Bauplanungsrechtliche Steuerung des Einzelhandels

Wann ist Planung tatsächlich nachhaltig?

Auch Fachmarktzentren brauchen Luft zum Atmen. Foto: MEC

Die Corona-Pandemie könnte als Turbo für zukunftsweisende Veränderungen bei Fachmarktzentren dienen. Doch das Bauplanungsrecht streut dieser notwendigen Entwicklung (noch) Sand ins Getriebe. Ein Diskurs zur bauplanungsrechtlichen Steuerung des Einzelhandels. *)

„Ein Horrorjahr für den Handel“, „Investoren flüchten aus den Einkaufsmeilen“ und ähnlich lauteten die Headlines der Fachpresse Ende Juli 2020. Und ja, die Herausforderungen gerade für den Nonfood-Einzelhandel mit kumulierten Umsatzverlusten von 40 bis 60 Mrd. Euro bis zum Jahresende 2020 könnten kaum größer sein.

Während die „systemrelevanten“ Formate des Lebensmittel- und Drogerieeinzelhandels sowie die Bau- und Gartenmärkte überproportionale Umsätze einfuhren, haben sich die Kennzahlen und Aussichten der übrigen Marktteilnehmer im Einzelhandel deutlich eingetrübt. „Glück im Unglück“ für die Assetklasse der Fachmarkzentrenn ist, dass gerade die systemrelevanten Formate aus dem Lebensmittelhandel die Anker dieser großflächigen Einzelhandelsstandorte bilden.

Auf der Vermieterseite sind dennoch folgende Themen dringend zu lösen:

Mieter, die gravierende Umsatzverluste zu erleiden hatten, drängten auf die Stundung der Mieten und ein kurz- bis langfristiges Entgegenkommen bei den Mietkonditionen. Hier zeigen die vergangenen Monate, dass sich die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Mietern auszahlt: Häufig ist es gelungen, durch die leichte Absenkung des Mietniveaus gleichzeitig einen neuen Vertrag mit einer längeren Laufzeit zu vereinbaren.

Schwieriger sind die Fälle, in denen Mieter langfristig Teilflächen stilllegen möchten, um so Konditionsvorteile zu erlangen. Schwierig deshalb, weil für die Nachnutzung von Teilflächen wiederum bauliche Veränderungen, Investitionen und Genehmigungen notwendig sind, die so nicht vorgesehen waren.

Ein geringer Teil der Mieter wird im Zuge der krisenhaften Veränderungen durch Insolvenz aus dem Markt ausscheiden. Hier muss der Vermieter zügig Folgemieter identifizieren, die sich bestenfalls in das bestehende Bauplanungsrecht und die Sortimentsfestsetzungen des B-Plans am Standort einfügen.

Damit kommen wir zum schwerwiegendsten Problem: Die „starren Sortimentsbeschränkungen“ durch die textlichen Festsetzungen in den Sondergebiets-Bebauungsplänen verhindern in aller Regel eine flexible Anpassung des Mietermix und damit den notwendigen Anpassungsprozess an den Fachmarktstandorten. Mit anderen Worten: Der Markt ist dynamischer denn je, Veränderungen müssen eigentlich noch viel schneller umgesetzt werden, um lebendige Standorte zu erhalten - aber das Baurecht gibt dies nicht her.

Damit kommen wir zum springenden Punkt: Nachhaltig ist das Bauplanungsrecht eigentlich nur dann, wenn es den Handelsstandorten die „Luft zum Atmen“ lässt. Nachhaltig geplante Fachmarkzentren verfügen also über die Flexibilität der „artgerechten“ Weiterentwicklung und über Möglichkeiten, auf Veränderungen zu reagieren. Leider trifft dies auf die wenigsten Fachmarkzentren in Deutschland zu.

Unsere Arbeit als Marktgutachter und Autoren zahlreicher komplexer Verträglichkeitsgutachten zu Umnutzungs- und Refurbishment-Vorhaben im großflächigen Einzelhandel ist ein wichtiger Beitrag in den klassischen Bauleitplanverfahren. Das Problem: Wenn es in der Vergangenheit oftmals genügte, die Flexibilisierung des Bauplanungsrechts innerhalb der bislang „normalen“ Frist von 18 bis 24 Monaten (die ein solches Verfahren in der Regel benötigt) zu erreichen, taugt dies heute nicht mehr. Die Gründe:

1. Da in vielen Fachmarkzentren gleich mehrere Mieter ersetzt werden müssen und die damit verbundene Mietfläche im Objekt vergleichsweise hoch ist, sind außergewöhnliche, schnelle Lösungen gefragt, um die Objekte am Leben zu halten.

2. Die öffentlichen Verwaltungen haben sich während der Corona-Krise ins Homeoffice zurückgezogen und bei vielen Planungs- und Genehmigungsbehörden gibt es einen Rückstau von zu bearbeitenden Fällen. Zahlreiche, in den Verfahren notwendige Sitzungstermine sind ausgefallen oder verschoben worden, sodass nach unseren Erfahrungen viele Verfahren empfindlich stocken.

