Städtecluster in Deutschland

Vom kommerziellen Einkaufen zum Shopping mit Spaßfaktor

Trier, die beliebte "unnahbare Schöne". Foto: BBE

In Zeiten der Digitalisierung, in denen der nüchterne Versorgungskauf von Nicht-Lebensmitteln vermehrt ins Internet verlagert wird, stellt sich für Städte und Einzelhandel die Frage, wie sie es dennoch schaffen, die Kunden in die Cities zu holen. Die Antwort darauf wollen die IFH FÖRDERER mit ihrer Studie „Innenstadthandel in Zeiten der Digitalisierung“ geben, die aufzeigt, was Innenstädte attraktiv macht, wie erfolgreiche Städte aufgestellt sind und womit sie punkten können.

„Die Ergebnisse helfen Händlern, Gastronomie, Dienstleistern und Stadtverwaltungen die Entwicklungen deutscher Innenstädte besser zu verstehen, zukünftige Entwicklungen zu prognostizieren und gemeinsam Maßnahmenpakete gezielt zu entwickeln und umzusetzen“ sagt Prof. Werner Reinartz, Direktor Seminar für Handel und Kundenmanagement an der Uni Köln und Direktor der IFH FÖRDERER.

Ko-Autoren der Studie sind die Post-Doktoren der Uni Köln, Julian R.K. Wichmann und Thomas Scholdra. Den gemeinnützigen Verein IFH FÖRDERER, der an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis agiert, gibt es seit 1929. Mitglieder sind Handelsunternehmen und Hersteller, Verbände, Kammern, Dienstleister und öffentliche Institutionen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf dem wechselseitigen, inhaltlichen Austausch zwischen akademischer Arbeit und operativer Handelswelt.

Wie die Ursachenanalyse für den Niedergang vieler Innenstädte zeigt, sehen die Kunden das Einzelhandelsangebot über die Jahre kritischer, so dass sie seltener in die Cities kommen und dann auch weniger Läden aufsuchen. Die Folge: Die Frequenz sinkt, es gibt mehr Leerstand und die Angebotsvielfalt schrumpft weiter. Laut IFH Köln mussten zwischen 2010 und 2019 bundesweit knapp 18 000 Einzelhandelsgeschäfte mit einem Jahresumsatz von jeweils gut 50 000 Euro schließen. In England und Wales hätten die Zentren seit 2013 etwa 8% des stationären Einzelhandels verloren, wird der Autor Josh Holder mit seinem Artikel „High street crisis deepens“ im The Guardian zitiert wird.

Diesem Trend steht andererseits die positive Wahrnehmung der Kunden gegenüber, dass die „Gesamtattraktivität der Innenstädte“ gestiegen ist, weil mehr für das Ambiente getan wurde, es mehr Gastronomie gibt und auch das Freizeitangebot verbessert wurde. Professor Reinartz bringt das so auf den Punkt: die Städte würden sich vom „Place of Commerce“ zum „Place of Experience“ entwickeln, wobei neben den Freizeitaspekten dem Einzelhandel aber weiterhin eine tragende Rolle zukomme.

Mit Blick auf die immer wieder angeführte These, dass sich die Innenstädte neu erfinden müssen, liegt für die Autoren die Antwort darauf in einer stärkeren Verschmelzung von Wohnen und Arbeiten, vermischt mit Einkaufs-, Gastronomie-, Kultur- und Freizeitangeboten. Diese Wertschätzung für das Wohnen und Arbeiten in der Stadt nimmt laut Studie vor allem in Klein- und Mittelstädten zu. Hier müsse es aber auch die entsprechenden, attraktiven Wohnungen geben.

Aus einem Warenhaus wird ein Mischobjekt

Als Beispiel für eine solche Mischung gilt der Rück- und Umbau eines ehemaligen Warenhauses in Lünen in ein Mischobjekt mit Handel, Gastronomie, Büro- und Praxisflächen sowie Wohnungen. Gleichzeitig belegen immer mehr Gastronomie-Konzepte leerstehende Handelsflächen und tragen so zur Belebung der Cities bei.

