Als Teil des Mode-Handels gehören die stationären Schuhhändler zu den wichtigen Frequenzbringern deutscher Innenstädte. Sie sind die zweitwichtigste Branche, wenn es aus Sicht der Stadtbesucher darum geht, die Attraktivität einer City zu beurteilen. Doch der Schuhhandel hat zu kämpfen. Die Zahl der Schuhhändler ist seit der Jahrtausendwende stark geschrumpft und der Online-Handel weitet seinen Marktanteil aus. Das stellt auch die Innenstädte vor Herausforderungen.
Seit dem Jahr 2000 mit insgesamt noch 7 247 Schuhhändlern in Deutschland hatte sich die Zahl der Unternehmen bis zum Vor-Corona-Jahr 2019 bereits auf 3 434 mehr als halbiert, wie dem Branchenbericht Schuhe des IFH Köln zu entnehmen ist. Zwischen dem Corona-Jahr 2020 und dem Nach-Corona-Jahr 2023 sank die Zahl mit etwas vermindertem Tempo weiter von 3 147 auf 2 725. Nach spektakulären Insolvenzen wie der des traditionsreichen Schuhhändlers Görtz mit vielen Filialschließungen oder der von Reno ist die Zahl der Insolvenzanträge inzwischen wieder unter das Niveau der Vorjahre gesunken, wie Hansjürgen Heinick, Senior Consultant beim IFH Köln beim ECC Web Talk zum Thema „Schuhmarkt in der Krise?“ darlegte. Vor allem in der Zeit nach der Finanzkrise 2008 lagen die Insolvenzzahlen besonders hoch. Mit geschätzt 2 625 Schuhhändlern im Jahr 2024 könnte bei diesem Schrumpfungsprozess laut Heinick inzwischen der Boden erreicht sein.
Gründe für Schließungen im Schuhfachhandel sind nach Darstellung des Experten etwa, dass viele keine Nachfolger finden oder sie geben auf, weil sie im Wettbewerb nicht mehr mithalten können. Hinzu kommt, dass die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland, der spürbare Anstieg der Verbraucherpreise und die entsprechend gesunkene Verbraucherstimmung auch im Schuhhandel Spuren hinterlassen. Konkret ist der Anteil der Ausgaben für Schuhe und Bekleidung an den Gesamtausgaben der Deutschen seit 2000 von durchschnittlich 5,5% auf 3,6% im Vorjahr gesunken, bezieht sich Heinick auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Bis 2029 wird ein weiterer Rückgang auf 3,2% erwartet.
Gleichzeitig sind viele Kosten wie etwa Mieten und Mietnebenkosten stark gestiegen und die Bundesbürger geben im Schnitt mehr Geld für deutlich verteuerte Lebensmittel, für Gesundheit, Freizeit und sonstige Dienstleistungen aus, wie es im IFH-Branchenbericht Schuhe heißt. Die Ausgabebereitschaft für Mode ist gesunken, stellt Heinick zusammenfassend fest, auch wenn dahinter noch kein Wohlfahrtsverlust steht.
Im Zuge der anhaltenden Stagnation in Deutschland und der allgemein herrschenden Kaufzurückhaltung überlegen die Kunden heute zweimal, was sie brauchen, stellt auch Peter Frank, Executive Consultant bei der BBE Handelsberatung im ECC Web Talk mit Blick auf das verstärkte Preisbewusstsein fest. Und wie Heinick beipflichtet, sind viele Kunden in die Niedrigpreiskategorie gewechselt, oder sie kaufen weniger – zumal auch in der Schuhbranche nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine die Preise zunächst spürbar angezogen haben, zuletzt aber nur noch langsam gestiegen sind.
