Nachnutzung von Warenhäusern

Respekt vor den alten Gebäudestrukturen

Aus Karstadt wird das Markt Quartier Recklinghausen. Bild: M_Mayr

Mit der erneuten Schließungswelle bei Galeria Karstadt Kaufhof stellt sich für die betroffenen Städte die Frage, wie sie mit den Folgen fertig werden sollen. Das Markt Quartier Recklinghausen zeigt, wie es gehen kann.

Die Trauer war groß als die Karstadt-Filiale am Marktplatz in Recklinghausen im Mai 2016 schließen musste. Für das monumentale Gebäude-Ensemble mit 30 300 qm Mietfläche, das 1930 vom Kaufmann Theodor Althoff eröffnet worden war, endete damit die Ära als Warenhaus. 1963 war es in Karstadt umbenannt worden, nachdem der Karstadt-Gründer Rudolf Karstadt die Warenhäuser von Theodor Althoff übernommen hatte. Auch wenn die Warenhäuser mit dem Aufstieg der großen Fachmärkte in den 1980er-Jahren und der Einkaufszentren am Stadtrand vielfach an Bedeutung verloren haben, sind die prägnanten Gebäude schon wegen ihrer schieren Größe für die Innenstädte von großer Relevanz.

Denn im Umfeld dieser leerstehenden Flaggschiffe des Einzelhandels büßen die benachbarten Einzelhändler in der Regel 20 bis 30% ihrer Umsätze ein. „Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass ein längerer Leerstand inklusive langwährender Großbaustelle zu erheblichen Frequenzverlusten und Umsatzeinbußen in der jeweiligen Umgebung führen kann“, heißt es denn auch im Whitepaper „Zukunft der Kauf- und Warenhäuser von BBE und IPH.

Auch Matthias Pink, Director und Head of Research bei Savills Deutschland, weist darauf hin, dass in vielen Fällen die gesamte Einkaufsstraße oder sogar die Innenstadt insgesamt leiden kann. Vor allem in den Mittelstädten mit weniger als 100 000 Einwohnern, sei das Warenhaus nicht selten der einzige verbliebene Magnet, der noch Besucher in die Stadtzentren zieht, wie er im Whitepaper New Life über neue Perspektiven für Warenhausimmobilien von ATP Architekten Ingenieure sowie Mint Architecture, Redserve und ATP Sustain anmerkt.

Angesichts der aktuellen Hängepartie bei Galeria Karstadt Kaufhof mit zwei Insolvenzverfahren in nicht einmal drei Jahren stellt sich für viele Eigentümer – aber auch für die betroffenen Städte – nach den Worten von Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Holding und der IPH Handelsimmobilien, ohnehin die Frage nach einer alternativen Nutzung. Und zwar nicht nur, wenn das Warenhaus tatsächlich zur Schließung ansteht, sondern auch dann, wenn eine alternative Nutzung die nachhaltigere Strategie ist als dem Betreiber einen weiteren Mietnachlass zu gewähren, obwohl die Zukunft nicht gesichert scheint.

Das leerstehende Warenhaus in Recklinghausen mit seiner historischen Bausubstanz, das in den 1920er- und 1930er-Jahren nach den Plänen des Karstadt-Hauptarchitekten Philip Schaefer als repräsentatives Stadthochhaus konzipiert worden war, weckte zwei Jahre nach seiner Schließung das Interesse von Gerd Rainer Scholze, Gründer der AIP-Unternehmensgruppe aus Düsseldorf. Schaefer hatte zu seiner Zeit die Kaufhausarchitektur Deutschlands maßgebend beeinflusst und noch heute prägen seine Bauten die Haupteinkaufsstraßen in Städten wie Berlin, Düsseldorf und Hamburg sowie Recklinghausen, Bottrop und Bremen.