Das zeigt laut Studie, dass die reine Distribution von Gütern immer weniger als Aufgabe der Innenstädte gesehen wird, da die Kunden seltener hierherkommen, um ein spezifisches Produkt zu kaufen. Dafür nutzen viele das Internet. Gerade deshalb ist ein ansprechendes und ausgewogenes „Handels- und Dienstleistungsangebot“ als maßgeblicher Treiber einer attraktiven Innenstadt so wichtig, denn die Menschen kommen primär zum Einkaufen in die City – entscheidend ist aber die richtige Mischung mit Gastronomie und Unterhaltung.

Dabei verleiht das Erkunden neuer Geschäfte dem Einkaufen einen inneren Wert und das Bummeln durch Fußgängerzonen und Einkaufszentren wird als „unterhaltsames, informatives und angenehmes Erlebnis“ empfunden, wie die Autoren bezugnehmend auf die Stadtmarketingliteratur schreiben. Das fördert die Frequenz für alle Anbieter. Für Einzelhändler stellt sich laut Studie deshalb die Frage, wie sie einerseits spontane oder geplante Einkäufe ermöglichen und andererseits Erlebnisse schaffen, die ihre Marke stärken und „nachgelagerte Käufe“, beispielsweise online, anregen.

Der zweite wichtige Treiber der Attraktivität ist die Erreichbarkeit der Innenstadt, was vor allem für die Besucher/Arbeitnehmer aus dem (weiteren) Umland gilt. Sie ist ein wichtiger Indikator für den Grad der (Un-)Bequemlichkeit, wie die Autoren schreiben. Dabei gilt der Pkw in der westlichen Welt als wichtigstes individuelles Fortbewegungsmittel und für Autofahrer ist der leichte Zugang zur City und ausreichend Parkplätze entscheidend für eine bequeme Anreise. Gleichzeitig steht der Pkw mit Blick auf den Klimawandel gerade im Mittelpunkt heftiger Kontroversen und wird von der Politik kritisch gesehen. Laut Studie ist aber auch die Erreichbarkeit mit dem Rad und mit öffentlichen Verkehrsmitteln oft noch ausbaufähig.

Die Erreichbarkeit ist für die Kunden sehr wichtig

Der dritte Treiber ist das Ambiente der Innenstadt, wozu Reize wie Geruch, Luft, Licht, Sauberkeit, Sicherheit, Architektur und die „Atmosphäre insgesamt“ gehören. Hier handelt es sich eher um emotionale, affektive Reaktionen. Im stationären Handel ist es die Gestaltung des Verkaufsraums, die für Ambiente sorgt. Gleichzeitig prägt der Einzelhandel die Innenstadt mit seinen Außenfassaden und der Gestaltung der Schaufenster. Da laut Studie die Erfahrungen innerhalb und außerhalb der Läden verschwimmen, sind die Verbraucher beim Bummeln vielen Reizen ausgesetzt. Dafür müssen sie nicht einmal einen Laden aufsuchen.

Als Positivbeispiel für eine Aufwertung des öffentlichen Raums nennen die Autoren die Stadt Siegen mit ihrem Stadtentwicklungs-Konzept „Siegen – Zu neuen Ufern“, das von 2012 bis 2017 darauf abzielte, das verbaute Erscheinungsbild der Innenstadt zu beseitigen. Dabei wurden Parkplatzflächen rückgebaut und der Fluss Sieg renaturiert. Den positiven Effekt konnten Einzelhandel und Gastronomie laut Studie an ihren Umsätzen ablesen. 2023 ist eine innerstädtische Grünfläche geplant.

Wo Städte ansetzen können, um ihre Attraktivität zu steigern, zeigen die Autoren anhand ihrer Clusteranalyse, die fünf Innenstadttypen mit ihren Stärken und Schwächen unterscheidet: Dazu gehört zum einen die „unnahbare Schöne“ mit den Beispielstädten Speyer, Trier und Braunfels. Diese mittelgroßen Städte sind als Kultur- oder Freizeitstadt bei Touristen sehr beliebt, was an der überdurchschnittlichen Zahl von Übernachtungen abzulesen ist. „Unnahbar“ sind sie, weil sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht zu erreichen sind und zu wenige Parkplätze bieten.

