Vermietungsmarkt

Viele Chancen in einem zunehmend unsicheren Marktumfeld

Junge Mode belebt das Vermietungsgeschäft. Foto: Lührmann

Nach der Pandemie ist vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Der innerstädtische Vermietungsmarkt für Handelsimmobilien befindet sich derzeit in einer regelrechten Kompression. Nachdem die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung gelockert wurden, war die Belebung des Geschäfts im zweiten Halbjahr 2021 deutlich zu spüren. Nun werden die Marktbedingungen durch die vielschichtigen Folgen des Ukraine-Krieges erneut stark verändert.

Denn nach den Worten von Dirk Wichner, Head of Retail Leasing bei JLL Germany, hat die anhaltend hohe Inflation, die die Kaufkraft der Bundesbürger spürbar schmälert, „die Kauflaune in Deutschland inzwischen auf das historisch niedrigste jemals gemessene Niveau gedrückt“. Das bestätigt auch der Handelsverband Deutschland (HDE) in seinem Konsumbarometer für den Monat August. Der Teilindikator Anschaffungsneigung sackte auf ein neues Allzeittief. Im zweiten Halbjahr kommt die Unsicherheit über die Energieversorgung – insbesondere mit Gas – hinzu und die Angst vor hohen Nebenkosten, die die Kaufkraft schmälern.

Größere Anschaffungen oder Investitionen werden in diesem Umfeld laut Wichner aufgeschoben. Das dürfte vor allem den (innerstädtischen) Nonfood-Handel treffen, da Lebensmittel unerlässlich sind und auch immer teurer werden. Der Vermietungsexperte hofft allerdings, „dass dies nur eine Momentaufnahme ist und die Zuversicht der Verbraucher mit den Unterstützungspaketen der Bundesregierung schnell wieder zurückkehrt”.

Beim Blick auf den Vermietungsmarkt für Retail Assets stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob sich das im Zuge der Corona-Lockerungen laut BNP Paribas Reals Estate (BNPPRE) „spürbar beschleunigte Vermietungsgeschehen im zweiten Halbjahr 2021“, im ersten Halbjahr 2022 auch unter den Kriegsbedingungen fortgesetzt hat. Diese Frage lässt sich nach Erkenntnis der Immobilienberater JLL und BNPPRE zur Halbjahresbilanz mit „Ja“ beantworten.

Zwar habe der bundesweite Retail-Vermietungsmarkt für innerstädtische Lagen in den ersten sechs Monaten keine Trendwende erreicht, wie BNPPRE anmerkt, doch habe der erzielte Flächenumsatz mit rund 200 000 qm in den ersten sechs Monaten auf dem Niveau der Jahre 2021 mit 215 000 qm und 2020 mit gleichfalls knapp 200 000 qm gelegen. Und JLL ergänzt, dass sich in den zehn größten Städten der Aufwärtstrend aus dem zweiten Halbjahr 2021 mit einem Flächenumsatz von 83 400 qm – das sind 40% des Gesamtvolumens – 2022 fortgesetzt hat. Der Berater ermittelt für die ersten sechs Monate sogar einen Flächenumsatz von 218 400 qm – 3,5% mehr als 2021.

Bleibt die Frage, welche Faktoren und Marktakteure das Vermietungsgeschäft bei sinkender Kaufkraft der Kunden im weiteren Jahresverlauf beeinflussen werden. Dazu zählt in unsicheren Zeiten „die Sicherheit bei der Standortwahl“, die Interessenten laut BNP Paribas Real Estate mit der Fokussierung vor allem auf die A-Städte anstreben. Zumal das Flächenangebot in Citylagen durch zahlreiche Filial-Schließungen im Zuge der Verwerfungen durch die Shutdowns deutlich gestiegen ist.

