Die Konsolidierung im stationären Innenstadt-Handel schreitet 2023 voran, was sich im dritten Quartal auch an den Neuvermietungen und dem Wiedererstarken des innerstätischen Mode-Handels ablesen lässt – vor allem in den zehn größten Städten Deutschlands. Mit einem Flächenumsatz von 123 000 qm wurde nach Feststellung des Immobilienberaters JLL von Juli bis September das stärkste Einzelquartal der vergangenen zehn Quartale verzeichnet. Nach einer Konsolidierung in sechs Top-Städten hat sich auch das Niveau der Spitzenmieten wieder stabilisiert.
Schon zur Jahresmitte hatte sich gezeigt, dass die Insolvenz namhafter Einzelhändler wie Galeria Karstadt Kaufhof, Peek & Cloppenburg (P&C) Düsseldorf, der deutschen Handelstochter von Gerry Weber, Appelrath-Cüpper, Görtz oder Reno zwar den bedauerlichen Niedergang mancher deutscher Traditionsmarken markiert, gleichzeitig aber auch die Chancen auf Nachvermietungen in guten innerstädtischen Lagen eröffnet. Hier tun sich vor allem die Mode-Anbieter hervor, die nach einer Flaute während der Zwangsschließungen zur Pandemie-Bekämpfung laut JLL vor allem auf die Anmietung größerer Flächen ab 2 000 qm setzen, die in den ersten neun Monaten gut 43% des Flächenumsatzes 2023 ausmachten. In den zehn größten Städten erreichten sie mit einem Flächenumsatz von 89 400 qm sogar einen Anteil von 62%.
„Eine Reihe von Marken, darunter Snipes und Rituals optimieren ihre Flächen, indem sie Standorte konsolidieren, dafür aber großflächiger neuanmieten“, konstatiert Aniko Korsos, Head of Retail Leasing JLL Germany, die im Oktober auf Dirk Wichner folgte, der nach 25 Jahren bei JLL zur Deutschen Vermögens- und Immobilienverwaltung (DVI) gewechselt war.
„Weniger, dafür aber oftmals größere und modernere Stores in sehr überlegten Mikrolagen und mit gut durchdachter Kundenansprache, gehören hierbei mittlerweile zu den wichtigsten Zielen renommierter Retailer bei der Verbesserung des eigenen Filialnetzes“ ergänzt BNP Paribas Real Estate (BNPPRE) in seinem Bericht zum Vermietungsmarkt. Danach reichen die Neuerungen von der Konzeption marktplatzähnlicher Mega-Stores wie bei der Mode-Kette Zara und anderen Inditex-Marken etwa im Westfield Überseequartier in Hamburg über das neu konzipierte Shop-Format von Sport Scheck u. a. in Berlin, Frankfurt und Leipzig bis hin zu Transformationsprozessen wie sie etwa New Yorker, C&A sowie Sinn realisieren.
Laut BNPPRE wurde durch dieses Engagement des Modehandels die Marktdynamik im Vermietungsmarkt für Retail Assets 2023 spürbar angekurbelt. Ein Übriges tut der krisenbedingte Druck auf die Mieten, der die Neupositionierung der eigenen Läden in einer besseren Lage begünstigen dürfte. Denn den Vermietern bleibt nach den Verwerfungen durch die Zwangsschließungen und die Insolvenzen kaum etwas anderes übrig, als bei der Neuvermietung eine größere Kompromissbereitschaft etwa in Form von Risikobeteiligungen und Incentives an den Tag zu legen und so die Abschlussbereitschaft bei potenziellen Mietern zu fördern.
Der Mode-Handel ist wieder zurück
Als Beispiele für dieses lebhafte Nachvermietungsgeschäft führte Aniko Korsos in Frankfurt auf der Zeil die Anmietung von 27 000 qm in der jüngst geschlossenen Karstadt-Filiale durch das Modehaus Aachener an sowie die Anmietung der ehemaligen Görtz-Fläche durch Sport Scheck. Das Schuhhaus Görtz hat sein Filialnetz gemäß Hahn Retail Real Estate Report im Rahmen des Insolvenzverfahrens von 160 auf 40 Schuhläden verkleinert und gehört inzwischen dem branchenfremden Investor Bolko Kissling.
