besucher. Gleichwohl brauchen Stadtzentren heute mehr als Einkaufsangebote. Vor allem müssen die Verantwortlichen mit neuen Ideen auf den sichtbaren Niedergang in den Einkaufslagen reagieren.

Als Thorsten Lange, Senior Economist bei der DZ Bank AG, seiner Heimatstadt Bremerhaven, die er als lebhafte Stadt in Erinnerung hatte, einen Besuch abstattete, war die Ernüchterung groß, wie er bei der Gemeinschaftsveranstaltung Immo Talk „Handel und Innenstadt – hat diese Liaison eine Zukunft?“ von DZ Hyp und Heuer Dialog sagt. Kauf- und Warenhäuser der Stadt waren inzwischen geschlossen, genauso wie der Elektrofachmarkt von Saturn und die Filiale von McDonalds – um nur einige Beispiele zu nennen. „Das ist trist“, so sein Statement und das sollte aus seiner Sicht die Verantwortlichen der Stadt zum Handeln zwingen.

Dabei sind die Rahmenbedingungen für den innerstädtischen Einzelhandel, wie Lange auflistet, gar nicht mal so schlecht: Die Einwohnerzahl in vielen Städten steigt, in die großen Städte wie Hamburg kehren die Touristen zurück, die Frequenz legt wieder zu, der Inflationsdruck lässt etwas nach, die Erwerbstätigkeit ist hierzulande auf einem Rekordhoch und allenthalben wird über Arbeitskräftemangel geklagt. Last not least verbessert sich das Konsumklima – wenn auch von einem sehr niedrigen Niveau aus. Und die innerstädtischen Branchen, die während der Zwangsschließungen an Umsatz eingebüßt haben, erholen sich allmählich wieder.

Dass allerdings die Inflationsrate viel Kaufkraft aufzehrt, ist daran zu erkennen, dass der Einzelhandelsumsatz nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes 2022 nominal um 7,8% gestiegen, real aber um 0,7% geschrumpft ist. Die Bundesbürger erhielten für deutlich mehr Geld weniger Ware als im Jahr zuvor. Interessant war bei der Umfrage unter den Einzelhändlern, dass eCommerce laut Lange von vielen Stationären gar nicht mehr als so große Konkurrenz gesehen wird, da viele inzwischen selbst im Internet aktiv sind.

Zu den Top-Themen der Händler gehören dagegen die hohe Inflation und die Konsumstimmung, sowie alles um die Immobilien, die Mieten und die steigenden Nebenkosten. Laut Lange leiden viele innerstädtische Einzelhändler unter der Indexierung ihrer Mieten. Nach seiner Einschätzung wird kein Bestands-Einzelhändler um eine Mieterhöhung herumgekommen sein. Gleichzeitig hat die seit Jahren anhaltende Strukturkrise dazu geführt, dass viele Einzelhändler ihr Filialnetz bereinigt und die Expansion zurückgefahren haben, sodass die Mieten – zusätzlich angeheizt durch die Zwangsschließungen zur Pandemie-Bekämpfung – in den vergangenen Jahren nachgegeben haben.

Die Mieten könnten weiter leicht nachgeben

Für 2023 erwartet der Chefvolkswirt ein erneutes, aber verlangsamtes Minus bei den Mieten, schon deshalb, weil die Mieter auch die erhöhten Nebenkosten finanzieren müssen. Auch betragen die Mietlaufzeiten inzwischen im Schnitt nur noch 3 bis 5 Jahre und erleichterte Kündigungsmöglichkeiten werden von den Einzelhändlern sehr geschätzt. Insgesamt funktioniert laut Lange die Vermietung in den deutschen Innenstädten und es sei auch genügend Fläche verfügbar. Interessant ist, dass auch vermehrt Mieter etwa aus der Autobranche in die Innenstädte ziehen. Dabei handelt es sich um Marken, die weniger bekannt sind wie der chinesische Hersteller von Elektroautos Nio.

