Nahversorgungsimmobilien

Unter dem Schutzschirm oligopolistischer Marktstrukturen

Der Lebensmittelhandel kommt gut durch die Krise. Foto: Habona

Der Abgesang auf die Assetklasse Handelsimmobilien ist mit der Ausbreitung des Online-Handels schon seit längerem zu hören. Das allmonatliche Immobilien-Klima spiegelt diese negative Einschätzung vieler Marktakteure regelmäßig wider. Doch Einzelhandel ist nicht gleich Einzelhandel, die Branche ist vielfältig und vor allem von sehr großen Gegensätzen geprägt. Und der im harten Wettbewerb des Oligopols gestärkte deutsche Lebensmittelhandel hat in den vergangenen Dekaden seine Wandlungs- und Überlebensfähigkeit bewiesen.

Mit Blick auf die gravierenden Auswirkungen des Ukraine-Kriegs mit seinen Folgen für die Versorgung mit Energie, Rohstoffen und Vorprodukten und den Auswirkungen auf die Preisentwicklung und das Konsumverhalten, konstatiert Manuel Jahn, Managing Partner der Habona Invest Consulting GmbH, dass der deutsche Lebensmitteleinzelhandel durch Sortimentsumstellungen und Trading-down in der Lage ist, sich den veränderten Bedingungen schnell anzupassen.

Wobei der Druck, eine schnelle und grundlegende Veränderung zu vollziehen, mit Blick auf die Folgen der schnell steigenden Inflationsraten groß ist. Denn während im langen Aufschwung der vergangenen Dekade die wachsenden Ansprüche an Qualität, Erlebnis und mehr Ethik bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln sowie mehr Trading-up in einer alternden Gesellschaft laut Habona-Marktbericht Nahversorgung 2021/2022 das Angebot vor allem in den gut sortierten Vollsortimentern prägte, schmälern nun die auf breiter Front gestiegenen Preise die Kaufkraft.

Dabei sollen die bisherigen Preiserhöhungen laut Habona-Marktbericht bislang noch deutlich unter den stark gestiegenen Erzeugerkosten gelegen haben, sodass die deutlich gestiegenen Sachkosten im Lebensmitteleinzelhandel im zweiten Halbjahr 2022 zu weiteren Preiserhöhungen führen dürften. „Mit fortschreitenden Sorgen um Kaufkraftverluste, beginnen die privaten Haushalte beim Lebensmitteleinkauf Einsparpotenziale zu realisieren“, beschreibt Jahn die Gegenreaktion vieler Konsumenten. Das zeigte sich im zweiten Quartal dadurch, dass die Kunden vermehrt zu preisgünstigeren Produkten wie den klassischen Handelsmarken griffen, was zu Umsatzrückgängen führte.

So ging der Umsatzanteil der Markenprodukte zu Normalpreisen jeweils im März/April – gegenüber dem Vorjahreszeitraum – laut GfK um 5,7% von 51,5% auf 48,7% zurück, während der Umsatzanteil von Herstellermarken zu Sonderpreisen um 9,1% von 16 auf 17,6% zulegte. Der Umsatzanteil der preisgünstigen Handelsmarken stieg um 4% von 32,4 auf 33,7%. Dabei geht Jahn aber davon aus, dass sich die Preiserhöhungen zum dritten Quartal in der Breite auch auf die Handelsmarken auswirken werden und im vierten Quartal anziehende Energiepreise weiteren Preisdruck erzeugen.

Die großen Lebensmittel-Konzerne profitieren von ihrer Marktmacht

In diesem schwierigen Marktumfeld profitieren die fünf größten deutschen Lebensmittelhändler Edeka,Rewe, Schwarz-Gruppe, Aldi Süd und Aldi Nord, die in einem oligopolistisch geprägten Lebensmittelmarkt 75% der Anteile auf sich vereinen, zum einen davon, dass Lebensmittel – im Pandemie-Jargon – „systemrelevant“  sind und zum anderen von ihrer großen Nachfragemacht gegenüber den Lieferanten, wodurch sie Einfluss auf die Einkaufskonditionen nehmen können.

