Der Mieter im Fokus

Unsicherheit über die richtige Standortstrategie

Der Lebensmittelhandel entfaltet große Zugkraft. Foto: Rewe

Dass der stationäre Einzelhandel heute mit einem Bein im Internet stehen muss, ist den meisten aus der Branche inzwischen klar. Doch auch das stationäre Geschäft und die Einzelhandelsstandorte ändern sich und müssen im Zeitalter der Digitalisierung an die neuen Gegebenheiten angepasst werden. Wie groß die Verunsicherung im stationären Einzelhandel ist, dokumentiert die jüngste Studie „Der Mieter im Fokus“ von ILG und HBB in Zusammenarbeit mit der BBE Handelsberatung und dem German Council of Shopping Places.

Als Indiz für diese Verunsicherung im stationären Einzelhandel wertet die Studie „Der Mieter im Fokus“ die Tatsache, dass die Einzelhändler zwar grundsätzlich andere Einzelhändler als wichtigste Frequenzbringer in ihrer Nachbarschaft haben möchten, dass die Bedeutung der beliebtesten Branchen bei der Befragung von insgesamt 106 Teilnehmern aber durchweg abgenommen hat. Das gilt auch für den innovativen Lebensmittelhandel mit seinen neuen Konzepten und seiner Online-Resistenz, der mit 76% der Nennungen zwar immer noch deutlich an der Spitze steht, der gegenüber der Befragung aus dem Jahr 2018 mit 82,6% der Nennungen aber einige Prozentpunkte verloren hat.

Auch die Nummer zwei unter den gefragten Frequenzbringern, der Textileinzelhandel, lag mit 33,3% der Nennungen deutlich unter den 38,5% von 2018. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Branche am früheren Zweitplatzierten, den Drogeriemärkten mit 32,3% - nach 48,4% (2018) -, vorbeigezogen ist. Im Jahr 2017 hatte der Wert für die Drogeriebetreiber sogar noch bei 52,5% der Nennungen gelegen. Die starke Ausweitung des Filialnetzes in den vergangenen Jahren könnte jedoch dazu beigetragen haben, dass der Rückgang in der Drogeriebranche besonders stark ausgefallen ist.

Auf Elektrofachmärkte, auf die 2018 noch 36,9% der Nennungen entfielen und die für Einkaufs- und Fachmarktzentren früher als Magneten regemäßig ganz oben auf der Liste der Vermieter standen, entfielen 2019 nur noch 17,7% der Nennungen. Auch Baumärkte und Schuhe, auf die 2018 noch jeweils 18% entfielen, mussten mit nur noch 4,2% resp. 8,3% deutliche Einbußen hinnehmen, während sich allein die Gastronomie mit 28,1% nach 30% (2018) und die Sportbranche mit unverändert 15,6% relativ stabil zeigten.

In der Studie von ILG, HBB sowie BBE und dem German Council of Shopping Places heißt es mit Blick auf den rückläufigen Trend bei den begehrten Magnetbetrieben aus dem Handel, dass die Mieter bei den Handelsstandorten offenbar keine Pauschallösungen wie früher etwa mit der Textilbranche, sehen würden. Die Auswahl des Angebotsmix erfolgt heute individuell nach dem Standort, wobei es auf die Mischung der Branchen ankommt. Klar zeigt die Studie aber auch, dass für die Nonfood-Händler (84,7% der Nennungen) die Nachbarschaft zu anderen Einzelhandelskonzepten deutlich wichtiger ist als für den Lebensmittelhandel mit 69,6% der Nennungen.

Lebensmittelhändler bevorzugen Apotheken als Nachbarn

Auch bei den besonders begehrten Branchen gibt es zwischen dem Lebensmittelhandel und den Nonfood-Anbietern klare Unterschiede. Der Lebensmittelhandel sieht die höchsten Koppelungspotenziale derzeit nicht mit anderen Lebensmittelanbietern wie noch 2018 – aus der Vergangenheit kennt man die Mischung aus Vollsortimenter und Discounter – sondern mit Apotheken (69,6% der Nennungen). Der Lebensmittelhandel als direkter Nachbar am Standort stand 2019 mit 65,2% der Nennungen zusammen mit Drogerien auf dem zweiten Platz der Präferenzliste.

Bei den Nonfood-Anbietern sind der Lebensmittelhandel und der Modehandel (mit je 61% der Nennungen) gleichermaßen willkommen, gefolgt von den Drogeriemärkten mit 39% und dem Schuhhandel mit 33,9%. Laut Studie lässt sich daraus aber immerhin ableiten, dass Anbieter des kurzfristigen Bedarfs wie Lebensmittel und Drogerie durchaus als Ankermieter der Zukunft angesehen werden können.

