Folgen der Corona-Krise

Online-Neulinge sind gekommen, um zu bleiben

Die Verschiebungen ins Internet sind unübersehbar. Foto: IREBS

Als die Politiker im März den Shutdown für das Gros des Nonfood-Handels, die Warenhäuser und Shopping-Center angeordnet haben und die Restriktionen für die Großbetriebe nach dem 20. April nur zögerlich gelockert wurden, haben sie den innerstädtischen Einzelhandel mit einer schweren Hypothek belastet. Anfänglich wichen nur wenige Kunden ins Internet aus, inzwischen sind es deutlich mehr und viele sind zufrieden. Die Politik stärkte damit die Online-Anbieter gegen den innerstädtischen Einzelhandel. Für die Stationären gilt es nun, gerade mit Hilfe der Digitalisierung Terrain zurückzugewinnen.

„Online-Neukunden sind gekommen, um zu bleiben“, titelten das IFH Köln und Capgemini in ihrer zweiten Ausgabe „Retail of the Future – Consumer Insights“, die sich mit dieser Zielgruppe der „Online-Neulinge“ befasst. Es sind Themen wie die wochenlangen Zwangsschließungen, Maskenpflicht sowie andere Restriktionen und letztlich die Angst vor Ansteckung, die so manchen Konsumenten ins Internet getrieben haben. „Das Konsumverhalten der Deutschen hat sich in der Pandemie verändert“, heißt es in der Studie: „Ein signifikanter Anteil der deutschen Bevölkerung (44%) hat in der Corona-Krise erstmals Produkte online gekauft, die sie vorher nur stationär gekauft haben.“

Die große Frage ist aus Sicht von Achim Himmelreich, Global Head of Consumer Engagement, Consumer Products & Retail bei Capgemini, „ob sich das Konsumentenverhalten der neu gewonnenen Onlinekunden auch dauerhaft stärker Richtung online ausrichtet“. Die Antwort darauf hat die Studie auch herausgearbeitet: Demnach waren über alle Branchen hinweg die Kunden mehrheitlich zufrieden und planen, die neuerdings online gekauften Produkte und Produktkategorien wieder online zu kaufen.

Dabei schätzen 75% die „Lieferung ins Haus“, 63% die „Unabhängigkeit von den Öffnungszeiten“ und 59% die „große Produktauswahl“. Für 54% war die „Verminderung der Ansteckungsgefahr“ ein Thema und für 34% der „bequeme maskenfreie Einkauf“. „Die Online-Neulinge scheinen den Onlineeinkauf auch unabhängig von Corona schätzen gelernt zu haben“, lautet deshalb das Fazit. Das Einkaufsverhalten werde sich auch künftig mehr „online“ bewegen.

Für einige Branchen des innerstädtischen Handels ist das eine schwere Hypothek, wie die Schätzungen des IFH etwa für den Mode-Handel zeigen. Waren die Anbieter von Mode & Accessoires 2019 noch um 1,4% auf rund 58 Mrd. Euro gewachsen, wird für 2020 – nicht nur durch den Online-Handel, sondern auch durch den Shutdown, Homeoffice und den Wegfall von Veranstaltungen – ein Umsatzverlust von bis zu 20 Mrd. Euro befürchtet. Wenn’s schlecht läuft, könnte diese Delle aus Sicht der Experten selbst bis 2024 nicht ausgeglichen sein.

Vor diesem Hintergrund ist laut „Branchenbericht Fashion & Accessoires“ vom IFH und der BBE Handelsberatung zu befürchten, dass der stationäre Fachhandel im Wettbewerb um die Marktanteile gegenüber dem Online-Kanal verlieren wird und die Zahl der Geschäfte in den nächsten Jahren deutlich sinken dürfte – die erwartete Größenordnung liegt im fünfstelligen Bereich.

