Die Inflation hat die Verbraucherstimmung deutlich abkühlen lassen. Während sich der stationäre Lebensmitteleinzelhandel erneut krisenresilient zeigt, kommt E-Food nicht vom Fleck.
Deutschland nimmt Rang Nummer 5 unter den weltweit größten Lebensmittelmärkten ein. Der Umsatz des hiesigen Lebensmitteleinzelhandels wird sich 2023 auf voraussichtlich rund 240 Mrd. Euro belaufen. Das durchschnittliche Nominalwachstum belief sich in den vergangenen zehn Jahren auf 4,1% jährlich, selbst real wurde noch eine Steigerungsrate von über 2% erzielt.
Angesichts dieser Größenordnungen versprechen schon geringe Marktanteile ein hohes Umsatzpotenzial für neue Marktteilnehmer. Auf Grund der starken Oligopolstellung der großen Lebensmittelanbieter Edeka, Rewe, Lidl, Kaufland und Aldi haben sich neue Player bisher allein auf die Onlinekanäle konzentriert.
So wurde durch die Pandemie hier eine regelrechte Gründungswelle angeschoben. Die mediale Aufmerksamkeit galt aggressiven Kampagnen von Anbietern wie Flaschenpost, Flink,Gorillas, Uber oder Wolt. Doch trotz der günstigen Rahmenbedingungen in der Pandemie haben sich die Wachstumshoffnungen der Onlineanbieter nicht erfüllt. Die Zahl der Anbieter hat sich stark konsolidiert. Die Umsatzentwicklung bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück und die Kostensituation ist weiterhin schwierig.
Inzwischen liegt der gesamte Marktanteil des Onlinehandels mit Lebensmitteln, kurz E-Food, in Deutschland nach GfK-Zahlen bei weniger als 2% und damit wieder auf Vor-Corona-Niveau. Tatsächlich hat die Corona-Pandemie das Verhalten der Menschen beim Lebensmitteleinkauf nicht dauerhaft verändert. Trotz hoher Marketingaufwendungen tätigen Neukunden nur zu 30% einen Wiederholungskauf. 40% der Haushalte haben noch nie online Lebensmittel eingekauft. Während der stationäre Lebensmittelumsatz mit der Inflation ungefähr Schritt hält, geht der Umsatz der E-Food-Unternehmen real zurück. Klare Gewinner in der Post-Corona-Phase sind die Märkte der Lebensmitteldiscounter, die besonders in angespannten Wirtschaftslagen bei den Verbrauchern einen Vertrauensvorschuss haben. Mit der langsamen Rückkehr der „Qualitätsnachfrage“ füllen sich nun aber auch die Kassen der Lebensmittelvollsortimenter wieder.
Normalisierung nach Corona-Hype und Inflationsschock
Im Gegenzug halten sich nach einer umfänglichen Marktbereinigung im E-Food-Sektor in Deutschland nur noch wenige Anbieter. Die – gemessen am Umsatz – größten sind: Rewe, Picnic, Flink, Getir sowie Knuspr. Wenig überraschend sind dies jene Anbieter, bei denen die Lieferung bzw. die Finanzierung mittelfristig gesichert scheinen. Edeka ist an Picnic und Rewe an Flink finanziell beteiligt. Getir ist ein Investment des Staatsfonds Mubadala aus Abu Dhabi. Rohlik finanziert sich über Venture Funds sowie Unternehmensanleihen mit Kupons von bis zu 10%. Während Picnic und Flink von Edeka bzw. Rewe mit handelsüblichen Sortimenten die Breite des Marktes abdecken, operieren Knuspr und Getir mit einem hohen Anteil regionaler Hersteller und Lieferanten in der Nische.
