Online-Prognose von 2015 bis 2025

Was ist eingetroffen und was nicht?

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In der 10. Jubiläumsausgabe des Hahn Retail Real Estate Reports 2015/2016 wurde im Rahmen eines Exkurses eine Prognose zur weiteren Entwicklung des Online-Handels mit einem Prognosehorizont bis zum Jahr 2025 gewagt. Wenngleich insbesondere die Corona-Pandemie mit ihrem tiefgreifenden Einfluss auf die Einkaufsgewohnheiten und damit auf den stationären Handel sowie auf den E-Commerce nicht vorhersehbar war, zeigt ein Vergleich der damaligen Prognosen mit der aktuellen Wirklichkeit bemerkenswerte Übereinstimmungen, aber auch klare Fehleinschätzungen.

Für das Jahr 2025 wurde seinerzeit ein Online-Anteil am gesamten Einzelhandel von gut 15% prognostiziert – ein Wert, der mit dem heutigen Anteil von knapp 14% nahezu erreicht wurde. Weniger treffend waren die Annahmen zum Umsatzvolumen des Einzelhandels bzw. des Online-Handels. So sollten die rund 15% einem Umsatz im Online-Handel von 75 Mrd. Euro entsprechen, bei einem Gesamtumsatz im Einzelhandel von etwa 490 Mrd. Euro. Tatsächlich ist der Einzelhandelsumsatz in Deutschland deutlich stärker gewachsen und liegt heute bei insgesamt etwa 670 Mrd. Euro (+37%) bzw. rund 93 Mrd. Euro für den Online-Handel (+2%).

Für einzelne Branchen wurden gleichfalls Entwicklungen prognostiziert. Deutlich unterschätzt wurden dabei die perspektivisch möglichen Anteile des Online-Handels für einzelne Branchen. Erwartet wurde eine Sättigung des Online-Anteils bei den traditionell stark durch den Online-Handel geprägten Branchen wie Unterhaltungselektronik und Technik oder Fashion von etwa einem Drittel. Tatsächlich liegen beide Branchen heute deutlich über 40% und der Anteil wächst weiter.

Hintergründe für das starke Wachstum des eCommerce-Anteils bei Unterhaltungselektronik sind unter anderem, dass Verbraucher online bequemer Preisvergleiche durchführen und Kundenbewertungen einsehen können. Zusätzlich erleichtern Details zu technischen Informationen, Testergebnissen und Produktvideos im Internet die Kaufentscheidung. Aber auch Nischenprodukte und Produktneuerscheinungen stehen online oft schneller zur Verfügung als im stationären Handel.

Im Fashion-Segment steigt der Online-Anteil mitunter auf Grund der Zunahme an digitalen Kanälen über Social Media und Influencer Marketingkampagnen, die Modetrends schnell verbreiten und zum Kauf animieren. Aber auch die Vorteile hinsichtlich des Rückgaberechts und die Personalisierung der Angebote und Styles in Online-Shops verbessern das digitale Einkaufserlebnis in der Fashion-Branche.

Überschätzt wurde hingegen das Segment Garten und Heimwerken mit einem prognostizierten Online- Anteil von 15% – gegenüber aktuell nur gut 7%. Da sich in diesem Bereich eine Vielzahl an Produkten auf Grund von Größe und Gewicht nur eingeschränkt für den Versand eignet und häufig die Auswahl an geeigneten Materialien oder Werkzeugen eine persönliche Beratung erfordert, wächst der Online-Handel hier vergleichsweise weniger stark.

Annähernd zutreffend war die Prognose bei Lebensmitteln

Annähernd zutreffend war die Prognose für den Bereich Lebensmittel & Drogeriewaren mit etwa 5%. Hier erleichtern Online-Angebote wie Abo-Modelle und automatische Nachbestellungen den Alltag. Zudem haben pandemiebedingte Veränderungen im Einkaufsverhalten die Akzeptanz für Online-Lebensmitteleinkäufe erhöht. Doch da viele Verbraucher den stationären Einkauf zur Beurteilung von Frische und Qualität bevorzugen und Spontankäufe eine große Rolle spielen, fällt die Wachstumsdynamik des Online-Handels hier geringer aus.

Von den damals sechs formulierten Gründen für die natürliche Wachstumsgrenze des Online-Handels erwiesen sich im Nachhinein einige Aussagen als richtig, andere als unzutreffend:

1. Sättigungstendenzen bei Online-Sortimenten der ersten Stunde – Trendverlangsamung und Anzeichen einer Stagnation in den Segmenten Bücher/Technik/Medien:

Nein – diese These hat sich nicht bestätigt. Bücher, Technik- und Medienprodukte sind größtenteils standardisierte Artikel, die sich online gut vergleichen und bewerten lassen, sodass eine physische Beurteilung im stationären Handel oft nicht notwendig ist. Zudem profitieren diese Segmente über etablierte Online-Infrastrukturen, die die digitalen Käufe erleichtern.