Damit verstärkt die Corona-Krise laut Hansjürgen Heinick, Senior Consultant am IFH Köln, den Wandel und die Spaltung des Marktes: auf der eine Seite die populären Textildiscounter, die den Grundbedarf decken und weiter expandieren, auf der anderen der Online-Handel, der immer mehr Kaufimpulse setze. „Verschiebungen zum Onlinekanal werden voraussichtlich weiter deutlich zunehmen, wovon vor allem Online-Marktplätze profitieren dürften“, lautet das Fazit.

Einen Abgesang auf den stationären Einzelhandel wollen die Forscher damit aber nicht anstimmen. Denn einige Veränderungen im Konsumverhalten spielen auch den stationären Einzelhändlern in die Hände. So hat laut IFH und Capgemini für die Kunden gerade während der krisenbedingten Einschränkungen „regionales und nachhaltiges Einkaufs- und Konsumverhalten“ deutlich an Relevanz gewonnen.

Kein Abgesang auf den stationären Einzelhandel

Konkret will das Gros der Befragten (57%) vermehrt regional produzierte Produkte kaufen und 53% wollen darauf achten, dass die Produkte nachhaltig sind. „Diese Trendbewegungen beim Einkaufsverhalten können insbesondere für stationäre Anbieter in Kombination mit Cross-Channel-Konzepten eine Chance sein“, heißt es dazu in der Studie. Für den stationären Einzelhandel gilt in diesem Kontext aber auch, dies haben der Shutdown im Frühjahr und die Erfolge der Multichannel-Anbieter in dieser Zeit gezeigt, dass eine Digitalstrategie heute unabdingbar ist. Sie ist nach Erkenntnis der IFH-Tochter ECC und der CRM-Plattform Salesforce insbesondere für den lokalen, stationären Einzelhandel ein wichtiges Instrument zur Krisenbewältigung. Denn „Kanalübergreifende und nachhaltige Geschäftskonzepte bieten für stationäre Geschäfte neue Zukunftsperspektiven“.

In ihrer Studie über die Möglichkeiten und Potenziale für den Einzelhandel nach Corona haben ECC und Salesforce in ihrem Zehn-Punkte-Papier festgestellt, dass 29% der Konsumentinnen und Konsumenten während der Corona-Krise besondere Services und Angebote von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) wahrgenommen haben. Dazu gehören Angebote wie Click & Collect, die 37% genutzt haben, Lieferservices (35%) oder Gutscheinangebote (31%). Knapp ein Drittel (30%) nutzen „Preisaktionen“ und den „Telefon-Service zur Bestellung“.

Auch für den selbstständigen Facheinzelhandel werden „digitale Verkaufskonzepte“ deshalb immer relevanter, wie eine der zehn Thesen des Thesenpapiers von ECC und Salesforce lautet. Denn die Konsumenten würden künftig mehr „online“ kaufen, auch Lebensmittel. Das zeigt der Vergleich des Online-Anteils während des Corona-bedingten Shutdowns im März/April. Lag der Anteil in der 12. Kalenderwoche (16. - 22.3.) erst bei 13%, stieg er in KW 16 (13. - 19.4.) auf 22% und erreichte in der 19. Kalenderwoche (4. – 10.5.) dann 35%.

Dass daneben das bereits oben erwähnte Thema „Nachhaltigkeit“ für die Konsumenten wichtiger wird (These 2) unterstreicht das Umfrage-Ergebnis, wonach 65% angaben, dass sie nachhaltige Produkte kaufen, 37% setzen auf Second-Hand-Angebote und 37% kaufen weniger, wahrscheinlich um das Wegwerfen von Ware zu vermeiden. „Wir gehen davon aus, dass auch die vermutlich aufkommende Rezession in der Gesamtbetrachtung an dieser Haltung nichts ändern wird“, heißt es im Thesenpapier Die Zeit nach Corona: Welche (digitalen) Möglichkeiten und Potenziale bietet die Krise für den deutschen Handel?: „Wenn sie sich die nachhaltigen Produkte nicht mehr leisten können, dann würden sie das kompensieren etwa durch Inanspruchnahme eines Reparaturdienstes.“

Die Verwerfungen der Corona-Krise führen aber auch dazu, dass die Kunden zu Lasten des Markenbewusstseins stärker auf den Preis achten, wie die Befragung in der Zeit vom 23. März bis 19. April ergab, wobei das Gros (56%) neben dem Preis auch die Marke nicht aus dem Auge verlieren möchte. Insgesamt würde aber nur 5% auf jeden Fall die Marke wählen. Die mittelpreisigen Herstellermarken verlieren in diesem Umfeld, da sie sich nicht so sehr von den Discount-Marken unterscheiden, lautet These 3, und sieverlieren auch gegenüber dem Luxus-Segment.