Unterschiedliche Präferenzen zwischen Lebensmittelhandel und Nonfood-Anbietern gibt es auch, wenn es um Kopplungseffekte mit Nicht-Handels-Nutzungen geht. Der Lebensmittelhandel verspricht sich den höchsten Nutzen von benachbarten Dienstleistern (56,5%), gefolgt von Wohnungen und Gastronomie-Betrieben mit jeweils 43,5%.

Die Nonfood-Einzelhändler versprechen sich am meisten von der Gastronomie (50,8%) gefolgt von Dienstleistungen mit 25,4% und Freizeitnutzungen mit 18,6%. Nur eine geringe Bedeutung haben dagegen Wohnungen (6,8%). Aus den aufgezeigten Präferenzen mit Blick auf Einzelhandel und andere Nutzungen ziehen die Autoren der Studie den Schluss, dass die Nonfood-Händler mehr an den Erfolg von Standorten glauben, die eine hohe Dichte an Einzelhandelsangeboten aufweisen und Freizeitcharakter haben. Der Lebensmittelhandel sieht durch Freizeitnutzungen für sich dagegen keine Vorteile.

„Die unterschiedliche Einschätzung von Kopplungspotenzialen stützt die These“, so heißt es in der Studie, „dass der Non-Food-Handel eher von einer Destinationsbildung im Sinne eines Event- beziehungsweise Freizeitcharakters profitieren kann, während die Nahversorgung hauptsächlich aus der räumlichen Nähe zum Kunden Nutzen ziehen möchte“. Einig sind sich alle befragten Mieter allerdings darin, dass die Erreichbarkeit mit dem Pkw das wichtigste Standortkriterium ist, denn die Kunden setzen beim Einkauf bevorzugt aufs Auto. Hier gibt es auf Dauer gesehen zweifellos einen Zielkonflikt mit der Klima-Bewegung.

City-Lagen bei Lebensmittelhändlern wenig beliebt

Aus der Betrachtung der Koppeleffekte und ihrer Bedeutung für die Mieter wird deutlich, dass der Trend heute weg geht von Solitärstandorten, hin zu Agglomerationen - im Lebensmittelhandel war diese Entwicklung im Jahr 2019 sogar ein Novum. So gelten Agglomerationen für die Branche mit 36% (2018: 16%) laut Studie erstmals als die bevorzugten Standorte der Zukunft. Dabei präferieren die Lebensmittelhändler Fachmarktzentren vor Solitärstandorten und nicht gemanagten Agglomerationen, die gegenüber 2018 immerhin 15% eingebüßt haben. Shopping-Center spielen für den Lebensmittelhandel nur eine geringe Rolle.

Überraschend mit Blick auf die Berichterstattung in den vergangenen Jahren ist, dass 1A-Lagen und Innenstädte (9%) ungeachtet des Trends zur Reurbanisierung nicht zu den bevorzugten Lagen der Lebensmittelhändler gehört. „Hier ergibt die Befragung ein von der medialen Wahrnehmung abweichendes Bild“, heißt es in der Studie. Das dürfte nicht zuletzt auch daran liegen, dass die Rückkehr des Lebensmittelhandels mit seinem Lieferverkehr und dem hohen Flächenbedarf in die engen Stadtlagen nicht einfach ist. Hinzu kommen die hohen Grundstückspreise.

Noch stärker ausgeprägt ist die Präferenz der Nonfood-Einzelhändler für gemanagte Agglomerationen. Der Anteil stieg von 29% (2018) auf 40% der Nennungen, wobei die Mieter aus dieser Branche weniger stark zwischen Shopping-Centern und Fachmarktzentren unterscheiden. Nicht gemanagte Agglomerationen verlieren hier dagegen kontinuierlich an Bedeutung – der Anteil sank von 29% (2018) auf 21%. „Solitärstandorte sind weniger beliebt als im Vorjahr, dagegen gewinnen gemanagte Standorte wie Fachmarktzentren und Shopping-Center an Beliebtheit“, berichtet auch BBE-GeschäftsführerJoachim Stumpf: „Dabei schätzen die Einzelhändler vor allem die Optimierung der Nebenkosten, die effektive Steuerung des Werbebudgets und das Eingehen des Verwalters auf individuelle Bedürfnisse.“

Die Forscher schließen daraus, dass Handelsstandorte offenbar immer weniger von selbst funktionieren und die Anziehungskraft eines Einzelhändlers allein oft nicht mehr ausreicht. Selbst bei Lebensmittel-Solitärstandorten gebe es inzwischen Kopplungspotenziale etwa mit einem Drogeriemarkt, einer Apotheke oder einem Lebensmittelfachgeschäft, heißt es dazu.

