rv DÜSSELDORF. Ein schwächelndes Konsumklima, hohe Inflation, Insolvenzen und viele Filialschließungen prägen das Umfeld des deutschen Einzelhandels seit vier Jahren. In diesem Kontext hat das EHI Retail Institute in Köln für den jüngsten Hahn Retail Real Estate Report Expansionsverantwortliche aus 71 Vertriebslinien resp. Handelsunternehmen über ihre Einschätzung zur Geschäftslage, die Kernprobleme der Branche und ihre Expansionspläne befragt.
Dabei zeigte sich, dass das Gros der befragten stationären Einzelhändler aus allen Branchen für das Jahr 2024 wieder einen gesteigerten Optimismus an den Tag legt und im zweiten Halbjahr mit einer Geschäftsbelebung und steigenden Umsätzen rechnet. Konkret ist der Anteil der Optimisten, die „steigende“ oder „deutlich steigende“ Umsätze erwarten von 57% im Vorjahr auf nunmehr 60% gestiegen. Unter den verschiedenen Branchen bilden Lebensmittel, Bekleidung, Gesundheit, Schuhe, allgemeiner Bedarf sowie Hobby & Freizeit die größte Gruppe der Befragten. Deutlich mehr als ein Drittel der Befragten verfügt dabei über ein Filialnetz mit über 500 Standorten und fast genauso viele (37%) zwischen 101 und 500 Läden. Zusammen betreiben sie bundesweit 38 000 Filialen.
Dieser wachsende Optimismus in der Branche spiegelt sich auch in der Umsatzprognose des Handelsverbands Deutschland (HDE) für den stationären Einzelhandel von nominal 3,5% auf 583,3 Mrd. Euro wider. Bei einer Abschwächung der Inflationsrate auf etwa 2,5% könnte im Schnitt dann ein reales Wachstum von 1% übrigbleiben. Im Vorjahr war der Umsatz real um 3,4% geschrumpft.
Der optimistischere Blick auf die Umsatzentwicklung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die abgeschwächte Anschaffungsbereitschaft der Bundesbürger und die Umsatzdelle im Vorjahr die Expansionspläne vieler Einzelhändler beeinflusst, wie der Blick auf die Befragungsergebnisse des EHI Retail Institutes für den neuen Hahn Real Estate Report zeigt. War 2023 mit 58% der Befragten noch der weitaus größte Teil davon überzeugt, dass das Filialnetz am Jahresende wieder größer geworden ist, 18%, dass es gleichbleibt und nur 23%, dass es kleiner sein wird, haben sich die Zahlen in diesem Jahr einander angenähert: Nur noch 42% erwarten ein größeres, 34% ein gleichbleibendes und 24% ein kleineres Netz.
Besonders expansiv zeigen sich dabei die Verantwortlichen aus den Bereichen Hobby und Freizeit (86%), die davon profitieren, dass die Bundesbürger nach Corona in ihrer Freizeit wieder sehr aktiv sind, sowie Gesundheit und Beauty (67%). Mit weniger Filialen planen dagegen Vertreter aus dem Bereich Gastronomie und den filialisierten Dienstleistungen, die aktuell mit spürbar steigenden Preisen zu kämpfen haben. Auffallend ist, dass die Zurückhaltung bei der Expansion im Corona-Jahr 2020 ähnlich groß war wie 2024. Damals erreichte die Zahl der Befragten, die ihr Filialnetz verkleinern wollten, mit 31% seit 2019 den höchsten Wert.
Im Kontrast zur zurückhaltenden Expansion mit neuen Filialen ist aber das Interesse an Flächenvergrößerungen gewachsen. So ist laut Hahn-Report der Anteil der Vertriebslinien, die ihre Verkaufsflächen im Vorjahresvergleich vergrößern wollen, um 10 Prozentpunkte auf 38% gestiegen. Dazu zählt der Lebensmitteleinzelhandel mit 56%, der sein Sortiment vermehrt um Angebote für den Direktverzehr erweitert. Auch im Bekleidungshandel denkt das Gros (58%) darüber nach, in seinen Geschäften mehr Fläche zu bieten. Im Beauty-Bereich ist es die Hälfte der Befragten.
Hohe Mieten und Nebenkosten belasten die Expansion
Gleichzeitig ist der Anteil der befragten Vertriebslinien, die ihre Flächen verkleinern möchten von 29 auf 15% gesunken. Dabei handelt es sich auch diesmal mit einem Anteil von 50% um die Gastronomie und die filialisierten Dienstleistungen. Hinzu kommt noch der Möbelhandel, der während Corona von den Zwangsschließungen mit hohen Wachstumsraten profitierte, nun aber Umsatzeinbußen verzeichnet, nachdem sich die Bundesbürger neu eingerichtet haben und mehr Geld für Reisen und Freizeit ausgeben können.