Sehr eindeutig ist die Haltung der Mieter zu den Einzelhandelslagen. So werden Shopping-Center laut Lange eher kritisch gesehen. Für Martina Willhoeft, Geschäftsführerin des Herrenausstatters Hinrich Willhoeft GmbH in Hamburg Bergedorf, ist die größere Freiheit und die größere Chance auf Individualität in der Einkaufsstraße wichtig. Ein Vorteil für die Einkaufszentren ist aus ihrer Sicht aber die einheitliche Regelung bei den Ladenöffnungszeiten. Die würde sie sich auch in den Einkaufsstraßen wünschen. Um die Individualität von Einkaufslagen zu befördern, wünscht sie sich zudem, dass die Vermieter auch kleinen Händlern eine Chance geben, statt Filialisten zu bevorzugen.

Begehrter als Einkaufszentren sind bei den Händlern laut Lange Stadtzentren in größeren und mittleren Städten, aber auch Quartierslagen. Sehr stark gefragt sind aber vor allem Fachmarktzentren, die mit ihrem Schwerpunkt Nahversorgung bekanntlich selbst die Corona-Pandemie gut überstanden haben. Dagegen müssen sich innerstädtische Einkaufslagen mit einem lebendigen Angebot, das auch über den reinen Einzelhandel hinaus geht, profilieren, wie etwa das lebendige Zentrum von Hamburg Bergedorf. Das ist laut Willhoeft gut durch die Pandemie gekommen, auch wenn die Frequenz etwas nachgelassen hat. Kunden, die kommen, die kaufen nach ihrer Beobachtung auch mehr.

Mit der Beantwortung der grundlegenden Frage des Immo Talks, ob die Liaison von Handel und Innenstadt noch eine Zukunft hat, befasste sich Johannes Nendel, Managing Director bei der Kintyre GmbH. Dabei fällt seine Antwort relativ klar aus: Dass die Städte heute allein vom Monothema Einzelhandel geprägt werden, sieht er als Nachteil. Da mit dem wachsenden Online-Handel – auch vieler stationärer Einzelhändler – und der moderaten Expansion des Handels, der Filialnetzbereinigungen sowie der weiteren Schließung von Galeria-Filialen vermehrt innerstädtische Handelsflächen freigesetzt werden, eröffnet sich laut Nendel für die Branche die Chance, neue Allianzen zu schließen.

Vielleicht seien Ärzte, Bildungseinrichtungen oder Kultureinrichtungen die neuen Frequenzbringer neben dem Einzelhandel, so Nendel. Jedenfalls sehen die Investoren die Vorteile von gemischten Cash-flows in ihren Immobilien seit den Mietausfällen durch Zwangsschließungen des Einzelhandels während der Pandemie. Dann bleiben immer noch die Mieteinnahmen aus den anderen Nutzungen – zumal derzeit offenbar ohnehin nicht alle frei gewordenen Einzelhandelsflächen von anderen Einzelhändlern belegt werden können.

Lebendige Quartiere brauchen Offenheit für neue Lösungen

Die Kintyre GmbH jedenfalls sieht nach seinen Worten ihre Aufgabe darin, den Weg zur Schaffung solcher gemischt genutzter, lebhafter Innenstadtquartiere zu begleiten. „Wir stoßen die Prozesse an.“ Und auch bei den Politikern steigt nach seiner Beobachtung der Druck, aktiv zu werden, spürbar.

Bei der Neuausrichtung der städtischen Strukturen ist laut Willhoeft die richtige Mischung ganz entscheidend. Da in Hamburg Bergedorf weniger Büros nachgefragt werden, ist hier vermehrt das Thema Wohnen in den Fokus gerückt. So ist auf dem Gelände der inzwischen abgerissenen ehemaligen Karstadt-Filiale in der Einkaufsstraße Sachsentor ein Mischobjekt mit Gastronomie, Einzelhandel und Wohnungen geplant. Nach Beobachtung von Nendel sind gerade die innerstädtischen Wohnungen bei Studenten sehr gefragt.

Angesichts der hohen Preise stellt sich nach seinen Worten aber die Frage, wie man Baukosten von 3 000 bis 5 000 Euro je qm mit bezahlbaren Mieten in Einklang bringen kann. Wichtig sei bei der Schaffung lebendiger Quartiere die Offenheit für neue Lösungen, wobei es keine Blaupause für alle Standorte gibt. Man müsse sich jeden Standort einzeln anschauen.