Nachdem das Vermietungsgeschäft im Retail Segment in den vergangenen Jahren eher moderat verlaufen ist, stellt sich für Investoren und Vermieter mit Blick auf den Wandel durch die Digitalisierung und den Ausbau des Online-Vertriebs die Frage, wie es mit den Expansionsplänen der Mieter und ihren Vorstellungen über die Verkaufsflächengröße aussieht? Dabei gaben 23,7% der Befragten an, dass die Verkaufsflächen größer werden, im Jahr zuvor lag der Wert mit 27,1% zwar noch höher, 2017 mit 18,8% aber auch deutlich niedriger. Das verdeutlicht die Unentschlossenheit unter den Marktteilnehmern. Klar ist allerdings, dass vor allem der Lebensmittelhandel (39,1%) von größeren Flächen ausgeht. (Nonfood-Anbieter: 16,9%)

Noch Kopplungspotenziale bei Solitärstandorten

Dagegen erwarten 41,9% aller Befragten, dass die Verkaufsfläche der Stores gleichbleiben wird, wobei der Anteil der Lebensmittelhändler mit 56,5% deutlich größer ist als der der Nonfood-Anbieter mit 35,6%. Am weitesten klafft die Lücke beim Thema Flächenverkleinerung auseinander: 47,5% der Nonfoodhändler, die stärker mit der Online-Konkurrenz zu kämpfen haben, glauben, dass die Flächen kleiner werden, während nur 4,3% der Lebensmittelhändler dies erwarten.

Ins Auge springt dabei, dass 100% der Elektrofachmarkt-Betreiber von kleineren Flächen ausgehen. Hier dürfte auch die Tatsache eine Rolle spielen, dass viele inzwischen den Online-Vertrieb ausgeweitet haben, so dass sie weniger Fläche benötigen. Auch im Textilhandel gehen 73,3% von kleineren Flächen aus, aber auch 26,7% von größeren Verkaufsflächen. Unter den Drogerie-Märkten schätzt genau die Hälfte, dass die Flächen größer werden.

Befragt nach den eigenen Expansionsbestrebungen, gaben aber 62% der Umfrageteilnehmer an, dass die Zahl der Standorte steigen wird. Im Jahr 2018 lag der Wert mit 58,1% um einiges niedriger. Im Lebensmittelhandel sind es sogar 87%. Das Netz verkleinern wollen dagegen nur 18,5% aller Befragten, wobei dies eher für Nonfood-Händler (22%) ein Thema ist. Das starke Expansionsbestreben der Lebensmittelhändler ist laut Studie der Tatsache geschuldet, dass die räumliche Nähe zum Kunden mit Blick auf die steigende Distanzsensibilität der heutigen Verbraucher immer wichtiger wird. Denn ein enges Netz ist eine gute Strategie gegen die Online-Anbieter.

Die Unsicherheit über die richtige Standortstrategie bei den Nonfood-Händlern hängt laut Studie dagegen „eng mit den sinkenden Umsatzanteilen im stationären Geschäft zusammen“. Die Marktteilnehmer hätten offenbar die richtige Strategie für die erforderliche Zahl an Standorten noch nicht gefunden. Ein Problem ist aus Sicht der Forscher eine abnehmende Zahl von Standorten in Nonfood-Branchen, in denen auch die Verkaufsflächengröße sinkt wie im Schuheinzelhandel. Denn dann nehmen die stationären Marktanteile zugunsten des Online-Handels ab.

Generell heißt es im Fazit der Studie aber, dass der Nonfood-Handel die Verkaufsfläche verkleinert, dennoch nehme die Standortzahl zu, weil die Einzelhändler für ihre Kunden maximal sichtbar und erreichbar sein wollten. Auch hätten die Unternehmen inzwischen erkannt,  dass sie in die Verkaufsfläche investieren müssten, um das stationäre Erlebnis als Abgrenzung zum Online-Handel zu steigern.

„Im Nonfood-Handel trennt sich die Spreu vom Weizen“, heißt es in der Studie unter der Überschrift „Schrumpfung und Wachstum“ weiter: „Wer expandiert, macht keine Kompromisse bei der Standortwahl und wer schrumpft, dreht an der Kostenschraube.“