13. Deutscher Handelsimmobilien-Gipfel: Einzelhandel und Innenstädte

Von Empathie, Kundenbindung und mehr Leben in den innerstädtischen Lagen

Kongress mit Abstand und 3G. Foto: R. Vierbuchen

Stadt und Handel werden meist in einem Atemzug genannt. Dass alle Akteure eng zusammenarbeiten und alte Denkmuster und Gewohnheiten über Bord werfen müssen, um Deutschlands Innenstädte wieder zu beleben, wurde auch beim jüngsten Handelsimmobilien-Gipfel in Düsseldorf diskutiert.

„Als Corona auftauchte, da fragten wir uns, was wird sich verändern“, erinnert sich  Thomas Ebenfeld, Managing Partner bei der Concept M Research + Consulting GmbH. 18 Monate nach dem ersten Shutdown im März 2020 ist das ganze Ausmaß der Pandemie für die Weltwirtschaft sichtbar. Mit der Frage, wie sich der Konsument in diesem Umfeld verändert hat, befasste sich Ebenfeld beim 13. Deutschen Handelsimmobilien-Gipfel in Düsseldorf in seinem Vortrag über den „Post-Corona-Shopper“. Denn auch die Wertmaßstäbe der Menschen als Kunden des Einzelhandels und Besucher der Innenstädte haben sich verändert.

War die Vor-Corona-Zeit geprägt vom „gierigen Konsumenten“, von einer „Überfülle“ in der es immer nur um das „Ich“ ging und die sofortige Erfüllung der Wünsche und die Gier nach ständigem Erleben, um Entkoppelung und Entleerung, so ist laut Ebenfeld der private Rückzug für viele heute wichtig geworden. Der Bezug zum Reisen hat sich verändert. Heute reise man nur noch zu wichtigen Events, nicht mehr für eine halbe Stunde mal eben nach Berlin.

Viele haben in der Zeit der Isolation auch erkannt, dass bei Bekleidung Qualität wichtiger ist als viel Fast-Fashion nach dem letzten Schrei. Unter Qualität verstehen viele Bürger nach Beobachtung des Beraters nun Bio-Produkte und Nachhaltigkeit und Themen wie Tierwohl stehen so hoch im Kurs, dass auch der Discounter Aldi versichert hat, dass er künftig stärker auf Haltebedingungen achten wird.

Ebenfeld beobachtet derzeit eine Glorifizierung des einfachen Lebens und er geht davon aus, dass diese Veränderung bei Moral und Qualitätsbegriff Bestand haben wird – auch wenn im Alltagsgebrauch vegane oder Bio-Produkte vermischt werden mit Massenware. Noch fehle bei diesem Trend die Eindeutigkeit, weiß der Experte, so dass der Einzelhandel diese bestehende „Widersprüchlichkeit“ mitdenken müsse. Gleichzeitig erwarten die Konsumenten – nach den neuen Erfahrungen mit den Annehmlichkeiten des Online-Kaufs, vom stationären Handel auch die Nutzung der digitalen Möglichkeiten – etwa dass der Händler einen Pullover beschaffen kann, der in der gewünschten Größe gerade nicht im Laden ist. Aus Sicht des Experten muss der Einzelhandel diese neuen Konsumleitbilder und den Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit berücksichtigen und seine Angebote im Sinne der neuen „Post-Corona-Shopper“ differenzieren.

Zumal es für den stationären Einzelhandel nach den Worten von Christian Krömer, geschäftsführender Gesellschafterder Spielwaren Krömer GmbH & Co KG, auch vor Corona wichtig war, mit seinem Angebot im Internet vertreten zu sein, damit sich die Kunden in Ruhe online über das Sortiment informieren können und nachschauen, was vorrätig ist. Die Verbindung von Online- und Offline-Welt sei heute „State of the Art“.

