Mit der Tatsache, dass die Städte und die Innenstadtakteure angesichts sinkender Besucherzahlen über die Neuausrichtung ihrer Cities nachdenken müssen oder sogar darüber, dass sie sich ganz neu erfinden müssen, befasste sich auch der jüngste virtuelle Immo Talk Einzelhandel von DZ Hyp und Heuer Dialog. Das Motto: „Die Retail-Zukunft beginnt jetzt: Unsere Innenstädte brauchen ein neues Mindset!“
Vor diesem Hintergrund hat es aus Sicht von Thorsten Lange, Senior Economist bei der DZ BANK schon Symbolkraft, dass der virtuelle DZ Hyp Immo Talk aus der Hansestadt Hamburg gesendet wurde. Das langjährige Drama um die immer teurere Elbphilharmonie, der unfertige Elbtower und schließlich das 86 000 qm große Shopping-Center Westfield Hamburg-Überseequartier, das schon 2023 fertig werden sollte und dessen Eröffnung wegen eines Wasserschadens nun erneut vom 25. April auf Ende August verschoben werden musste, sind Zeugnisse für eine nicht immer glückliche Hand bei Leuchtturmprojekten.
Laut Lange hat die Hamburger Innenstadt, die nicht weit entfernt ist vom Überseequartier, mit der Verschiebung der Center-Eröffnung noch eine kleine Gnadenfrist erhalten. Denn der City-Handel steht durch die neue Konkurrenz stark unter Druck. Hinzu kommt, dass die riesige Mall in einer ganz anderen Zeit geplant wurde – als Einzelhandelsflächen auch in der Hansestadt noch knapp waren. Die Planungen stammen noch aus der Zeit von vor der Finanzkrise 2008/2009 und der ursprüngliche Entwickler, die Immobilien-Tochter der ING Bank, existiert nicht mehr.
Doch mit der Erholung nach der Finanzkrise und bedingt durch die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde das Flächenangebot in Deutschland durch den Bau zahlloser Shopping-Center deutlich ausgeweitet. Auch in der Hansestadt Hamburg gab es zahlreiche Projektentwicklungen. Und die Mieten legten zwischen 2008 und 2017 deutlich zu. Gleichzeitig ging der Flächenbedarf im stationären Einzelhandel im Zuge des Strukturwandels durch die wachsende Online-Konkurrenz zurück – und damit sanken auch die Mieten.
Als Folge der Zwangsschließungen während der Pandemie gibt es immer noch Insolvenzen, zählt Lange auf, aber die Mieten, die zuvor deutlich zurückgegangen waren, hätten sich weiter stabilisiert. Und neue Nutzer aus dem Einzelhandel wie Ikea interessieren sich vermehrt für Innenstadtlagen. Und auch die Inditex-Gruppe mit ihren Marken und Deichmann expandieren nach Beobachtung von Aniko Korsos, Head of Leasing bei JLL, wieder mehr. Die Mode-Branche, die lange geschwächelt habe, sei komplett zurück, so die Expertin, die gleichzeitig in den vergangenen beiden Jahren eine erhöhte Flächennachfrage im Luxus-Segment registrierte.
In diesem Kontext stellt auch Lange fest, dass sich der Einzelhandel in den vergangenen beiden Jahren wieder etwas besser entwickelt, der Mietrückgang scheine abzuklingen und es sei wieder erkennbar, in welchen Bereichen der Branche es Perspektiven gibt. Ein Hoffnungsschimmer für den Handel sind auch die hohen Tarifabschlüsse, die den deutlichen Rückgang der Reallöhne durch die Inflation wieder ausgleichen könnten – wenn sich die Konsumlaune, die laut GfK-Konsumklima und HDE-Konsumbarometer immer noch sehr niedrig ist, wieder aufhellt.
Die Touristen sind wieder zurück
Eine gute Botschaft insbesondere für die größeren Städte ist laut Lange, dass sich der Tourismus, der im Vor-Corona-Jahr 2019 einen Boom erlebte, nach dem totalen Shutdown 2020 bis Mitte 2022 wieder stark belebt hat: „Damit ist eine wichtige Käufergruppe zurückgekehrt“, so der Ökonom. Ausländische Konsumenten sind erfahrungsgemäß ausgabefreudiger als die Bundesbürger. Besonders groß ist der Effekt in der Bundeshauptstadt Berlin, in der nach Beobachtung von Aniko Korsos zwar jeder Händler gerne präsent sein möchte, der erzielbare Umsatz angesichts der immer noch unter dem Bundesdurchschnitt liegenden Kaufkraft in der Stadt, jedoch nicht allzu hoch ist. Deshalb sind die Touristen eine wichtige Käufergruppe. In anderen Metropolen ist der Anteil der lokalen Bevölkerung am Konsum größer.