Der Fokus liegt auf dem Thema Sicherheit

„In Zeiten, in denen Expansionsentscheidungen vor dem Hintergrund der sich fortsetzenden geopolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten getroffen werden müssen, bieten die Top-Märkte zumindest bei der Standortwahl das höchste Maß an Sicherheit“, gibt Christopher Wunderlich, Head of Retail Advisory bei BNP Paribas Real Estate zu bedenken.

Top-Städte mit teilweise deutlichem Zuwachs beim Flächenumsatz sind laut JLL die Bundeshauptstadt Berlin mit einem Vermietungsvolumen von 24 300 qm – darunter auch internationale Neuzugänge wie die US-Restaurant-Kette Big Easy – sowie Hamburg mit 12 500 qm und sechs Anmietungen allein am Neuen Wall sowie Köln mit 12 200 qm. BNPPRE ermittelte für München ein Volumen von 12 000 qm und für Frankfurt, Düsseldorf sowie Stuttgart auf den hinteren Plätzen jeweils etwa 3 000 qm.

In der Kategorie der B-Städte heben sich in der Größenklasse mit mindestens 500 000 Einwohnern laut BNPPRE unter anderem Essen mit 7 000 qm, Hannover mit 4 000 qm und Leipzig mit 2 500 qm durch ihre gestiegenen Vermietungsvolumina in Citylagen hervor. In den Städten mit 100 000 bis 500 000 Einwohnern sind beispielsweise Erfurt mit 3 000 qm, Bonn mit 2 800 qm, Mainz mit 2 500 qm oder Wiesbaden mit 2 100 qm als Märkte mit überdurchschnittlicher Zwischenbilanz zu nennen.

Ein weiterer Faktor, der bei der aktuellen Wiederaufnahme von Expansionsaktivitäten eine wichtige Rolle spielt, sind die internationalen Marken, für die der deutsche Einzelhandelsmarkt zunehmend interessant wird. Laut BNPPRE entfiel auf diese Gruppe ein Anteil von 26% des jüngsten Vermietungsvolumens. Damit stelle sich das Vermietungsgeschehen derzeit so international dar wie zuletzt 2018, als 30% der Abschlüsse auf global agierende Marken entfielen. Und dass diese Klientel vor allem auf die A-Städte mit ihrer in normalen Zeiten hohen Frequenz setzen, lässt sich daran ablesen, dass hier auf die Internationalen laut BNPPRE über 52% der Vermietungen und Eröffnungen entfielen. Das sei der mit Abstand höchste Wert der vergangenen Jahre.

Zu den internationalen Neuzugängen der vergangenen zwölf Monate gehörten laut JLL neben der erwähnten US-Restaurant-Kette Big Easy am Potsdamer Platz in Berlin die US-Sportmarke Lids und der polnische Nonfood-Discounter Pepco. Des Weiteren gehören dazu laut BNPPRE u.a. der Online-Elektronik-Filialist Coolblue, der in den Kö-Bogen II in Düsseldorf gezogen ist, der Lebensmittelanbieter Waterdrop in der Hohe Straße in Köln, das neue Mode-Konzept Armani Exchange, das sich in der Schildergasse der Dom-Stadt niedergelassen hat und der Outdoor-Spezialist Norrøna in der Sendlinger Straße in München. „Sowohl die Branchen und Konzepte als auch die Herkunftsregionen und Zielmärkte dieser Marktpremieren unterstreichen hierbei die Vielfalt bei den Nachfrageimpulsen aus dem Ausland“, schreibt der Immobilienberater.

Bei den Branchen, die das Vermietungsgeschäft derzeit antreiben, zeigt sich ein differenziertes Bild, je nachdem, ob man die Zahl der Abschlüsse oder den Flächenumsatz betrachtet. Nachdem sich die für die Innenstädte so wichtige Mode-Branche im ersten Quartal 2022 mit einem Anteil von 41% am Flächenumsatz gegenüber der Gastronomie-/Foodbranche wieder stärker durchsetzen konnte, müssen sich die Branchen am Ende des ersten Halbjahres 2022 den Spitzenplatz teilen.