Während laute Kampagnen neuer Q-Commerce-Konzepte mit Lieferversprechen von bis zu 10 Minuten in den vergangenen Jahren auf sich aufmerksam machten, hat sich deutlich stiller – und auch langsamer als geplant – die Expansion von Picnic vollzogen. Zierliche Lieferfahrzeuge verkehren fahrplanmäßig in immer mehr Regionen Deutschlands auf kostengünstigen Routen. Feste Lieferfenster an wenigen Tagen in der Woche helfen, Verluste in den Griff zu bekommen. Tatsächlich steigen die Kosten – anders als bei aggressiven Wettbewerbern – unterproportional zur Umsatzsteigerung. Picnic verfolgt ein Konzept, das sich in einem insgesamt wachsenden Lebensmittelmarkt als ein zusätzliches Angebot etablieren könnte.
Amazon: Kaum weiter als am ersten Tag
Mit seiner Fire-Power könnte auch Amazon in Deutschland durchstarten. Allerdings konnte diese Erwartungshaltung seit Markteintritt hierzulande 2017 nicht erfüllt werden. Im Gegenteil: anfängliche Expansionspläne waren schnell ins Stocken geraten, wurden Services immer weiter eingeschränkt und Kunden durch Gebühren und Mindestbestellwerte verschreckt. Auch die eigentliche Stärke von Amazon als Marketplace funktioniert bei Lebensmitteln mangels ausreichender Zahl an Partnerunternehmen nicht. Jüngst ist die Artikelzahl bei fresh von 30 000 auf 9 000 reduziert worden. Wurde bis vor Kurzem noch der Fokus auf die USA und Großbritannien als Grund für die Zurückhaltung in Deutschland genannt, werden nun auch dort die Investitionen zurück gefahren.
Branchenkenner halten auch die vier größten noch verbliebenen E-Food-Anbieter in Deutschland als weiterhin defizitär bzw. hoch defizitär. Flink und Getir haben sich aus einigen Ländern und Regionen bereits wieder zurückgezogen. Während die Lieferung von Lebensmitteln bei Unternehmen wie Getir und Knuspr das Kerngeschäft darstellt, handelt es sich bei den Engagements von Edeka und Rewe auch weiterhin de facto um ein „Versuchsfeld“. Selbst bei optimistisch geschätztem Online-Umsatz der Rewe Group von 1 Milliarde Euro (inkl. Click & Collect) dürfte dieser kaum mehr als 1% des Gruppenumsatzes mit Gütern des täglichen Bedarfs ausmachen. Der Deutschland-Umsatz des aktuell gefeierten Lieferdienstes Picnic dürfte bei maximal einem halben Prozent des Edeka-Umsatzes liegen.
Es ist davon auszugehen, dass Edeka und Rewe so lange weiter experimentieren, wie sich international finanzierte E-Food-Anbieter noch auf den deutschen Markt wagen. Eine ähnliche Motivation zeigt derzeit Aldi Süd mit dem Pilotprojekt eines Online-Shops, in dem das Unternehmen erstmals auch frische Lebensmittel ins Angebot nehmen möchte. In der Eigendarstellung der Lebensmittelketten wird auf die „Einbettung in die Konzernstrategie“ (Christoph Eltze, Digital- und Technologievorstand der Rewe Group) als Teil verschiedenster Angebote verwiesen. Eine flächendeckende Versorgung wird ohnehin kategorisch ausgeschlossen.
Der Onlinehandel mit Lebensmitteln – was bleibt? Der Onlinehandel mit Lebensmitteln hat in Deutschland nach wie vor eine sehr geringe Bedeutung. Haupthemmnis einer durchgreifenden Verbesserung seiner Rahmenbedingungen sind die nach wie vor viel zu hohen Kosten bei gleichzeitig geringen Margen. Zudem fehlt den konzernfremden E-Food-Anbietern die Preissetzungsmacht. Weder gegenüber dem Verbraucher noch gegenüber der Industrie können Preise in hinreichender Notwendigkeit durchgesetzt werden.
Unter den Bedingungen, die im deutschen Lebensmitteleinzelhandel herrschen – das im internationalen Vergleich sehr dichte stationäre Vertriebsnetz einerseits und den oligopolistischen Strukturen andererseits – dürfte sich daran auch künftig wenig ändern. Damit sind etablierte Lebensmittelketten auch weiterhin in der Pole-Position, jederzeit die Geschwindigkeit der Entwicklung selbst zu steuern und den Marktzugang in Deutschland damit zu kontrollieren.