Um den deutschen Shopping-Center-Markt war es zuletzt ruhig geworden. In welche Richtung sich die Branche bei Neuentwicklungen und Revitalisierungen bewegt, zeigt der Blick in den EHI Shopping-Center Report 2023.
Als in Deutschland der Hype um Shopping-Center mit dem Boom am deutschen Immobilien-Markt Mitte der 2000er-Jahre einsetzte, lag die Verkaufsflächen-Ausstattung mit 1,45 qm pro Kopf bereits deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Anders als in anderen Ländern gibt es nicht die eine Metropole wie London oder Paris, die alles überstrahlt, vielmehr wird Deutschland geprägt von sieben Top-Metropolen und vielen attraktiven Mittel- und Kleinstädten mit lebendigem Einzelhandelsangebot.
Mit der Nachverdichtung der Einzelhandelsflächen in den Innenstädten durch die neuen Shopping-Center in den 2000er-Jahren entstanden die vom Einzelhandel sehr geschätzten Flächen im modernen Zuschnitt, allerdings wuchs die ohnehin gute Flächenausstattung weiter. Und auch der Einzelhandel expandierte, bis er mit dem exorbitant wachsenden Online-Handel Mitte der 2010er-Jahre gezwungen war, zusätzlich einen Online-Vertrieb aufzubauen und seine Verkaufsfläche zu konsolidieren. Seither läuft das Vermietungsgeschäft bei Handelsimmobilien schleppender.
Vor diesem Hintergrund steht bei allen Diskussionen über die Entwicklung der Innenstädte und der Shopping-Center das Thema Mischnutzung im Mittelpunkt – mit dem positiven Nebeneffekt, dass zusätzliche Nutzungen auch zusätzliche Frequenz bringen können. „Wenn großflächige Mieter ausziehen oder ihre Flächen verkleinern, ist die Suche nach geeigneten Nachmietern oft schwierig.“, berichtet Lena Knopf aus dem Forschungsbereich Immobilien und Expansion beim EHI Retail Institute und Autorin des EHI Shopping-Center Reports 2023.
Nach Erfahrung der Expertin fällt die Wahl in solchen Fällen oft auf Nutzer aus anderen Branchen wie Fitnessstudios, medizinische Dienstleister oder Büromieter, wobei der Bürosektor mit dem wachsenden Home-Office-Anteil auch vor einem Strukturwandel steht. Der Trend zur Flächenumnutzung prägt auch die Revitalisierung älterer Shopping-Center. „An vielen Standorten besteht ein Überangebot an Mietflächen und die Passantenfrequenzen in den Randbereichen, Ober- und Untergeschossen sind vielfach spürbar zurückgegangen“, heißt es dazu im Shopping-Center Report. Die Bandbreite der Alternativnutzungen reicht von Hotels, Co-Working Space, eine Arcade-Arena (Spieleparadies), ein Escaperoom für Spiele, Indoor-Minigolf, eine Klette- oder eine Trampolinhalle. Ein Beispiel für diese Mischung ist laut Report das revitalisierte Forum Steglitz, eines der ältesten Center in der Berliner Schloßstraße, in der es vier Center gibt. Der Wettbewerb um neue Mieter und weitere Nutzungen ist entsprechend groß. 10 000 qm im zweiten und dritten Obergeschoss wurden in Büros umgewandelt. Mit einem Edeka Center No 1 auf 5 000 qm setzt das Forum zudem stärker auf Nahversorgung. Bei der Neugestaltung des Innenbereichs standen helle Farben und ein offenes Design im Mittelpunkt.
Ein anderes Revitalisierungsbeispiel ist das 40 Jahre alte Rahlstedt Center in Hamburg. Hier musste nach dem Auszug eines Elektronikhändlers die Fläche neu strukturiert werden. Dabei stellte die Ansiedlung eines Kindergartens mit einer separaten 400 qm großen Außenfläche laut EHI-Report „eine neue Facette der Integration in den Stadtteil dar“. Im Nedderfeld Center wurden im Rahmen der Modernisierung – neben neuen Handels- und Gastronomiekonzepten – ein Fitness-Studio und medizinische Dienstleistungen angesiedelt. Darüber hinaus erhielt das Center eine neue Fassade, ein modernes Parkhaus und eine Neugestaltung des Innenbereichs.
