18. Handelsimmobilien-Kongress

Schöne Läden, Mischnutzung, Unterhaltung

Viele Diskussionen über die Zukunft von Stadt und Handel. Foto: Steffen Gerth

Die Coronapandemie hat den Strukturwandel enorm beschleunigt. Das veränderte Kaufverhalten der Konsumenten wird den Flächenüberhang verstärken, neue Konzepte sind notwendig, wie auf dem 18. Handelsimmobilien Kongress in Berlin deutlich wurde.

Wenn Klaus Schwitzke über Einzelhandelsimmobilien redet, dann spricht er aus der Sicht des kreativen Gestalters mit direktem Draht zur Branche. Zusammen mit seinen Bruder Karl führt er die Schwitzke-Gruppe, in der Innenarchitekten und Designer attraktive Läden bauen und gestalten. Man könnte meinen, dass das Düsseldorfer Unternehmen derzeit nicht viel zu tun hat, weil nach der Coronakrise die finanziellen Reserven der Händler aufgebraucht sind und kaum jemand auf die Idee kommt, seinen Laden neu zu gestalten. „Das Gegenteil ist der Fall“, betont Klaus Schwitzke im Gespräch mit dem Handelsimmobilien Report, „wir erleben eine große Nachfrage seitens der Investoren, aber noch mehr der Händler.“ Beide Parteien eint ein gemeinsamer Wunsch: „Alle wollen schöne Läden.“

In dieser einfachen Aussage von Klaus Schwitzke steckt aber die wohl entscheidende Verpflichtung der stationären Händler für ihre Daseinsberechtigung: Die Läden müssen so schick sein, dass sie die Kunden in die Innenstädte locken. Das weiß auch Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), als er am ersten Maimontag den 18. Handelsimmobilienkongress in Berlin eröffnete.

„Nach zwei Jahren des coronabedingten Stillstands müssen die Händler in ihre Standorte investieren. Aber vielerorts ist das Eigenkapital aufgezehrt.“ Folglich gestaltet sich aus Genths Sicht die Lage entgegengesetzt zur Einschätzung von Schwitzke: Es werde mangels finanzieller Möglichkeiten eben nicht genug investiert, fürchtet er: „Und das bereitet mir Sorgen.“

Nach der Rückkehr in die stets besungene Normalität muss die Branche viel aufholen, und sie muss die Menschen davon überzeugen, dass es sich lohnt, nicht mehr nur online einzukaufen. Doch nun ist Ukraine-Krieg, verbunden mit wachsenden Lieferschwierigkeiten, steigenden Preisen für Lebensmittel und Energie – Verbraucher leiden darunter, die Händler auch.

Von einer Erholung der Branche kann daher kaum gesprochen werden. Zumal auch Genth weiß, dass viele Menschen in der Pandemie ihr Einkaufsverhalten nachhaltig in Richtung Onlinekanäle verändert haben. „Wir werden in den Innenstädten nicht mehr die Passantenfrequenzen erreichen, wie wir sie noch 2019 hatten.“

Eigentümer und Mieter stehen vor schwierigen Zeiten

Eigentümer und Mieter von Handelsimmobilien stehen vor schwierigen Zeiten, und wie man ihnen beikommt, wollte auch der nach einem Jahr als Digitalveranstaltung wieder gut besuchte Handelsimmobilien Kongress erörtern. Wenn die Frequenzen wohl nie mehr auf Vorkrisenniveau zurückkehren werden, wird man das in den Innenstädten deutlich sehen. „Wir werden bis zum Jahr 2030 zwischen 15 und 20 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche verlieren, das sind 10% der aktuellen Fläche“, prognostiziert Johannes Berentzen, seit 1. März als Nachfolger von Joachim Stumpf Geschäftsführer der BBE Handelsberatung. Die Hauptverlierer sind die Mittelzentren, die ihren Mittelstand verlieren, wie es Berentzen formuliert.

Gewiss, es gibt neue Konzepte, die den klassischen Handel ersetzen. Es gibt Erlebnisläden für die Schokolinsen M&M, auch Hersteller wie Dyson und Lego belegen große Flächen, dazu kommen noch Dienstleister wie Peloton – und natürlich neue Autohersteller wie Polestar und Cupra oder alte wie Mercedes.