BNP Paribas Real Estate führt das lebhafte Marktgeschehen bei Großflächen und im Mode-Bereich vor allem auch auf die Nachvermietung ehemaliger (Textil-)Kaufhäuser zurück, auf die mehr als 30% des Flächenumsatzes größerer Einheiten entfallen. Davon hätten auch die A- und B-Städte profitiert, die mit knapp 125 000 qm bzw. etwa 100 000 qm schon nach neun Monaten die Flächenumsätze des gesamten Vorjahres übertroffen hätten. Positiv bewertet der Berater, dass die Händler die Transformationsprozesse innerhalb der Innenstadtlagen stärker als in den Vorjahren mitgestalten und versuchen, sich dadurch bestmöglich für die Zukunft aufzustellen.
Ins Bild passt auch, dass die Inditex-Gruppe bundesweit vier neue Läden der Marke Stradivarius eröffnet. Aber auch von den Shopping-Centern gibt es Neuvermietungen zu berichten. So verdoppelte die spanische Inditex-Gruppe für den bundesweit größten Zara-Store im Oberhausener Centro Westfield die Fläche auf 6 000 qm. Und für das Westfield Überseequartier in der Hamburger Hafencity konnte Unibail-Rodamco-Westfield (URW) in den vergangenen Monaten zahlreiche Großabschlüsse erzielen. Zu den Mietern, die 2022/23 gewonnen werden konnten, gehören Breuninger mit einem Flagship Store, Boss, Lacoste, Gant, Tommy Hilfiger – um nur einige zu nennen. Auch lokale Größen wie die Hamburger Marke Derbe gehören laut URW dazu.
Überseequartier befördert die Vermietung in Hamburg
Vor diesem Hintergrund summierte sich der Flächenumsatz in Hamburg laut JLL bei 56 Deals auf 47 400 qm, womit die Hansestadt in den ersten neun Monaten den Spitzenplatz unter den deutschen Top-Städten erreichte. Auf dem zweiten Platz folgte Frankfurt am Main mit 45 Vertragsabschlüssen und 37 300 qm, wie die Aufzählung der Vertragsabschlüsse schon erwarten ließ. „Vor allem die Mainmetropole Frankfurt hat das Vorjahr mit 410% deutlich übertroffen“, fasst Korsos zusammen. Selbst der Fünfjahresschnitt von 14 700 qm sei übertroffen worden. Die Bundeshauptstadt Berlin, die ansonsten mit einem Durchschnitt von 40 400 qm zwischen 2018 und 2022 meist auf dem Spitzenplatz zu finden ist, folgte mit 58 Abschlüssen und 34 600 qm auf dem dritten Platz.
Mit großem Abstand folgt Stuttgart auf dem vierten Platz. Hier wurden 11 400 qm neu vermietet. München folgte mit 10 400 qm auf Platz fünf – gleichauf mit Köln – gefolgt von Düsseldorf (9 900 qm), Nürnberg (9 100 qm), Leipzig (6 000 qm) und Hannover (4 300 qm). Damit lag das Vermietungsvolumen deutlich über dem Vorjahreszeitraum, das aber noch von den Folgen der Pandemie geprägt sein dürfte.
Insgesamt summierte sich das Vermietungsvolumen in den von JLL analysierten Städten in den ersten neun Monaten auf 336 000 qm, 6% mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dass die Zahl der Mietverträge mit 626 dennoch um 7% unter dem Vorjahreszeitraum lag, ist mit dem beachtlichen Anteil an großen Flächen zu erklären. Anders als in den vergangenen drei Jahren, als der Anteil der Top 10 im Schnitt bei etwa einem Drittel lag, entfiel 2023 mit insgesamt 180 900 qm mehr als die Hälfte des Flächenvolumens (54%) auf die zehn erfolgreichsten Städte, wie Aniko Korsos hervorhebt. BNPPRE liegt mit einem Vermietungsvolumen von fast 440 000 qm noch deutlich über diesem Wert, nach einem Volumen von 390 000 qm im gesamten Jahr 2022.