Beim The Playce, den ehemaligen Potsdamer Platz Arkaden am Potsdamer Platz in Berlin, ist bereits der neue Name Programm. Hier ging es im Rahmen der Neupositionierung durch ECE und Brookfield Properties darum, den Freizeitaspekt in den Vordergrund zu rücken: auf 4 000 qm bietet der Spielwarenhersteller Mattel ein Mission:Play Familien-Entertainment Center. Den zweiten Aspekt der Freizeitgestaltung, das Essen gehen, deckt die Food Hall von Manifesto ab. Dabei übernimmt „das Konzept des kreativen Hubs (…) neben der gastronomischen Versorgung und Nahversorgung noch weitere Funktionen als Raum für Erlebnisse, Unterhaltung, Bildung, Kultur und Lifestyle-Veranstaltungen“, heißt es im Shopping Center Report. Da wird das „Einkaufen“ fast schon zur Nebensache.
Neue Wege bei den jüngsten Neuentwicklungen
Um Flächenerweiterungen ging es bei dem hybriden Center ORO Schwabach und dem Saale Markt in Saalfelden, der sich als hybrides Fachmarktzentrum mit 21 000 qm positioniert hat und nun neu in die Liste des Shopping Center Reports aufgenommen wurde. Im Saale Markt ging es zudem um die Erweiterung des Marktkauf SB-Warenhauses. Und im Oro wurden ein Kaufland und weitere Fachmärkte neu angesiedelt. Insgesamt erfasst der Report 26 Revitalisierungen, die zwischen 2023 und 2026 fertig werden, bei 509 Einkaufszentren ab 10 000 qm Fläche. Dabei war die Zahl der Fertigstellungen mit sieben krisenbedingt überschaubar.
Bei dem zentralen Thema „Umwidmung von Einzelhandelsflächen in neue Nutzungen und der damit einhergehenden Entwicklung von Quartieren“ geht es laut Report darum, wie sich Handels- und Nicht-Handels-Nutzungen „nicht nur notgedrungen, sondern optimal und gegenseitig sinnvoll in Einklang bringen“ lassen. Dabei komme es auf die „Überzeugungskraft der Konzepte“ an, heißt es mit Blick auf die Tatsache, dass Wohnraum nicht gleich Wohnraum sei und Fitness-Studio nicht gleich Fitness-Studio.
Vielmehr müssen Zusatznutzungen zum Standort passen und neue Konzepte eine bestehende Lücke füllen. Zudem müssen sie sich optimal in das Center einfügen. Da die Konzepte demnach individuell auf jeden Standort abgestimmt werden müssen, damit sie einen echten Mehrwert bieten, gibt es laut EHI-Report auch keine Blaupausen für die richtige Ergänzung und Zusammensetzung am Standort. Es geht um Maßarbeit.
Dass bei neuen Shopping-Centern das Thema Mischnutzung von vorneherein eine wichtige Rolle spielt, zeigt der Blick auf die vier Neueröffnungen des vergangenen Jahres. Beim Tegel Quartier in Berlin (Entwickler: HGHI Holding) ging es gleich um die Modernisierung einer ganzen Fußgängerzone, der Gorkistraße in Tegel, die neben Handel auch viele andere Nutzungen bietet. Das Highlight: die Markthalle von 1908 mit 28 Verkaufsständen und südlichem Flair.