Nach zwei Pandemiejahren, in denen der Lebensmittelhandel davon profitierte, dass viele Bundesbürger im Homeoffice gearbeitet und zu Hause gekocht haben und die Gastronomie über viele Monate schließen musste, geht Jahn davon aus, dass der stationäre Lebensmittelhandel nach den erfolgreichen Jahren 2020 und 2021 in diesem Jahr einen moderaten Umsatzrückgang von etwa 1,2% auf 213 Mrd. Euro hinnehmen muss. Dass sich der bisherige Aufwärtstrend des Lebensmittelhandels mit dem Ende der Corona-Restriktionen und der Normalisierung des Alltags fortsetzen würde, war aber auch nicht zu erwarten. Mit dem prognostizierten Umsatz von 213 Mrd. Euro würde die Branche immer noch um gut 10% über dem Niveau von 2019 liegen.

In seinem Ausblick erwartet der Habona-Managing-Partner bei der langfristigen Aufwärtsbewegung im Lebensmitteleinzelhandelsumsatz zum jetzigen Zeitpunkt aber keine Trendwende. Im ersten Halbjahr 2022 lag der Umsatz mit Lebensmitteln nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes aber real um 6,4% und nominal um 0,1% unter dem Vorjahreszeitraum.

Nach Jahren des erfolgreichen Trading-ups bei den Vollsortimentern, die für einkommensschwache Käufer mit ihren „No-Name-Produkten“ oder den sogenannten „Weißen“ wie „Ja!“ von Rewe oder „Gut und Günstig“ von Edeka allerdings auch ein Grundsortiment auf Discountpreis-Niveau bieten, könnte es in Zeiten der Krise zu Verschiebungen innerhalb der Vertriebslinien kommen. So geht Marco Atzberger, Mitglied der Geschäftsleitung beim EHI Retail Institute in Köln, davon aus, „dass einige Verbraucherinnen und Verbraucher nun wohl vermehrt die Discounter ansteuern werden“.

Im vergangenen Jahr erzielten die Supermärkte laut EHi ein Umsatzwachstum von 1,6% auf 58,8 Mrd. Euro, während die Discounter bei 79,5 Mrd. Euro stabil blieben. Inwieweit sich das nun umkehrt, wird von der weiteren Entwicklung der Teuerungsraten und vor allem vom Verlauf der Konjunktur abhängen. Das Gros der Bundesbürger befürchtet laut GfK derzeit eine Rezession in Deutschland.

Die stabile Entwicklung im Lebensmitteleinzelhandel spiegelte sich im ersten Halbjahr 2022 auch auf dem Investmentmarkt für Handelsimmobilien wider. So investierten die Anleger wiederum das meiste Geld in (lebensmittelgeankerte) Fachmärkte und Fachmarktzentren. Allerdings überstieg die Nachfrage bei weitem das Angebot. „Für das Nahversorgungssegment wurde zuletzt ein Nachfrageüberhang von rund 9,1 Mrd. Euro für das risikoaverse Core/Core-Plus-Segment berechnet“, bezieht sich der Habona-Marktbericht auf Aussagen des Immobilienberaters Savills.

Mit Blick auf das seit Jahren sehr knappe Angebot in dieser Anlage-Klasse auf dem deutschen Markt finden die Investoren laut Jahn „in ausgewählten europäischen Märkten sowie den USA bereits Alternativen, um den Anlagebedarf zu decken“. Auch hier sei bei dieser Anlage-Klasse von einer ähnlichen Ertragsstabilität auszugehen.

Der Nachfrageüberhang ist erheblich

Im Zuge der stetig steigenden Nachfrage bei weiter steigenden Preisen sanken die Spitzenrenditen für Supermärkte und Discounter laut Habona auf durchschnittlich 3,5%. Das Unternehmen geht davon aus, dass die hohen Kaufpreiserwartungen der Verkäufer in diesem Jahr bestehen bleiben. Dabei sieht Savills angesichts der zunehmenden Verunsicherung des Marktes durch die steigenden Bauzinsen inzwischen ein Auseinanderdriften der Preisvorstellungen bei Käufern und Verkäufern. Bei Supermärkten und Discountern würden die Spitzenrenditen nach Vorstellung der Verkäufer bei 3,2% liegen und nach Vorstellung der Käufer bei 3,5%.

