Bundesverfassungsgericht

Richter nehmen Bundesregierung in die Pflicht

Foto: EZB

rv DÜSSELDORF. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe hat in seinem Urteil am 5. Mai – für die Öffentlichkeit in seiner Eindeutigkeit überraschend – mehreren Verfassungsbeschwerden gegen das 2015 aufgelegte Staatsanleihekaufprogramm (Public Sector Purchase Programme – PSPP) der Europäischen Zentralbank (EZB) stattgegeben. Die Beschwerden richteten sich gegen die Bundesregierung, den Deutschen Bundestag und die Deutsche Bundesbank.

Einige Beschlüsse der EZB zum Staatsanleihekaufprogramm seien kompetenzwidrig, konstatieren die Richter und Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle merkte im Rahmen der Urteilsbegründung an, dass das  Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal in seiner Geschichte feststelle, dass Entscheidungen europäischer Organe nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt seien. Sie könnten daher „in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten“.

Konkret konstatieren die Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), dass die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten verletzt hätten, weil sie nicht dagegen interveniert haben, „dass die Europäische Zentralbank (EZB) in den für die Einführung und Durchführung des PSPP erlassenen Beschlüssen weder geprüft noch dargelegt hat, dass die hierbei getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind“.

Aus Sicht des Gerichts setzt ein Programm zum Ankauf von Staatsanleihen wie das PSPP, das erhebliche wirtschaftspolitische Auswirkungen habe, voraus, „dass das währungspolitische Ziel und die wirtschaftspolitischen Auswirkungen jeweils benannt, gewichtet und gegeneinander abgewogen werden“. Das mit dem Programm angestrebte währungspolitische Ziel, eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2% zu erreichen, unter Ausblendung der damit einhergehenden wirtschaftspolitischen Auswirkungen zu verfolgen, missachtet aus Sicht der Richter „daher offensichtlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“.

Neben den Auswirkungen auf den Bankensektor hat das PSPP nach Feststellung des Gerichts unter anderem Folgen für „nahezu alle Bürgerinnen und Bürger, die etwa als Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer jedenfalls mittelbar betroffen sind. So ergeben sich etwa für Sparvermögen deutliche Verlustrisiken.“ Solche wirtschaftspolitischen Nachteile hätte die EZB gegen die Vorteile des von ihr definierten währungspolitischen Ziels abwägen müssen.

Wie die FAZ berichtet, will sich die Bundesregierung nach Angaben von Finanzstaatssekretär Jörg Kukies bei der EZB für eine gründliche Prüfung der beanstandeten Anleihekäufe einsetzen. Nach den Worten von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat der EZB-Rat eine Frist von drei Monaten, seine Abwägung der Verhältnismäßigkeit des Programms darzulegen. Legt der EZB-Rat nicht nachvollziehbar dar, dass die mit dem PSPP angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen, darf die Bundesbank nach Beschluss des Gerichts nicht länger an dem Programm teilnehmen und muss die entsprechenden Bestände an Staatsanleihen zurückführen.

Die EZB teilte dazu mit, dass sie die Entscheidung des deutschen Gerichts zum Public Sector Purchase Programme (PSPP) der Notenbank zur Kenntnis genommen habe. Gleichzeitig heißt es, dass der EZB-Rat im Rahmen seines Mandats alles notwendige tun werde, um die angestrebte Inflationsrate im Interesse der Preisstabilität zu erreichen. Das Inflationsziel liegt bei knapp unter 2%. Des Weiteren verweist die EZB auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der im Dezember 2018 festgestellt hatte, dass sich die Europäische Zentralbank im Rahmen ihres Mandats, die Preisstabilität sicher zu stellen, bewegt.