Auch das Perlach Plaza, das als neues Zentrum des Münchener Stadtteils Neuperlach am Hanns Seidel Platz konzipiert ist, bietet neben dem auf die Nahversorgung ausgerichteten Einzelhandel und der Gastronomie Wohnungen und ein Hotel. Bei der Dreiländergalerie (Entwickler: CEMAGG Weil am Rhein) in der 30 000 Einwohnerstadt Weil am Rhein, spekulieren die Entwickler und Betreiber bei dem 26 500 qm großen Projekt auf die Nähe zu Frankreich und vor allem die Schweiz. Denn wegen des günstigen Wechselkurses zum Euro ist es für die Schweizer günstiger in Deutschland einzukaufen. Neben den 16 500 qm Verkaufsfläche gibt es in der Galerie noch Büroflächen und ein Fitness-Studio. Abgerundet wird das Projekt durch die Dachterrasse im zweiten Obergeschoss und 500 Parkplätze.
Wichtige Erweiterung des Angebots im „Agnes“
Das am 17. November in Göppingen eröffnete Agnes bezeichnet sich zwar auch als multifunktionales Stadtquartier, doch liegt hier der Schwerpunkt auf Einzelhandel, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Innenstadt weitere Handelsangebote benötigte, um die Kaufkraft in der Stadt zu halten. Immerhin bietet das Center mit 21 000 qm Verkaufsfläche 30% der Einzelhandelsfläche von Göppingen mit vielen bekannten Marken. Von der Magnetwirkung dürften auch die Händler in der Nachbarschaft profitieren.
Insgesamt weist die Statistik des EHI für die nächsten Jahre noch zehn Planungen aus, wobei das Westfield Überseequartier in Hamburg von Unibail-Rodamco-Westfield das größte ist und das Thema Mischnutzung eine zentrale Rolle spielt. Die Hamburger Innenstadt wartet schon mit Spannung auf die Eröffnung im Jahr 2024. Auch das Märkische Quartier in Berlin von Kintyre Investments, das auch 2024 an den Start gehen soll, bringt mit 72 000 qm eine beachtliche Größe mit. Mit dem Viktoria Karree in Bochum vom Investor HBB kommt noch 2023 ein typisches Mischobjekt auf den Markt. Die Flächengrößen der neuen Projekte reichen von 14 000 qm in den Westerwald Arkaden bis zu 410 000 qm im Überseequartier mit Handel, Wohnen, Hotels und Büros.
In einem Spezial hat sich der Report auch mit den typischen Mietern der Einkaufszentren befasst. Dabei führen zwei Namen die Liste der Ketten mit den meisten Filialen an, die man nicht unbedingt erwartet hätte: Deichmann mit 282 Filialen in Einkaufszentren und Ernsting’s family mit 255 Filialen. Beide Konzepte sprechen für preisbewusste Kunden. Dass Media Markt mit 96 Filialen erst auf Platz 45 steht und Saturn mit 88 auf Platz 49 – beides Konzepte, die lange eine Magnetfunktion hatten – zeigt, wie sich die Zeiten in den vergangenen Jahren - vor allem unter dem Einfluss des Online-Handels - verändert haben.
Wie Autorin Lena Knopf feststellt, bildet die Bekleidungsbranche mit 18 Vertriebslinien, die zusammen2 463 Filialen in Einkaufszentren betreiben, die stärkste Branche. Es folgen die Anbieter von Produkten für Gesundheit und Körperpflege mit 1 016 Filialen, die sich auf sechs Anbieter verteilen. Genauso viele Mieter betreiben 961 Filialen für Technik und stehen auf Platz drei. Auf Platz vier folgen – gleichfalls sechs Mieter – die Anbieter von Accessoires mit 932 Filialen. Die 50 Top-Mieter betreiben zusammen 7 239 Filialen in Einkaufszentren.
Gegen den Vorwurf der Uniformität argumentiert Lena Knopf, dass es sich bei diesen Filialisten um bewährte Marken handelt, die von den Kunden erwartet würden. Probleme gibt es in Centern, in denen Ankermieter aus dem Nonfood-Segment kommen, die durch die Zwangsschließungen oft immer noch mit Problemen kämpfen wie Peek & Cloppenburg Düsseldorf oder Galeria. Filialschließungen oder -verkleinerungen bedeuten die Suche nach neuen Mietern. Besser stehen Center da, die Ankermieter aus dem relativ krisenresilienten Lebensmittelhandel haben.