Bei der Frage nach den aktuell größten Herausforderungen bewegt mit 58% der Nennungen vor allem der Personalmangel die Mehrheit der Befragten – ein Problem, das die Wirtschaft generell sehr umtreibt. Danach folgen mit 51% zu hohe Immobilienkosten und die Mieten. Im Vorjahr hatten sich über dieses Problem aber noch 65% der Befragten beklagt. Offenbar hat sich die Lage hier zumindest ein wenig entspannt. Über zu hohe Neben- und Bewirtschaftungskosten klagten 31%.
Allerdings gab die Mehrheit der Expansionsverantwortlichen bei der Frage, wodurch ihre Expansion maßgeblich behindert wird, ein zu hohes Mietniveau (67%) und zu hohe Nebenkosten als große Hemmnisse bei der Expansion an. Zudem werden laut Umfrage bei der Expansion die seit der Pandemie steigenden Bau- und Modernisierungskosten (54%) und die oft zu langen Genehmigungsverfahren sowie das strenge Baurecht (53%) von „mehr als der Hälfte der Expansionsverantwortlichen branchenübergreifend als sehr herausfordernd und erschwerend angesehen“, heißt es im Hahn-Report. Hier dürfte es zwischen Mieter und Eigentümer Gesprächsbedarf geben.
Die Inflation verliert ihren Schrecken
Nach den oben aufgeführten Herausforderungen für die Branche folgt die gedämpfte Konsumstimmung unter den Bundesbürgern mit 41% erst auf dem dritten Platz, wird von vielen also nicht als das drängenste Problem angesehen. Auch Themen wie die Inflation (25%), verändertes Einkaufsverhalten (21%), Lieferketten und Produktbeschaffung (17%), Konkurrenz durch den Online-Handel (10%) und energetische Sanierung (7%) haben zuletzt offenbar an Schrecken verloren.
Bei der Frage, welches die bevorzugte Lage ist, waren einmal mehr beim Gros der Befragten (73%) branchenübergreifend die Fachmarktzentren vorn. Als Vorzüge dieser Lagen werden vor allem das One-Stop-Shopping – die Erledigung vieler Einkäufe an einem Ort – genannt. Hinzu kommt, dass in der aktuell angespannten Wirtschaftslage vor allem die preisaggressiven Handelskonzepte profitieren, die in Fachmarktzentren zu finden sind.
Auf dem zweiten Platz in der Rangliste der bevorzugten Lagen folgen laut Hahn-Report 1A-Lagen und Hauptgeschäftsstraßen, die von 70% der Expansionsverantwortlichen als die primär bevorzugten Handelslagen genannt werden. Das dürfte vor allem für die Handelskonzepte gelten, für die die City die klassische Lage ist. Hier gibt es aber auch Stimmen (33%), die sich sorgen, dass diese Lagen verlieren werden. Bei Fachmarktzentren glauben das nur 6%. Auf den weiteren Plätzen folgen Stadtteilzentren mit einem Anteil von 66% respektive Shopping-Center mit einem Anteil von 63%.
Beeinflusst wird die Lagen-Präferenz allerdings auch – wie oben bereits erwähnt – von den einzelnen Branchen und ihren Besonderheiten: „Während der Lebensmitteleinzelhandel Fachmarktzentren (81%) und Stadtteilzentren (75%) präferiert, bevorzugen die Branchen Bekleidung, Schuhe und Accessoires, Elektronik und Allgemeiner Bedarf vorwiegend 1A-Lagen, Hauptgeschäftsstraßen und Shopping-Center“, heißt es im Report: „Die Expansionsverantwortlichen aus der Gastronomie favorisieren Stadtteilzentren und Nebenlagen in der Innenstadt.“
Wie die Umfrage weiter ergab, wirtschaften die meisten Händler (69%) auf gemieteten Flächen. Dazu zählen u.a. die Branchen Gesundheit und Beauty, Bekleidung, Schuhe und Accessoires, Möbel sowie Hobby und Freizeit. Im Lebensmittelhandel verfolgen 44% der Expansionsverantwortlichen laut Umfrage eine „Teils-teils-Strategie“. Denn mit Blick auf die hohen Inflationsraten und die Indexmieten gehen vor allem Lebensmittelhändler dazu über, wichtige Standorte möglichst selbst zu erwerben.