Die 15 Minuten Stadt

Projekte müssen über einen langen Zeitraum gedacht werden

Große Nutzungsmischung am Alsterdorfer Markt. Foto Manuel Jahn

In den vergangenen Dekaden prägte die Stadt der langen Wege mit der Trennung von Wohngebieten, Produktions- und Gewerbegebieten sowie innerstädtischen Einkaufslagen die Cities. Die große Herausforderung für diese urbane Lebensform ist das wachsende Verkehrsaufkommen in den Rushhours mit seinen klimaschädlichen Folgen. Als Lösung für dieses Problem wird auf breiter Basis die enge Durchmischung der Nutzungsarten in der 15-Minuten-Stadt mit Quartierscharakter diskutiert.

Unter der Headline „Die 15 Minuten Stadt als Lösung des Problems?“ berichtet Professor Thomas Beyerle, Managing Director der Catella Property Valuation GmbH, beim Online-Panel des German Council of Shopping Places (GCSP) zum FMZ Report „Übermorgen – Fachmarktzentren in der Stadt der Zukunft“ der MEC, dass Konzepte der Vergangenheit wie die Stadt der kurzen Wege Zugang zu den modernen Quartiersentwicklungen finden – beschleunigt durch die Restriktionen zur Pandemie-Bekämpfung. Der Anspruch: Die klassischen Daseinsfunktionen wie Wohnen, Arbeiten, Bildungseinrichtungen und Freizeitstätten sowie die Naherholungsgebiete sollen in 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein.

Gefördert wird diese Entwicklung dadurch, dass die eigenen Stadtviertel für die Bundesbürger im Zuge der Beschränkungen und der Arbeit im Homeoffice an Bedeutung gewonnen haben. Im Umkehrschluss fehlen in den Innenstädten vieler deutscher Großstädte die typischen Einpendler, die tagsüber in den Büros arbeiten und nebenher noch Einkäufe erledigen. Das setzt auch für die Innenstadtlagen die Diskussion in Gang, wie dieser Frequenzverlust etwa durch die Ansiedlung von mehr Dauerbewohnern, Kunst, Kultur und Bildungseinrichtungen, im Interesse von mehr Lebendigkeit ausgeglichen werden kann.

In den Stadtteilquartieren sieht Beyerle für die klassischen Fachmarkzentren, die hier nicht selten die Nahversorgung sicherstellen, in diesem Kontext neue Transformationspotenziale, indem beispielsweise noch Büros, Apartments, Kitas oder Dienstleistungen – also klassische Daseinsfunktionen – angesiedelt werden. So entsteht auch hier die „Stadt der kurzen Wege“.

Transformationspotenziale für Fachmarktzentren

Wie Jörg Krechky, Head of Retail Investment Germany bei Savills Deutschland, anmerkt, ist die Ansiedlung solcher Daseinsfunktionen – neben dem Handelsangebot – in vielen Fachmarktzentren an ihren klassischen Autostandorten auf der grünen Wiese allerdings eher schwierig. Hier geht es mehr um die Ansiedlung von Logistik als Nutzungsbeimischung. Dazu könnten etwa Abholstationen gehören.

Ziel der altbewährten „15 Minuten Stadt“ ist es mit Blick auf die Probleme durch das hohe Verkehrsaufkommen, den Individualverkehr zu entzerren, eine tiefere sozioökonomische Verbindung mit dem Stadtteil (Kiezgefühl) herzustellen und so lebenswertere Stadtteile zu schaffen. Und es geht auch darum, auf die veränderten Bedürfnisse der Menschen und der Kommunen, die schon immer gerne eine größere Durchmischung angestrebt haben, einzugehen.

Entzerrung des Individualverkehrs

Aber ein Allheilmittel für die vielfältigen Probleme der Stadt der langen Wege ist die 15 Minuten Stadt auch nicht. Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zum einen der Zeitfaktor: „Wir können die Städte nicht von Null auf 100 umbauen“, gibt Beyerle zu bedenken. Zumal hier ein dickes Brett gebohrt werden müsse. Und auch Krechky sagt, dass eine Quartiersentwicklung lange dauert und bezahlt werden muss.

Zumal für die Ansiedlung von neuen Nutzungen etwa an einem Handelsstandort laut Uwe Seidel, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Lademann & Partner, der Flächennutzungsplan und der Bebauungsplan angepasst werden müssen. Dafür brauche man in Deutschland einen langen Atem. Und dieser Prozess wird dadurch verlangsamt, dass auch viele Verwaltungsmitarbeiter im Homeoffice sind.

Ein anderes Hindernis seien die bestehenden Strukturen, die darüber entscheiden, ob eine 15 Minuten Stadt im Distrikt überhaupt realisierbar sei, wie Beyerle anmerkt. Denn das Modell könne auf Grund der Strukturen nicht überall umgesetzt werden. Hinzu kommt die räumlich/zeitliche Distanz zwischen Wohnen und Arbeiten. Für viele Menschen ist die gewünschte Arbeitsumgebung innerhalb von 15 Minuten nicht darzustellen. In diesem Kontext spielen die steigenden Mieten eine Rolle, die viele zwingen, ins preisgünstigere Umland zu ziehen. Hinzu kommen die Folgen der Pandemie. Die erzwungene Arbeit im Homeoffice und die Kontaktbeschränkungen haben viele veranlasst, ins Umland zu ziehen, wo sie sich größere Wohnungen mit Garten leisten können. Im Lockdown bieten Städte wenig Zeitvertreib.

Der größte Widerstand bei der Entwicklung der neuen Stadtstrukturen ist nach Beobachtung von Beyerle aber die Trägheit der Eigentümer. Das sei die größte Hürde. So wird die Stadtentwicklung derzeit geprägt von einer Mischung aus dieser Trägheit einerseits und – mit Blick auf die vielfältigen Probleme – durch den Anspruch an eine Erneuerung der Stadtstrukturen andererseits. Für einen solchen Umstrukturierungsprozess veranschlagt er einem Zeitraum von 20 Jahren.

Gleichwohl machte Christian Schröder, Chief Operating Officer (COO) der MEC Metro ECE Centermanagement mit Blick auf den Wandlungsprozess deutlich, dass es etwa bei den Fachmarktzentren beim Blick in die Zukunft notwendig ist, in anderen Dimensionen zu denken. Es gehe bei den jeweiligen Standorten darum, sich mit seinen Visionen für die nächsten 30 bis 40 Jahre auseinander zu setzen, mit den künftigen Vorstellungen von den Projekten.

Das sieht Marcus Mack, Head of Northern Europe, Retail bei Nuveen Real Estate, ähnlich wenn er anmerkt, dass das Unternehmen bei seinen Investments  in Handelsimmobilien auch darauf schaut, wie sich das Umfeld entwickelt und auch welchen Beitrag die Nutzung Wohnen leisten kann: „Das Projekt muss über einen langen Zeitraum gedacht werden.“

Dass die 15-Minuten-Stadt keine graue Theorie ist, sondern dass es in Stadtbildern bereits solche Modelle gibt, machten Beyerle und Krechky deutlich. So weist Krechky darauf hin, dass „wir in Deutschland längst Stadtquartiere wie in Hamburg Blankenese haben.“ Die müssten erneuert werden. Dafür existiert nach seinen Worten aber keine Blaupause. Und Beyerle betont, dass für eine flächendeckende Etablierung dieser Stadtstrukturen eine intensivere Fokussierung der Stadtplaner auf die Funktionen Mobilität, Gesundheit, Nahversorgung, Naherholung, Bildung und Freizeit notwendig ist.