3. In dem Irrglauben, nur durch die Strangulierung von Fachmarkzentren ließe sich die Vitalisierung des Innenstadteinzelhandels erzwingen, sind viele Kommunen und Genehmigungsbehörden den Weg einer noch dezidierteren Sortimentsfestsetzung und einer extrem engen Orientierung am faktischen Bestand gegangen.

4. Durch die Verengung des Mietermarkts und die Oligopole in verschiedenen Branchen des stationären Einzelhandels stehen letztlich nur wenige expansionswillige und sehr selbstbewusste Mieter für Neuanmietungen zur Verfügung. Der Vermieter muss also genau das richtige Zeitfenster nutzen, um zügig den richtigen Mieter an die richtige Stelle zu bringen.

Die Veränderungsprozesse im Markt erfordern auf der Ebene des Bauplanungsrechts schnelle, zeitgemäße und pragmatische Lösungen, um Fachmarkzentren zu sichern und weiterzuentwickeln. Diese Forderung ist bekannt, bekommt aber in der Krise eine völlig neue Bedeutung.

Lösungsansätze für die Beschleunigung der Baurechtsflexibilisierung

Wir bleiben bei unserer Einschätzung, dass ungefähr die Hälfte aller Sondergebietsbebauungspläne für den großflächigen Einzelhandel unwirksam sind, weil sie gegen das sog. Verbot gebietsbezogener Verkaufsflächenfestsetzungen verstoßen („Eckernförde-Urteil aus 2008“). Damit wäre in vielen Fällen eine Erweiterung oder Umstrukturierung nach § 34 BauGB zu beurteilen, sodass Aspekte der Raumordnung Landesplanung entfielen - und damit auch Projekte möglich wären, die sich ansonsten nicht verwirklichen ließen. Voraussetzung bleibt, dass Vorhabenträger und Standortgemeinde die gleichen Ziele verfolgen.

Häufiger aber kommt das Instrument der Befreiung von den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 BauGB zum Einsatz. Der Vorteil: Schnelligkeit. Dieser Weg bleibt versperrt, wenn die Grundzüge der Planung berührt werden oder eben der gutachterliche Nachweis der städtebaulichen Vertretbarkeit nicht erbracht werden kann.

Wegweisendes EUGH-Urteil Visser/Appingedam

Für alle Fragen rund um den Bebauungsplan für die Fachmarkzentren bleibt auch weiterhin das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) in Sachen Visser/Appingedam wichtig. In der Konsequenz des Urteils sind textliche Festsetzungen in Bebauungsplänen vor allem für die ersten Jahre nach der Neuansiedlung wichtig, um den „Schutz der städtischen Zentren“ abzusichern. Aber die meisten Bebauungspläne bestehender Fachmarkzentren in Deutschland sind deutlich älter als zehn Jahre bzw. gehen auf die Entstehungsgeschichte dieser Standorte zurück.

Im Lichte des Urteils sollten textlichen Festsetzungen von Bebauungsplänen deshalb regelmäßig und aktiv hinterfragt werden. Denn deren Schutzwirkung war sicherlich in der Anfangsphase zweckmäßig, sollte aber jetzt gelockert werden. Eine zeitlich begrenzte Sortimentsbeschränkung wäre eine pragmatische Lösung, um eine flexible Planung für Städte und Gemeinden auch im Lichte des EuGH-Urteils zu ermöglichen.

Eine Lockerung der textlichen Festsetzung von Bebauungsplänen wäre insofern die logische Konsequenz. Sie kann über den Weg der Befreiung nach § 31 BauGB oder eben über eine klassische Bebauungsplanänderung erfolgen.

Ist die Sondergebietsfestsetzung noch gerechtfertigt?

Bei vielen städtebaulich integrierten Fachmarkzentren muss man sich die Frage stellen, ob die Sondergebietsfestsetzung überhaupt gerechtfertigt ist. Denn insbesondere durch den hohen Nahversorgungsanteil vieler Fachmarkzentren und deren eingewachsene Lage ist deren Beitrag zu Urbanität der Zentren ganz offensichtlich. In diesen Fällen sollte mutiger über eine Kerngebietsausweisung (MK) nachgedacht und diese forciert werden.

Selbstbewusste, ehrgeizige Städte, die diesen Weg bereits heute gehen, machen Mut. Die Erweiterung der kommunalen Planungshoheit (gegenüber Eingriffen der Raumordnung und Landesplanung) ist dabei ein weiterer Schlüssel, um maßgeschneiderte und selbstbestimmte Lösungen für die Städte sowie Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Fachmarkzentren haben sich nicht nur in der Krise bewährt, sie sind ein unverzichtbarer Teil des städtischen Handelsgefüges und der damit verbundenen Versorgungs- und Lebensqualität.

*) Der Artikel basiert auf einer Veröffentlichung im MEC Report „Shift Happens—Nachhaltigkeit als Chance“.