Solche Mieter mögen gut sein für Vermieter, aber die Innenstädte werden sie wohl nur bedingt beleben. Denn die Industrie braucht ja lediglich eine Handvoll, gut positionierte Standorte zur Markenbildung. Und: „Der Neuigkeitseffekt solcher Läden wird irgendwann abnehmen“, vermutet Berentzen. Die Menschen gehen vermutlich nicht jeden Tag in ein Autohaus. Und das bedeutet, dass der klassische Einzelhandel als Frequenzbringer für Innenstädte unverzichtbar ist. Für Genth hat die Branche zusammen mit der Gastronomie eine Leitfunktion.

Und das haben offenbar alle gesellschaftlich relevanten Akteure erkannt. „Die Themen Handel und Innenstadt waren noch nie so stark auf der Agenda vertreten wie heute“, weiß Roland Wölfel,Geschäftsführer Deutschland der Cima Beratung, der die aktuelle Ausgabe des Cima-Monitors vorstellte, aus dem sich einige Handlungsempfehlungen für die Innenstadtgestaltung ableiten lassen: Demnach koppeln 30% der befragten Verbraucher den Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs mit dem Weg zur Arbeit.

Online-Anteil bei Mode wird weiter steigen

Und die Versorgungsmöglichkeiten in einem Radius von 2 km nimmt zu – „Nähe sticht Größe“, sagt Wölfel dazu. Aber der wichtigste Wert ist: Für 57% der Befragten sind gute Einkaufsmöglichkeiten weiterhin das entscheidende Kriterium für eine attraktive Innenstadt, mit 18% deutlich abgeschlagen auf Platz zwei kommen grüne und blaue Infrastruktur, gefolgt von Aufenthaltsqualität und Gastronomie (jeweils 17%) sowie Sauberkeit (16%).

Klingt gut, wenn da nicht ein Strukturproblem wäre: „Einkaufen nimmt als Grund, die Innenstädte zu besuchen, weiter ab“, sagt Wölfel. Seit 2015 hat die Cima einen Rückgang von 20% festgestellt. Und es gibt große Interessensunterschiede bei den Altersgruppen. Ältere Menschen suchen in den Innenstädten Einkaufs- und Gastronomieangebote, jüngere wünschen Kultur und Freizeitmöglichkeiten. Bemerkenswert ist aber, dass die jungen Verbraucher die Innenstadt regelrecht vermissen und künftig häufiger kommen wollen als vor der Pandemie. Offenbar ist hier die Sehnsucht nach Erlebnis, sozialer Nähe und Kommunikation jenseits von Messenger-Diensten größer.

Was macht man mit diesen Ergebnissen? Loslegen, sagt Wölfel. „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.“ Viel zu viele Bedenken, viel zu große Angst vor Fehlern lähmen die Umgestaltung der Innenstädte. „Mobilität, Digitalisierung, Wohnen, Klima, Immobilien. Noch nie gab es so viele Themen, die so schnell und gleichzeitig zu bewältigen sind.“

Wenn die Frequenzen nicht mehr auf Vorkrisenniveau zurückkehren, wird das einige Handelssegmente heftiger treffen als andere. Der Modehandel hat während der Coronapandemie seinen Onlineanteil von 30 auf 40% ausgebaut, lautet das Ergebnis einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. „Bis zum Jahr 2030 wird das Verhältnis online/offline fifty-fifty sein“, sagt Marianne Roth, Senior Manager bei KPMG Real Estate. BBE-Chef Berentzen prognostiziert gar, dass dieser Wert schon bis 2025 auf 55% steigen wird.

Viele Shopping-Center vor Grundsatzproblemen

Die aktuelle Aufgabe von Läden durch Primark, Tally Weijl und H&M sowie die Ankündigung von Boss, dass das Online-Geschäft ausgebaut werden soll, stützen diese Prognosen. KPMG-Beraterin Roth erwartet deshalb für die 1A-Lagen in den Top-Städten sinkende Mieten und eine Abnahme von Einzelhandelsnutzungen in den Ober- und Untergeschossen. In den B-Lagen sieht sie eine „signifikante“ Abnahme von durch den Handel genutzten Flächen – auch im Erdgeschoss. Die Mieten werden sich auf niedrigem Niveau einpendeln. Vergleichsweise stabil würden sich die in Richtung Nahversorgung orientierten Stadtteilzentren entwickeln.