Mit ihren attraktiven Gebäuden und Parks bieten sie vor allem ein „überdurchschnittliches Ambiente“. Die Attraktivität des Einzelhandels- und Dienstleistungsangebots gilt zwar nur als durchschnittlich, doch haben diese Städte über alle Cluster hinweg die höchste Pro-Kopf-Zahl an Geschäften (5,4 Geschäfte pro 1 000 Einwohner) und eine sehr attraktive Gastronomie.

Die „unterschätzte Alleskönnerin“ mit Städten wie Landsberg am Lech, Wismar und Leipzig liegt laut Studie in allen Kategorien über dem Durchschnitt. Neben dem Ambiente und dem Stadtbild wird hier auch das Einzelhandels- und Dienstleistungsportfolio als sehr gut bewertet, wobei dieses aus Sicht der Autoren wiederum positiv vom Ambiente beeinflusst wird. Das spiegelt sich auch darin wider, dass die Besucher überdurchschnittlich lange bleiben. Auch bei der Erreichbarkeit schneidet „die unterschätzte Alleskönnerin“ über alle Verkehrsmittel gut ab.

Die „pragmatische Einkaufsstadt“ mit Städten wie Bebra und Magdeburg liegt laut Studie beim Ambiente mit 0,24 Punkten unter dem Durchschnitt. Das städtische Erscheinungsbild in punkto Gebäude, Fassaden und Sehenswürdigkeiten gelten als weniger attraktiv und die Naherholungsflächen sind unterdurchschnittlich groß.

Noch viel Potenzial in der „pragmatischen Einkaufsstadt“

Das schlägt auch auf die Beurteilung des Einzelhandels durch. Denn trotz der höheren Einzelhandelsdichte und der Heterogenität des Angebots wird das Handelsportfolio negativer bewertet. Die Kunden kommen laut Studie zwar überdurchschnittlich oft, bleiben aber nicht lange. Es gibt viele Arbeitnehmer, die in die Stadt einpendeln. „Die Konsumenten scheinen diese Städte also vor allem für zielgerichtete Einkäufe oder für die Arbeit aufzusuchen“, schreiben die Autoren.

Das Cluster „attraktive Einkaufsstadt“ mit Städten wie Braunschweig, Koblenz und Düsseldorf umfasst primär Großstädte und Metropolen, die vor allem mit ihrem attraktiven und vielfältigen Einzelhandels- und Dienstleistungsangebot punkten, auch wenn die Zahl der Geschäfte pro Kopf unterdurchschnittlich ist. Sie gelten als besonders lebendig, weil sie den Besuchern mit ihrem umfassenden gastronomischen Angebot viel bieten, so dass die Verweildauer besonders lange ist.

Ambiente und Erreichbarkeit liegen laut Studie nur leicht über dem Durchschnitt, doch sind die Innenstädte mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut erreichbar. „Bei der „attraktiven Einkaufsstadt“ handelt es sich also um eine lebendige Großstadt, die als Wirtschaftsstandort von gehobener Bedeutung auch eine attraktive Innenstadt hat, wie die Autoren feststellen.

Die „kleine Versorgerstadt“ mit Städten wie Monheim, Plön oder Oranienburg umfassen mit durchschnittlich 51 400 Einwohnern die kleinsten Städte mit vergleichsweise geringem Wachstum. Sie sind gut mit dem Pkw und dem Fahrrad zu erreichen, werden am häufigsten besucht, haben aber die geringste Verweildauer. Die gute Anbindung an den Fernverkehr macht sie jedoch als Wohnort für Einpendler in andere Städte attraktiv, zumal die Naherholungsfläche hier am höchsten ist.

Punkten können sie mit ihrer sehr guten Nahversorgung und den kurzen Wegen zu Schulen und Apotheken. Die Geschäftsdichte ist allerdings gering und das Angebot eher homogen. „Die hohe Besuchsfrequenz dieses Clusters bietet ein enormes Potential, die Konsumenten stärker an sich zu binden“, schreiben die Autoren: „Auch die gute Erreichbarkeit und großen Naherholungsflächen sind Stärken, die die kleinen Versorgerstädte in Zukunft noch stärker ausspielen können, um das Ambiente zu stärken und so Konsumenten zu einem längeren Verweilen einzuladen.“