Verbindung von Online und Offline ist „State oft he Art“

Diese Anpassungsfähigkeit ist für die Zukunft des Handels selbst, aber auch für die Innenstädte von elementarer Bedeutung, da der Leerstand in vielen Cities nach den zahlreichen Schutzschirm- und Insolvenzverfahren im Zuge der Zwangsschließungen spürbar zunimmt. Dass vor diesem Hintergrund die Stadtentwicklung wieder in den Fokus der Politik gerückt ist und mit allen diskutiert werden muss, weiß auch Johannes Remmel, Sprecher für Europapolitik und Stadtentwicklung in der  Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von NRW, zu berichten.

Wenn es darum geht, den Leerstand durch neue Nutzungen wie Bildungseinrichtungen – in Siegen zieht die Universität in die oberen Etagen der Karstadt-Filiale – zu beheben und mehr Wohnungen anzusiedeln, dann müssten auch die Bürger mitgenommen werden, warb der Politiker für eine offene Gestaltung des Prozesses. Voraussetzung ist, dass auch die Eigentümer offen für Veränderungen sind. Problematisch ist oft, dass viele Investoren nicht vor Ort sind. Das gilt nach den Worten von Joaquin Jimenez Zabala, Vertriebsleiter Shopping-Center bei der Wisag Facility Management Holding, für ausländische Fondsgesellschaften, denen oft der Bezug zu den jeweiligen Städten fehle.

Mit Blick auf die Kosten der Stadtentwicklung, die viele Kommunen laut Remmel davon abgehalten haben, das Thema zu diskutieren, weil das Geld fehlt, stellt sich aus seiner Sicht die Frage, wie man z.B. auch die digitalen Unternehmen an der Finanzierung beteiligen könnte. Eine weitere wichtige Aufgabe ist es, bei der Nachnutzung von Leerstand unbedingt ein Trading-down durch unpassende Konzepte zu verhindern.

Im Rahmen der Diskussionen zeigte sich deutlich, dass der Einzelhandel mit zeitgemäßen und kreativen Konzepten, die Eigentümer und ihre Bereitschaft, die jeweilige Handelsimmobilie als Teil des öffentlichen Raums zu begreifen, wie Jörn Wege, Head of Strategic Development bei der MEC, feststellte, und die Bereitschaft der Kommunen, den Veränderungsprozess durch die flexible Anwendung des Planungsrechts zu begleiten, die wesentlichen Stützpfeiler einer Stadtentwicklung sind.

Neue Aktivitäten und Veranstaltungen

Zudem ist es bei der Konzeption der Stadt der Zukunft entscheidend, Neues zu wagen und für den öffentlichen Raum – jenseits des Konsums – neue Aktivitäten und Veranstaltungen zu planen, damit die Menschen auch abends in die Cities kommen, wie Diana Anastasija Radke, geschäftsführende Gesellschafterin der KVL Bauconsult GmbH, im Workshop „Quartiersentwicklung im Wandel“ darlegte. Dazu gehören etwa auch Springbrunnen in der Innenstadt oder Gastronomie auf den Flachdächern von Geschäftshäusern, wie sie etwa Kiel plant, um den Blick auf das Meer zu bieten, das von der leidenden Fußgängerzone Holstenstraße aus nicht zu sehen ist.

Aus Sicht von Ina-Marie Orawiec, Geschäftsführerin der OX2 Architekten GmbH, geht es bei der Innenstadt heute um „Ortsbindung“ und die Tatsache, dass der Einzelhandel nicht nur seinen eigenen Laden, sondern auch die öffentlichen Räume benötigt. Dazu zählen auch Kirchen und Paläste oder Museen, aber auch die Gehwege, die mit zahllosen Pappbechern zugemüllt oder mit E-Rollern zugstellt sind. Das eine ist wichtig für die Frequenz, das andere eher schädlich.

Deshalb ist es aus ihrer Sicht wichtig, die Innenstadt neu zu denken, darüber nachzudenken, wie man Kulturangebote in den öffentlichen Raum bringen kann – wie etwa den „Dom-Sprung“ in Aachen, der viele Zuschauer anlockt. Unabdingbar sind heute auch Maßnahmen für den Klimaschutz wie die Begrünung von innerstädtischen Fassaden wie beispielsweise in Krefeld.