2. Anpassungsmaßnahmen stationärer Händler, die ihre Ladengestaltung verbessern und das Einkaufserlebnis erhöhen:

Ja – viele Händler versuchen einen Mehrwert zu bieten, sei es durch Service, Beratungskompetenz, Atmosphäre im Laden oder die Schaffung eines besonderen Einkaufserlebnisses. Dabei setzt der stationäre Handel mehr und mehr auf das Marketingkonzept Shoppertainment, das Shopping mit Unterhaltung verbindet, um ein ansprechenderes und angenehmeres Erlebnis für Verbraucher zu schaffen. Dieser Ansatz zielt darauf ab, Kunden während des Einkaufs zu unterhalten, den Prozess interaktiver und angenehmer zu gestalten, was wiederum den Umsatz und die Kundenbindung steigern kann.

Shoppertainment kann viele Formen annehmen, darunter Vorführungen im Laden, interaktive Displays, Online-Livestreams, in denen Moderatoren Produkte verkaufen und gleichzeitig die Zuschauer unterhalten, sowie Sonderveranstaltungen, die Produktwerbung mit Unterhaltungserlebnissen verbinden.

3. Fehlende haptische und emotionale Aspekte – Der stationäre Handel kann mit haptischen und emotionalen Aspekten punkten:

Ja – das ist weiterhin eine Stärke des stationären Handels, auch wenn der Online-Handel beim Thema Emotionen aufgeholt hat. Online-Shops bieten mittlerweile Einkaufserlebnisse durch ebenfalls hochwertige Produktpräsentationen und personalisierte Empfehlungen. Aber auch Influencer-Marketing sowie digitale Anproben oder Live-Shopping-Angebote tragen dazu bei, dass sich Online-Shopping zunehmend erlebnisorientiert darstellt.

4. Lange oder undurchsichtige Kaufprozesse – Unklare Warenverfügbarkeit, unseriöse Verkäufer und fehlende Kopplungskäufe sprechen gegen den Online-Handel:

Jein – die technischen Möglichkeiten erlauben es heute, die Warenverfügbarkeit (online, aber auch im Geschäft vor Ort) anzuzeigen, inkl. genauem Lieferdatum. Verlinkungen und Empfehlungen auf den Produktseiten verleiten auch online zu Kopplungskäufen. Einzig beim Thema Seriosität ist weiterhin Vorsicht geboten – insbesondere bei auffallend guten Angeboten im Internet.

5. Mindere oder fragliche Qualität – Frische, höherwertige und vor allem erklärungsbedürftige Produkte werden überwiegend stationär gekauft:

Jein – frische oder höherwertige Produkte werden auch heute noch eher stationär gekauft, erklärungsbedürftige Produkte werden aber – dank z. B. umfangreicher Erklärvideos – auch online gekauft. Zudem wachsen auch Kaufaktivitäten von Produkten über Billigplattformen wie zum Beispiel Temu und Shein. Viele dieser Artikel weisen eine eher minderwertige und fragwürdige Qualität auf und entsprechen nicht denselben Standards wie Produkte von Händlern in Deutschland. Befördert werden diese Käufe unter anderem durch die Verbreitung von bestimmten Trends und Hype-Produkten über Social-Media-Kanäle.

6. Diverse Konsumententypen – Dem Onlinehandel sind hinsichtlich der verschiedenen Zielgruppen (Alter, Einkommen, Konsumententypen) gewisse Grenzen gesetzt:

Jein – zwar bestehen Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, doch grundsätzlich hat der Onlinehandel alle gesellschaftlichen Schichten der Bevölkerung durchdrungen. Einen wesentlichen Einfluss hatte die Pandemie: Auch ältere Generationen sind heute deutlich vertrauter mit digitalen Einkaufsmöglichkeiten und nutzen zunehmend Multichannel-Angebote. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass viele Konsumenten den stationären Einzelhandel neu entdecken und ein bewusstes Einkaufen vor Ort wieder an Bedeutung gewinnt. Gründe dafür sind unter anderem das Bedürfnis nach sozialer Interaktion, das Einkaufserlebnis als Event sowie die Möglichkeit, Produkte direkt zu erleben und auszuprobieren.

*) Der Artikel ist dem 20. Hahn Retail Real Estate Report entnommen