Das Thema „Nachhaltigkeit“ gewinnt an Bedeutung

Da etwa drei von zehn Konsumenten – wie bereits oben erwähnt – bei den kleinen und mittleren Unternehmen Dienstleistungen wie Click & Collect oder Lieferservices in Anspruch genommen haben, gehen die Experten in ihrer These Nummer 4 davon aus, dass sich „digitale Konzepte auch bei digitalen Nachzügler-Unternehmen dauerhaft etablieren“ werden.

Dass in diesem Prozess der fortschreitenden Digitalisierung die großen Spieler wie Amazon mit seinem Marktplatz und „amazon.de“ die kleinen Spieler weiter in die Nischen drängen dürften (These 5), liegt auf der Hand. Während große Plattformen wie Zalando oder Otto sich bei diesem Prozess nach Einschätzung der Experten eher gleichbleibend entwickeln, wird der Druck auf die kleinen Spieler wachsen, ihren Platz in der Nische zu finden.

Nachdem die Sozialen Medien während des Lockdowns ihre Rolle als „Kommunikationsmedium“ noch ausbauen und eine starke Emotionalität erzeugen konnten, gehen ECC und Salesforce davon aus, dass sie für den Einzelhandel als Plattform eine wichtige Rolle spielen werden (These 6), wenn sie insbesondere bei den jüngeren Zielgruppen künftig eine große Rolle spielen wollen. So haben Facebook und Youtube bei etwa einem Viertel der Online-Käufer schon einmal einen Einkauf ausgelöst, bei jüngeren Kunden ist der Anteil natürlich größer.

An Bedeutung gewinnen für den stationären Einzelhandel auch die lokalen Plattformen (These 7), die vor allem von der jüngeren Genration (18 bis 29 Jahre) genutzt werden. Während der Anteil bei allen Befragten bei 12% liegt, sind es bei den Jungen 20%. Dabei sehen die Experten Chancen vor allem bei lokalen Plattformen, „die über Kooperationen echte Mehrwerte schaffen, die über den reinen Online-Handel hinausgehen wie Gastronomie, Nachrichten, Events, kommunale Initiativen“.

Nicht nur mit Blick auf das wachsende Interesse am Thema Nachhaltigkeit, auch durch die Beschaffungsprobleme im Rahmen der globalen Lieferketten sind laut ECC und Salesforce erfolgreiche Wertschöpfungsketten der Zukunft „lokal, nachhaltig und resilient“ (These 8). So erwarten zwei Drittel der Befragten, dass europäische und nationale Beschaffungsmärkte an Bedeutung gewinnen - vor allem für systemrelevante Bereiche.

In These 9 befasst sich das Papier mit der wichtigen Frage „Marketing“. Denn aus Sicht der Experten sind gerade die Unternehmen erfolgreich, die „eine klare Marketingstrategie haben“ und ihre kreativen Ideen kommunizieren. Hier könnte es auch sinnvoll sein, das Marketing-Budget antizyklisch zu erhöhen. Vor dem Hintergrund dieser Veränderungen erwarten die Experten, dass es auch „für kleine, innovative Händler immer Nischen geben wird, sich erfolgreich zu positionieren“ (These 10). Um bei diesem Prozess Hilfestellung zu leisten, hat das IFH zusammen mit der Pro-Bono Initiative „Händler helfen Händlern“ den Ideen-Wettbewerb „Retail Hack“ gegründet, um nachhaltige Business-Konzepte für die Zeit nach Corona zu entwickeln.