Dass er seine Breuninger-Filiale im Zentrum von Nürnberg als Bestandteil der Innenstadt versteht, dokumentiert Henning Riecken, Geschäftsführer der E. Breuninger GmbH & Co KG Nürnberg beispielsweise durch eine Gastronomiefläche im Erdgeschoss, die sich mit Außenbestuhlung zur Einkaufsstraße hin öffnet. Im Gespräch mit Jürgen Gaiser, Partner von Blocher & Partner diskutierte er über die Frage: „Hat der innerstädtische Einzelhandel eine Zukunft?“

Wichtig für die Innenstädte ist laut Gaiser, dass nicht nur ein Händler aktiv ist, sondern viele mitmachen und alle zusammenwirken. Und auch Empathie ist wichtig, weshalb Riecken samstags im Eingangsbereich der Breuninger-Filiale die Kunden persönlich begrüßt. Das entscheidende Kapital im Einzelhandel sei die Kundenbindung.

Das sieht Marc Ramelow, geschäftsführender Gesellschafter der Mode-Kette Gustav Ramelow, genauso. So war es ihm während der Lockdowns ganz wichtig, dass seine Mitarbeiter die Kommunikation mit den Kunden aufrechterhielten, etwa per Telefon. Auch bei der Raumgestaltung zeigt der Modeanbieter, dass er bei seinem Geschäftsmodell über den reinen Warenverkauf hinausgeht und mehr Fläche für Lounges zum Verweilen – auch zur Neukundenbindung – und großzügige Umkleidekabinen bietet. Genauso wie Breuninger setzt Ramelow zudem auf Pop-up-Flächen für lokale Start-ups. Das bringt Abwechselung und neue Kunden.

Es ist wichtig, über den Verkauf hinaus zu denken

Rainer Winninger, Geschäftsführer der Win West GmbH, veranschaulichte anhand der Gestaltung der Intersport-Winninger-Filiale, wie weit Einzelhandel heute über den reinen Warenverkauf hinausgehen muss. „Trauen Sie sich etwas im Ladenbau“, appellierte er an das Publikum. Winninger bietet in seinem Verkaufsraum viele Aktionsflächen wie einen Fußballplatz, eine kleine Kletterwand, einen Ski-Lauf-Simulator, eine echte Lift-Gondel und digitale Elemente. Das Ziel: die Besucher dazu zu animieren, den 100 m langen Verkaufsraum ganz zu durchqueren.

Mit dem Thema: „Der Lebensmittelhandel als Retter der Innenstadt?“ befasste sich Angelus Bernreuther, Leiter Institutionelle Investoren und Immobilienwirtschaft bei der Kaufland Stiftung. Weil er in dieser Diskussion über den Lebensmittelhandel, der auf Grund seiner Systemrelevanz zu den Gewinnern der Corona-Pandemie gehört, einen differenzierten Beitrag leisten will, hat er hinter die Headline ganz bewusst ein Fragezeichen gesetzt. Die Nahversorgung sei nicht in jeder Einzelhandelslage der Hauptfrequenzbringer, gibt er zu bedenken. Da vor allem die großen Formate ein umfassendes Einzugsgebiet und Parkplätze vor der Tür benötigen, um rentabel zu sein, sind die Zentren der Großstädte für sie weniger geeignet. Vielmehr gilt laut Bernreuther: Je kleiner die Stadt, umso wichtiger der Lebensmittelhandel.

Dass im Zuge des Veränderungsdrucks auch bei Immobilieneigentümern, Behörden und der Politik ein Umdenken eingesetzt hat, berichtete Jörn Wege in seinem Vortrag über die „Handelsimmobilien in der Stadt der Zukunft“. So sei das Thema marktgerechtere Mietvertragsgestaltung hier inzwischen angekommen. Die Frage sei nur, ob es auch immer umgesetzt werden könne. Neu ist nach seiner Erkenntnis, dass die Eigentümer erkennen, dass ihre Immobilien auch Teil des öffentlichen Raums sind. Bei den Kommunen, für die der Einzelhandel früher oft als Schreckgespenst galt, gibt es laut Wege mehr Gesprächsbereitschaft. Man werde heute positiv empfangen, doch werde auch absolute Transparenz erwartet.