Polarisierung zwischen Luxus und Discount
Wie generell im Bereich Mode und Bekleidung findet sich auch im Schuhmarkt laut Frank eine Polarisierung zwischen Luxus auf der einen Seite und Discount-Angeboten auf der anderen Seite. Für preisbewusste Kunden ist es vor diesem Hintergrund von Vorteil, dass Discount-Produkte und preiswertes Einkaufen nach Feststellung des Experten heute als „gesellschaftsfähig“ gelten. In diesem Kontext ist es für den hiesigen Schuhhandel aber auch von Bedeutung, dass immer mehr preiswerte Schuhe über die chinesischen Online-Anbieter Temu und Shein – geschätzter Wert etwa 2,7 Mrd. bis 3,3 Mrd. Euro – bestellt werden, die den europäischen Markt derzeit aggressiv bespielen. Dagegen verliert die Mitte, die 2014 noch 82% des Schuhmarktes beherrschte, immer mehr an Boden. Bis 2024 sank ihr Anteil auf 70% und soll bis 2029 auf 60% sinken.
Für die Schuhhändler bedeutet die aktuelle Marktentwicklung aber auch, dass sie mit weniger Kollektionen und Ware gute Erlöse erwirtschaften müssen, wie Frank feststellt. So sind nach seiner Erkenntnis aus der Branche viele Stimmen zu hören, die sagen, dass Schuhhandel keinen Spaß mehr mache – zumal sich die Branche von dem Corona-bedingten Umsatzeinbruch noch immer nicht ganz erholt hat, wie der Blick auf die Entwicklung der Branchenumsätze zeigt: Erreichte das Marktvolumen im Vor-Corona-Jahr 2019 einen Wert von 9,9 Mrd. Euro, so lag der Umsatz 2024 bei 9,54 Mrd. Euro (-0,9% gegenüber 2023).
Interessant ist nach dem Corona-bedingten Umsatzeinbruch auf 8,36 Mrd. Euro (-15,6%) im Jahr 2020 und 8,40 Mrd. Euro (+0,5%) im Jahr 2021 der spürbare Anstieg um 10,4% auf 9,270 Mrd. Euro 2022 und um weitere 3,8% auf 9,625 Mrd. Euro im Jahr 2023. Ganz offensichtlich wurde hier der Nachholbedarf gedeckt, der auch dem stationären Fachhandel zugutegekommen ist.
2024 gingen die Branchenerlöse dagegen wieder um 0,9% zurück und sollen nach der Prognose des IFH 2025 nur um 0,2% auf 9,560 Mrd. Euro wachsen. Das zeigt, dass die Branche nur schwer wieder Tritt fassen kann und der Online-Handel auf den Wachstumspfad zurückgekehrt ist. Laut Frank herrscht seit 2022 eine „Konsumdisparit“: Das heißt, die Kunden würden gerne kaufen, aber sie kaufen nicht.
Mit einem Anteil von 57% vereinigen der stationäre Schuhfachhandel und die Filialisten ungeachtet der leichten Anteilsverluste von -5% gegenüber 2019 laut IFH-Branchenbericht immer noch den allergrößten Anteil des Schuhmarktes auf sich, wobei ihr Online-Anteil nach Heinicks Schätzung bei etwa 10% liegt. Der Sportfachhandel, der Bekleidungsfachhandel und die Warenhäuser verloren in diesem Zeitraum 1% auf 13%. Dagegen konnten die Versender und die Online-Pure Player ihren Anteil in den vergangenen fünf Jahren um 8% auf nunmehr 24% erhöhen. Auf SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte, Discounter und Sonstige Anbieter entfielen die restlichen 6%.
Beim Blick auf das Jahr 2025 geht Heinick davon aus, dass der stationäre Schuhfachhandel und die Filialisten weiter leicht verlieren werden, der Bekleidungs- und Sportfachhandel „positiv stabil“ bleiben wird, und Internet-Pure-Player sowie Versender als einzige leicht wachsen werden. Ein Problem für die Branche sind laut Frank die starken Markenhersteller, die neben dem Vertrieb über den Schuhhandel auch direkt an die Kunden verkaufen.
