Lockerung nach dem Shutdown

Von Kundenansturm kann keine Rede sein

Nach der Lockerung nimmt die Frequenz nur langsam zu. Foto: Comfort

Weil sie nach der Öffnung der Einzelhandelsgeschäfte mit einem Kundenansturm wie in der Vor-Corona-Zeit rechneten, erlaubten die Politiker zunächst nur die Öffnung von Läden mit bis zu 800 qm Verkaufsfläche. Großbetriebe durften nur auf verkleinerter Fläche von 800 qm verkaufen. Doch die Städte füllen sich nur langsam.

Die Wiedereröffnung des Nonfood-Einzelhandels mit bis zu 800 qm Verkaufsfläche am 20. April sei durchweg verantwortungsvoll verlaufen, konstatiert der Handelsverband Deutschland (HDE) in seiner Bilanz für die erste Woche der Lockerungsmaßnahmen. Der von den Politikern befürchtete Ansturm der Kunden auf die wiedereröffneten Geschäfte sei ausgeblieben, so der Handelsverband mit Blick auf die Tatsache, dass die Frequenz der Top-Lagen selbst in den Spitzenzeiten nicht einmal 50% der Vorjahreswerte erreicht habe und sich die Kunden sehr „besonnen und risikobewusst“ verhalten hätten.

Diese Entwicklung bestätigte auch das Start-up-Unternehmen Hystreet.com aus Köln, das regelmäßig rund um die Uhr per Laserscanner mit einer Genauigkeit von 99% die Passantenfrequenzen in zahlreichen deutschen Städten und Innenstadtlagen misst. Demnach kamen in den untersuchten Lagen am ersten Tag, dem Montag, die meisten Passanten in die Innenstädte, womöglich um sich anzuschauen, wie viele Geschäfte offen waren. Zwischen Dienstag und Freitag habe sich die Frequenz dann aber wieder etwas abgeflacht, teilt das Unternehmen mit.

Und an dem von der Politik mit Spannung erwarteten ersten Samstag nach der Lockerung zeigte sich laut Hystreet.com, dass sich die Menschen sehr vorsichtig verhalten haben und die Städte nur zum Teil etwas belebter waren als am ersten Montag und die Werte noch weit unter den Durchschnittswerten eines Samstags im Vorjahreszeitraum lagen.

Konkret hat Hystreet.com zusammen mit dem Kölner Beratungsunternehmen Imtargis die mit dem Laserscanner erfassten Daten von ausgewählten Top-Lagen in 17 deutschen Städten untersucht. Mit der Öffnung der ersten Geschäfte in der ersten Woche der Lockerungsmaßnahmen nach Ostern hätten die Städte das 2,4-fache der Frequenz in der Phase des Shutdowns erreicht, aber nur durchschnittlich 27 bis 50% der Standardfrequenz eines normalen Wochentages im Jahr 2019.

Da das Wetter zu diesem Zeitpunkt bundesweit gleichbleibend sonnig war, wurden die Messungen laut Julian Aengenvoort, Geschäftsführer der Hystreet.com GmbH, „quasi unter Laborbedingungen durchgeführt“. Im Durchschnitt betrachtet stabilisierte sich die Frequenz in den untersuchten Städten im Betrachtungszeitraum zwischen dem 20. und dem 25. April bei 39% des Jahresdurchschnittswerts von 2019, wobei es allerdings regionale Unterschiede gab. Die Stadt Mainz etwa zeigte sich mit einer erreichten Wochenfrequenz direkt nach Öffnung der ersten Geschäfte von fast 50% der Standardfrequenz des Vorjahres als Spitzenreiter. Die Einzelhandelslagen in Frankfurt a.M. und Dresden verzeichneten gegenüber der Shutdown-Phase dagegen den geringsten Anstieg.

Die Frequenz reicht nicht an normale Zeiten heran

Nach einer Untersuchung des Immobiliendienstleisters Comfort, die gleichfalls auf den Daten von Hystreet.com basiert, erreichten die analysierten Einkaufsstraßen etwa am 23. April Frequenzen, die gemessen an der Frequenz des Vorjahres (25. April 2019) nur ein Niveau von etwa einem Viertel erreichte wie in der Kölner Schildergasse und von nur gut einem Drittel wie in der Hamburger Spitalerstraße, dem Dortmunder Westenhellweg, der Düsseldorfer Schadowstraße und der Stuttgarter Königstraße. Ausreißer nach oben war mit einem Wert von etwa 50% an dem Tag die Georgstraße in Hannover.

Laut Olaf Petersen, Chefresearcher bei Comfort, sind die Frequenzen nach der Lockerung zwar noch weit von den Werten normaler Zeiten entfernt, doch liegen sie nach seiner Einschätzung zumindest in einer für die Umsätze des Einzelhandels relevanten Größenordnung. Gleichzeitig widerspricht er mit Bezug auf die vorgelegten Zahlen, den in politischen Diskussionen geäußerten Meinungen, dass die Menschen schon wieder einkaufen würden wie vor dem Shutdown. Von der Normalität sei man noch sehr weit entfernt (siehe Comfort-Grafik).

Gründe für die moderate Frequenz in den untersuchten Städten sind aus Sicht des Experten das Fehlen der Touristen, die in normalen Zeiten in vielen Städten einen großen Teil der Besucher ausmachen, das Fehlen der großen Besuchermagneten aus dem Einzelhandel, die wegen der Begrenzung auf 800 qm Verkaufsfläche bislang nicht oder nur auf verkleinerter Fläche (800 qm) öffnen durften. Das ist etwa für innerstädtische Warenhäuser mit Flächen von 20 000 bis 30 000 qm nur nein Tropfen auf den heißen Stein.

Hinzu kommt, dass für die Konsumenten die Regeln der Kontaktsperre, die größere Zusammenkünfte verhindern, weiterhin gelten. Auch fehlen die Menschen, die normalerweise in den Innenstädten arbeiten, weil sie sich noch im Home-Office befinden. „Letztlich ist schlecht einzuschätzen wie viel potenzielle Kunden auch schlicht das Risiko einer Infektion fürchten und die Innenstädte meiden“, konstatiert Petersen: „Hierbei kann bereits die Anreise mit dem ÖPNV eine Rolle spielen, der gegenwärtig von vielen Menschen gemieden wird.“

Positive Erfahrungen auch im Nonfood-Handel

Mit Blick auf die insgesamt doch positiven Erfahrungen bei der zumindest teilweisen Öffnung des Nonfood-Einzelhandels begrüßt der HDE, dass „die Wiedereröffnung des gesamten Einzelhandels nach einheitlichen, nicht-diskriminierenden Vorgaben flächendeckend im gesamten Bundesgebiet“ ermöglicht wird, um Rechtsunsicherheit und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

Zumal aus Sicht des Verbandes für eine Öffnung auch größerer Einzelhandelsflächen triftige Gründe sprechen: „Je stärker sich Kundinnen und Kunden des Einzelhandels auf ein größeres Maß an Verkaufsfläche verteilen können, desto leichter wird es, Abstand zu halten“, so der HDE. Außerdem seien größere Einzelhandelsbetriebe vielfach auch „in peripheren und weitläufigen Fachmarktlagen angesiedelt“. Wenn die Kunden hier häufiger einkaufen würden, könnte das die Kundenströme in den engeren historischen Citylagen entzerren. Hinzu kommt, dass die Menschen regelmäßig mit dem Pkw an die Peripherie fahren, so dass Menschenansammlungen im öffentlichen Nahverkehr vermieden werden.