Die meiste Fläche entfällt auf die Mode-Branche

So steht Gastronomie/Food bei den Abschlüssen mit 161 Verträgen – allerdings über kleinere und mittlere Flächen mit zusammen 57 700 qm – an der Spitze, während die Mode-Branche mit 73 800 qm – aber nur 111 Abschlüssen – beim Flächenvolumen vorn liegt. Hier wurden auch viele Großflächen mit mehr als 1 000 qm gemietet. Zudem hat laut Wichner die Expansion der Qick-Commerce-Anbieter (Q-Commerce) im Lebensmittelbereich zuletzt an Schwung verloren.

Spuren haben die Corona-Pandemie und die Folgen des Ukraine-Krieges im ersten Halbjahr 2022 nach Feststellung von JLL erneut bei den Spitzenmieten hinterlassen. So registriert der Immobilienberater im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bundesweit einen erneuten Rückgang um 1,8%, wobei die Entwicklung je nach Stadtgröße sehr unterschiedlich verlief. „Am stabilsten zeigen sich die Städte in der Einwohnerklasse 100 000 bis 250 000“, schreibt JLL, hier habe der Rückgang nur 0,7% betragen.

In den als „Big 10“ bezeichneten zehn erfolgreichsten deutschen Einkaufsmetropolen gingen die Mieten im Schnitt dagegen um 1,7% zurück. Allerdings ist auch hier das Bild nicht einheitlich. Während die Spitzenmieten in der Kaufingerstraße/Marienplatz in München, in der Königsallee in Düsseldorf, in der Spitalerstraße in Hamburg, in der Schildergasse in Köln, in der Georgstraße/Bahnhof in Hannover sowie in der Petersstraße und der Grimmaische Straße in Leipzig konstant blieben, verzeichneten vier Einkaufslagen Mietrückgänge zwischen 3 und 7%.

Dazu gehören die Tauentzienstraße in Berlin sowie die Zeil in Frankfurt und die Königsstraße in Stuttgart sowie der Bereich Ludwigsplatz-Hefnerplatz-Karolininestraße in Nürnberg. Die größten Rückgänge von durchschnittlich 4,5% wurden laut JLL-Vermietungs-Chef Wichner in der Städte-Kategorie mit 250 000 bis 500 000 Einwohnern registriert. Bis zum Jahresende erwartet er in den Toplagen der „Big 10“ dagegen stabile Spitzenmieten, weitere punktuelle Mietpreisrückgänge außerhalb der Spitzenlagen kann er aber nicht ausschließen.

In seinem Fazit kommt der Immobilienberater BNP Paribas Real Estate zu dem Ergebnis, dass sich das verbesserte Marktsentiment im ersten Halbjahr auch maßgeblich auf internationale Handelsmarken übertragen hat: „Hierdurch konnte das Nachfragespektrum für A-Städte, aber auch für gut funktionierende Innenstadtlagen außerhalb der großen Shoppingmetropolen ausgeweitet und Markteintritte umgesetzt werden“, stellt er fest.

Beim Blick auf die nächsten Monate konstatiert Christoph Scharf, Geschäftsführer und Head of Retail Services bei der BNP Paribas Real Estate GmbH, dass sich aktuell die Bandbreite für in- und ausländische Einzelhändler, die auf den stationären Markt setzen und bei nachgebenden Mieten und größerem Angebot die Gunst der Stunde nutzen wollen, vergrößert – auch wenn in puncto Leerstandsabbau aus seiner Sicht noch ein weiter Weg zu gehen ist.

Doch ist für Scharf der erste Schritt für eine spürbare Wiederbelebung des Vermietungsmarktes gemacht: „Ob dieser Aufschwung nachhaltig ist, dürfte sich angesichts der weiter bestehenden geopolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten jedoch erst im zweiten Halbjahr zeigen.“