Kreative Lösungen gegen den Leerstand

In diesem Umfeld sieht der Architekt und Planer AIP seine Verantwortung darin, neue kreative Lösungen gegen den Leerstand und den befürchteten Trading-Down-Effekt in den Innenstädten zu entwickeln. Da die historische Bausubstanz wie in Recklinghausen einen hohen Identifikationswert für Innenstädte hat, sollte laut Scholze ein Teilziel der Stadtreparatur darin bestehen, die Gebäudestrukturen zu respektieren und so weit wie möglich im Stadtbild zu erhalten. Trotz der schwierigen Bausubstanz wurde deshalb das Gebäude-Ensemble aus Warenhaus und Karstadt-Bettenhaus, das heute der MQR GmbH & Co. KG, einer Kooperation der GRS Beteiligungen GmbH und der Competo Capital Partners GmbH gehört, nicht abgerissen, sondern „zugunsten der Umweltbilanz und Klimaneutralität aufwendig saniert“.

Zu bewältigen waren bei den umfangreichen Umbauten Decken, die nur halb so stark waren wie in den Unterlagen angegeben und tragende Elemente, die den heutigen Standards nicht mehr genügen. Außerdem war der vordere Teil des Gebäudes am Markt durch Bergschäden um 70 cm abgesackt. Laut Scholze sind solche Herausforderungen bei alten Gebäuden normal. Nach der Neupositionierung präsentieren sich die Gebäude nach allen vier Seiten neu: „Durch den weitgehenden Erhalt der klassischen Fassade und deren nutzungsbezogene Aufwertung durch Loggien und farbige Markisen fügt sich das Gebäude zukünftig angemessener in das städtebauliche Umfeld ein“, betont die AIP. Die Architektur von Warenhäusern biete große Chancen, aus der Kubatur und der Substanz unglaublich interessante Häuser zu machen, heißt es auch im ATP-Whitepaper.

Im Erdgeschoss wird es einen Mix aus Nahversorgung und weiteren Handelskonzepten, Gastronomie, eine Apotheke und einen Zahnarzt geben, um die Anziehungskraft des Marktplatzes in Recklinghausen zu erhöhen. Ein begrünter Innenhof sorgt für mehr Licht und ein gutes Klima im Gebäude für die neuen Wohnungen. In den oberen Etagen gibt es betreutes Wohnen, Kurz- und Tagespflege, Flächen für Büros und Praxen sowie eine Kindertagesstätte mit Dachgarten. Zudem wurde das Gebäude durch einen Hotelneubau für ein Holiday Inn Express ergänzt.

Dass die Warenhausflächen vor dem Baustart ein Jahr lang unter dem Motto „Aufbruch statt Stillstand“ als Theater mit unterschiedlichsten Veranstaltungen zwischengenutzt wurden, hatte aus Sicht des Investors eine positive Wirkung für den Standort, das Umfeld und die Menschen, die das Haus dadurch weniger als Schandfleck empfanden.

Städte sind die größte kulturelle Errungenschaft

Mit Blick auf die Tatsache, dass Städte „die größte kulturelle Errungenschaft des Menschseins“ sind, während in Europas Innenstädten gleichzeitig Handelsimmobilien wie Warenhäuser verkommen, hat ATP Architekten Ingenieure zusammen mit ihren Partnern im Whitepaper „New Life“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln Gedanken über die Wiederbelebung von Warenhäusern zusammengefasst, um sie nun zu zukunftsfähigen Lösungsansätzen zu verdichten.

„Auguren, die Warenhäuser seit vielen Jahren totsagen, gibt es viele“, heißt es hier: „Experten, die sich ernsthaft mit wirtschaftlich und technisch innovativen Lösungen beschäftigen, wenige. Vielleicht deshalb, weil die Herausforderungen einer Transformation überaus komplex sind.“ Denn immerhin geht es hier um die Umwandlung der Fläche in Wohnen wie Senior Living, Student Housing oder Urban Lofts sowie Büros, Hotels, Gastronomie, Freizeit-, Bildungs- und Kulturangebote sowie Gesundheit/Sport und Einzelhandelangebote – meist im Erdgeschoss.

Im ATP-Whitepaper werden drei mögliche Konzepte bzw. Umnutzungscluster für Warenhäuser dargestellt: Bei der Umwandlung des Warenhauses in ein Lifestyle Hub geht es darum, mit kuratierten Angeboten gezielt Menschen mit speziellen Lebensstilen anzusprechen. Hierbei ist laut Whitepaper engagiertes Personal wichtig, das die Nähe zum Kunden herstellt. Es geht weniger ums Verkaufen und mehr um Orte mit Atmosphäre als Treffpunkte und zum Plausch mit den Mitarbeitern über die neuesten Trends und Lifestyles. Shopping ist nur eine Option von vielen. Geboten werden Einzelhandel, Wohnen, Labor & Praxis, Büro, Hotel und Restaurants.