Der stationäre Schuhhandel muss am Ball bleiben
Diese Entwicklung zeigt, dass der stationäre Schuhhandel nach dem Aderlass der vergangenen beiden Dekaden am Ball bleiben muss, um seine Marktstellung zu verteidigen – schon im Interesse der Innenstädte. Denn analog zum Klagelied vieler Akteure, dass der Schuhhandel keinen Spaß mehr mache, weiß BBE-Consultant Frank zu berichten, dass auch den Kunden der Einkauf im klassischen Geschäft nicht mehr so viel Spaß macht. Gegenwärtig beherrscht vor allem der bedarfsorientierte Einkauf, bei dem es um Auswahl und Preis geht, den Schuheinkauf. Und dabei schauen sich viele erst einmal im Netz um. Impulskäufe gibt es dagegen eher weniger.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Executive Consultant Frank der Branche: Arbeiten Sie an ihrer Positionierung, grenzen Sie sich vom Wettbewerb ab und denken Sie den Schuhhandel neu. Wichtig für ein Unternehmen ist es aus Sicht des Experten, die eigene Zielgruppe zu kennen und aus Sicht des Zielmarktes und der Zielgruppen eine „große Idee“ oder eine „Story“ zu repräsentieren. In diesem Kontext muss ein Schuhhändler eine erkennbare Position im Markt haben und sich vom Wettbewerb abgrenzen. Vollgestopfte Regale mit einem riesigen Angebot an Schuhen gilt dagegen als austauschbar und langweilig.
Wichtig ist laut Frank, dass der gesamte Marktauftritt zur Vision des Unternehmens passt, wenn man seine Zielgruppe erreichen will: der Standort, das Erscheinungsbild, die Mitarbeiter, das Sortiment, der Preis, die Marktkommunikation und auch der Service. Auch muss eine Antwort gefunden werden auf die Frage, ob eine Klarheit im Sortiment angestrebt wird oder ob alle Zielgruppen bedient werden sollen. In diesem Kontext empfiehlt der Experte die Konzentration auf weniger Lieferanten – nicht zuletzt im Interesse der Rendite.
Fast schon selbstverständlich ist die Erkenntnis, dass sich der stationäre Handel gegen den virtuellen Online-Handel mit seinem Preisvorteil abgrenzen muss, indem er auf seiner Verkaufsfläche viel reales Erlebnis pro qm bietet. So bringen Events laut Frank Kunden in den Laden und schaffen eine Community. „Erlebnis pro qm kann aktiv gesteuert werden“, lautet sein Leitsatz. Dazu gehören Aufenthaltsqualität, Beratungsqualität, Ambiente und Store-Design, Regionalität, Warenpräsentation und auch die Wandlungsfähigkeit – um nur einige Aspekte zu nennen. Ein Positivbeispiel ist für den Experten etwa der Schuhhändler Muecke in Rödental, der sich vom Schuhmarkt mit Gratissocken zum Fashion-Anbieter mit Schuhkompetenz und entsprechendem Ambiente weiterentwickelt hat.
Ganz wichtig für die Branche ist aus Franks Sicht auch eine konzertierte Aktion zwischen Mode/Bekleidung und Schuhen, worin er eine Win-Win-Situation für beide Branchen sieht: Fashionkompetenz plus Schuhkompetenz – schließlich wird beides zusammengetragen und muss deshalb auch harmonieren. Schuhe müssten wieder ein Modeartikel werden, fordert er. Denn ohne die Verbindung der Schuhbranche zum Bekleidungssortiment wird es aus seiner Sicht schwierig. Als Positivbeispiel nennt er Ludwig Beck und Thomas Schuhe in München, im vierten Obergeschoss des Kaufhauses. „Ergänzen Sie Ihr Sortiment – selbst oder mit Kooperationspartnern“, lautet sein Motto.