Während die Flächennachfrage im Einzelhandelsmarkt demnach allmählich wieder anspringt, gibt es in der aktuellen Lage eher Probleme mit den Vermietern, die vielfach noch nicht erkannt haben, dass die Vermietung einer Verkaufsfläche auf vier Etagen an Esprit heute so nicht mehr funktioniert oder die Vermietung eines leerstehenden Karstadt-Warenhauses, wie Aniko Korsos zu berichten weiß: „Wir brauchen gute Entwickler, die gute marktgängige Flächen für die Innenstadt entwickeln“, so die Expertin. Dann funktioniere es auch. In den oberen Etagen bieten sich nach ihrer Erfahrung Angebote für Unterhaltung an. So hat sich der Mode-Anbieter P&C in Frankfurt in der Fläche verkleinert und für die oberen Etagen wurden Unterhaltungs- und Freizeitangebote gewonnen. Viele Eigentümer würden jedoch erst reagieren, wenn der Druck spürbar ist, beklagt Aniko Korsos. Überall ist zu beobachten, dass die Immobilienbranche noch in der Anpassungsphase steckt.
Handlungsbedarf zur Verbesserung der Geschäfte sieht Thorsten Lange aber auch bei vielen Einzelhandels-Ketten, die in ihren Angeboten sehr jugendlich ausgerichtet sind, während der Anteil der durchaus laufkraftstarken älteren Generationen immer weiter zunimmt. Er sieht hier noch Potenzial für den Handel. Allerdings sollte man nicht immer nur die gebrechlichen Alten im Sinn haben, die nur noch Sanitätshäuser oder sonstige Gesundheitsangebote benötigen.
Die positive Seite der aktuellen Marktbereinigung in den Innenstädten ist, dass mittelständische Ketten wie die Spielwaren Krömer GmbH & Co. KG mit ihrer Kette Toysino in den Cities leichter Fuß fassen können. „Wir finden derzeit mehr Flächen als wir brauchen können“, berichtet Christian Krömer, CEO der Toysino GmbH und Geschäftsführer von Spielwaren Krömer, der in Bayern 19 Filialen betreibt und im Oktober vergangenen Jahres die 19 stationären Filialen von My Toys übernommen hat: Bei diesem großen Flächenangebot müsse man aufpassen, dass man sich nicht übernimmt, so Krömer.
Nach seiner Beobachtung ist es auch für die Vermieter eine Umstellung, nicht mehr nur mit den großen Ketten zu verhandeln. Als Nachteil sieht er gleichzeitig Einzelhandelsstandorte, an denen sich die immer gleichen Filial-Ketten befinden. Das bietet auch den Kunden wenig Anreiz, solche Einkaufslagen aufzusuchen, weil hier die Abwechselung fehlt. Ein wichtiges Thema ist für Christian Krömer – ungeachtet der bisherigen Korrekturen – dass die Mieten bezahlbar sind.
Probleme in den Klein- und Mittelstädten
Beim Immo Talk Einzelhandel haben die Experten auch einen Blick auf die Probleme in den Klein- und Mittelstädten geworfen und sich mit der schwierigen Frage befasst, wie man wieder mehr Einzelhändler in die Zentren dieser Städte zurückholen kann. Laut Aniko Korsos haben sich die großen Ketten, die in den Mittelstädten für Verwerfungen gesorgt haben, später wieder zurückgezogen und Lücken hinterlassen. Um diese Städte zu beleben, muss man aus ihrer Sicht „das Besondere schaffen“, etwa eine lokale Attraktion wie eine Boutique mit Zugkraft durch ein gutes Angebot, das funktioniert. Daneben ist es aus ihrer Sicht wichtig, in die Aufenthaltsqualität zu investieren, damit die Menschen einen Grund haben, in die Innenstädte zu kommen. Und Krömer appelliert an die Städte darauf zu achten, dass sie der Innenentwicklung den Vorrang vor der Außenentwicklung geben.
Dabei spielt in Klein- und Mittelstädten mit ihrem großen Einzugsgebiet und einem nicht so guten ÖPNV wie in den Metropolen auch die Erreichbarkeit mit dem Pkw (inkl. bezahlbarem Parkraum) für die Innenstadtbelebung eine zentrale Rolle. Kleine Städte brauchen keine Verkehrsberuhigung merkt Krömer zum Thema „autofreie Innenstädte“ an. Und die Runde war sich bei diesem Thema einig, dass es immer auf den Einzelfall ankommt. Denn auch bei Luxus-Lagen ist es laut Aniko Korsos wichtig, dass man hier mit der eigenen Luxuslimousine vorfahren kann, wie etwa der Blick auf die Königsallee in Düsseldorf oder die Maximilianstraße in München zeigt. Anders ist es bei den klassischen Einkaufslagen der Großstädte, die autofrei sind und damit den vielen Besuchern den nötigen Freiraum geben, ungestört Bummeln zu gehen.