Beim Hybrid Space verschmelzen Handelskonzepte zunehmend mit Gastronomie- und Dienstleistungsangeboten zu „hybriden Flächen“ – ein Trend, der schon zu beobachten ist, wenn sich Parfümketten wie Sephora oder Lebensmittelhändler wie Aldi im Erdgeschoss ansiedeln und die Verkaufsflächen mit wachsender Vielfalt immer mehr einem Shopping-Center ähneln. In diesem Wettbewerb hätten laut Whitepaper Kauf- und Warenhausimmobilien mit ihren innerstädtischen 1A-Lagen einen Vorteil.

Sofern die Revitalisierung als Handelsimmobilie nicht möglich oder zu aufwendig ist, bietet eine komplette Umnutzung als Mixed-Use-Konzept wie der Umbau zu Wohnungen, Büros oder städtischen Einrichtungen die dritte Variante, wobei mindestens zwei Nutzungen kombiniert werden sollten. Unter Berufung auf die Studie „Die Zukunft der Warenhausimmobilien“ des Beratungsunternehmens PwC von 2020 heißt es im Whitepaper, dass solche Mischobjekte am meisten Erfolg versprechen.

Alle Mischobjekte sind noch am Markt

Alle Mischobjekte seien noch am Markt und hätten sich zu großen Freizeitzielen vom Kino bis zum lokalen Restaurant entwickelt, andere erfüllten soziale Zwecke mit Arztpraxen bis hin zu Kulturzentren, während ein Drittel der Objekte mit reinen Handelsnutzungen wieder schließen mussten. Wichtig für den Erfolg sind laut Whitepaper variable, freie Flächen für unterschiedliche Nutzungen, die maßgeschneidert sind auf das städtische Umfeld, die Marktverhältnisse und die spezifischen regionalen Identitäten. Vieles hängt aus Sicht einer Innenstadt aber auch vom Standort ab. Wohnungen oder Büros mitten in einer hoch frequentierten Einkaufsstraße einer Metropole dürften weniger zur Frequenz an dem Standort beitragen.

Mit Blick auf die verbliebenen Karstadt und Kaufhof-Filialen heißt es im BBE-IPH-Whitepaper, dass diese sich in den besten Innenstadt- und Stadtteillagen befinden, nachdem schwächere bereits früher geschlossen wurden: „Diese sehr gute Mikrolage ist die Voraussetzung für vielseitige Nachnutzungsoptionen“, heißt es. Welche baulichen Maßnahmen für ein zukunftsfähiges Nachnutzungskonzept erforderlich sind, hänge von den Charakteristika der jeweiligen Immobilie ab – das heißt von der Tiefe des Gebäudes, der Geschossigkeit, der Baudichte und der Fassadenstruktur.

Klar ist laut BBE/IPH, dass die reinen Handelsflächen abnehmen werden und dass es hier Neuerungen geben wird. Dabei sehen die Experten bei der Nachnutzung von Warenhäusern die Chance für die Einkaufslagen, Handels- und Gastronomiekonzepte anzusiedeln, die beim Verbraucher mehr ankommen: „Das können Flagship-Stores von Herstellern, Multi-Channel-Formate, „Retail as a Service“-Angebote, Showrooms von Onlineanbietern und viele mehr sein.

Dass die Grundvoraussetzung für die Erneuerung der Innenstädte ein enges Teamwork zwischen den leitenden Stellen der Stadt, dem Handel und der Immobilienwirtschaft ist, betont der österreichische Handelsverbandspräsident Stephan Mayer-Heinisch: „Um eine Stadt neu zu denken, braucht es ein ganzheitliches Team. Es braucht einen Masterplan, der sich mit den Toren, den Achsen, den Knoten der Stadt beschäftigt und Schlüsselliegenschaften definiert, die man nutzen kann, um die Stadt lebenswerter und spannender zu machen.“ Zudem werde die Erneuerung der Städte nicht ohne öffentliche Gelder gehen.