Für Irritationen sorgen bei Projektentwicklungen auch in diesem Marktsegment die gestiegenen Zinsen, Lieferengpässe bei Material und stetig steigende Baukosten. Laut Habona-Marktbericht dürfte die Zahl der Projektentwicklungen dadurch weiter sinken, was den Wert von Bestandsimmobilien für Anleger und Mieter weiter steigern wird. Zudem wird das Thema Modernisierung an Bedeutung gewinnen. Das eröffne bei Core-Nahversorgern Spielraum für weitere Mietsteigerungen und Bewertungsgewinne.

Jahn geht entsprechend davon aus, dass das Angebot von guten Nahversorgungsimmobilien zunächst weiter abnehmen wird, die Werte damit weiter steigen und im Gegenzug aber auch die Zahl der Transaktionen sinken wird. „Die Habona-Angebotsdatenbank zeigt für Einzelankäufe in der Risikoklasse Core und Core plus Nettokaufpreisfaktoren von durchschnittlich dem 22,5-fachen, die in Einzelfällen auch deutlich darüber liegen“, zählt er weiter auf: „Hinzu kommen deutliche Aufschläge bei Portfolioankäufen.“

Mit Blick auf den Investmentmarkt und die Entwicklung in diesem Segment geht Jahn bis zur Jahresmitte von einem stabilen Transaktionsvolumen aus, auch wenn der coronabedingte Rückgang auf Grund des Angebotsmangels nicht voll ausgeglichen werden könne. Die Folgen des Ukraine-Konflikts für den Markt erwartet er erst in der zweiten Jahreshälfte „in Form aufgeschobener oder aufgehobener Deals“. Das ist angesichts der strukturellen Veränderungen, die der Krieg auch in der deutschen Wirtschaft auslösen wird, nur erwartbar.

Damit könnte der Aufwärtstrend der Anlage-Klasse in den vergangenen Jahren unterbrochen werden. Im ersten Halbjahr lag das Transaktionsvolumen mit Lebensmittel- und Drogeriemärkten, Nahversorgungs- und Fachmarktzentren, die einen Lebensmittelmarkt als Ankermieter haben, bei 4 Mrd. Euro, sodass sich ihr  Anteil laut Habona-Report von 57% auf 60% erhöhen konnte. Das Charakteristische dieses Segments ist die Kleinteiligkeit der Objekte. Das Transaktionsvolumen liegt bei alleinstehenden Lebensmittelmärkten oder Discountern in der Bandbreite von etwa 5 Mio. bis 15 Mio. Euro.Für institutionelle Investoren ist vor diesem Hintergrund vor allem der Erwerb von Portfolien interessant, was aber auch im Interesse der Mieter liegt, die es bei ihrer großen Zahl von Filialen dann nur mit einem Vermieter zu tun haben.

Dass Einzelkäufe etwa im ersten Quartal dennoch 74% des Transaktionsvolumens ausmachten, führt Jahn auf das – gemessen an der hohen Nachfrage – zu geringe Angebot zurück. Core-Produkte, wie das zum Jahreswechsel gehandelte Truffle-Portfolio der Habona  mit 35 Lebensmittelmärkten und 10 Jahren WALT, seien eher selten. Hier würden Spitzenpreise jenseits des 25-fachen der Jahresnettokaltmiete erzielt.

„Während die Risikoaufschläge für Einkaufszentren und Highstreet-Objekte weiter steigen und das Fenster für opportunistische Total-Return Strategien öffnen“, so der Marktbericht, „schätzen Anleger bei Nahversorgungsobjekten grundsätzlich die verlässlichen Ausschüttungen und die hohe Wertstabilität“. Und selbst beim Ende der dynamischen Preisentwicklung, das angesichts steigender Finanzierungskosten nicht unrealistisch ist, könne sich die Renditespreizung zwischen den  Anlage-Klassen des Einzelhandels noch ausweiten.