Positiv für den stationären innerstädtischen Einzelhandel und das Vermietungsgeschäft ist zu werten, dass der Online-Handel nach dem Höhenflug in den Corona-Jahren 2020 und 2021 mit Wachstumsraten von 23% respektive 19% im vergangenen Jahr gemäß dem jüngsten Hahn Retail Real Estate Report einen nominalen Umsatzrückgang von 2,5% oder 2,2 Mrd. Euro verzeichnete. Das kann als Indiz dafür gewertet werden, dass auch hier die Bäume nicht in den Himmel wachsen und die Bundesbürger ihre Einkäufe nicht weiter in den Online-Handel verlagern wollen.
Der Höhenflug im Online-Handel ist vorbei
Für eine Trendumkehr nach den Coronajahren und dem Strukturwandel durch die wachsende Online-Konkurrenz spricht auch die Tatsache, dass der Textileinzelhandel in diesem Jahr wieder der maßgebliche Treiber des Vermietungsgeschäfts war – vor allem in den zehn größten Städten. Mit 173 Mietverträgen über einen Flächenumsatz von knapp 155 000 qm erreichte die Branche laut JLL in den ersten neun Monaten einen Anteil von 46% am Vermietungsvolumen, wobei Modehäuser und Young-Fashion-Anbieter besonders aktiv waren.
Im Gegenzug ging der Anteil des Bereichs Gastronomie/Food, der auch den Lebensmittelhandel umfasst, in den ersten neun Monaten auf 20% zurück, bleibt damit aber die zweitstärkste Branche. Vor allem während der Zwangsschließungen in der Pandemie hatte JLL die verstärkte Expansion der Nahversorger in die innerstädtischen Top-Lagen registriert. So kehren auch die Discounter Aldi und Lidl vermehrt in die Innenstädte zurück. Mit großem Abstand folgen auf dem dritten Platz mit jeweils 7% die Branchen Gesundheit/Beauty, die vor allem von der Expansion der Drogeriemärkte getrieben wurde, und Sport/Outdoor.
Bei der Befragung der Expansionsverantwortlichen von 66 Vertriebslinien des Einzelhandels, der Gastronomie und filialisierter Dienstleistungen durch das EHI Retail Institute in Köln ergab sich, dass der Anteil der Befragten, die die Zahl ihrer Standorte bis Ende 2023 – gemessen am Vorjahr – erhöhen möchte von 51% auf 58% gestiegen ist. Das lag sogar noch über dem Wert des Vor-Corona-Jahres 2019 mit 56%. Vor allem der Lebensmitteleinzelhandel (92%) ist sehr expansiv, allerdings dürften hier auch Standorte am Stadtrand im Fokus sein. Im Bereich Gesundheit/Beauty waren es 88%, bei Bekleidung 75%, beim allgemeinen Bedarf 67% und bei Hobby&Freizeit 57%. In der Gastronomie steht es laut Umfrage pari zwischen weniger (50%) oder mehr Filialen (50%).
Bei den Spitzenmieten ermittelte JLL bei den sechs Städten Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Köln und Nürnberg Rückgänge in der Bandbreite von -2 bis -4%. Im Schnitt der Big 7 lag der Rückgang bei 2,6%. An der Spitze bleibt unvermindert die Münchener Kaufingerstraße im Bereich Marienplatz mit 340 Euro je qm/Monat, vor Berlins Tauentzienstraße mit 290 Euro, der Frankfurter Zeil und der Düsseldorfer Königsallee mit je 270 Euro. Aniko Koros geht davon aus, dass die Preise stabil bleiben und vor allem in den Toplagen mittelfristig auch wieder zulegen werden. „Vor allem dort, wo neu gebaut wird, müssen sich die Entwicklungen durch steigende Mieten rentieren“, so die Expertin. Beim Flächenumsatz erwartet sie – selbst wenn das vierte Quartal an Dynamik verlieren sollte – im Gesamtjahr2023 ein Volumen von 425 000 qm.