ECC Web Talk Fashion 2024

Online-Handel, Vertikale und Hersteller füllen die Lücke des Facheinzelhandels

Corona-Pandemie, Zwangsschließungen, Online-Konkurrenz, Ladensterben: Die Herausforderungen für den deutschen Modehandel waren in den vergangenen Jahren sehr vielfältig. Mit Daten, Fakten und Lösungsvorschlägen befasste sich deshalb der ECC Web Talk Fashion 2024.

Im stationären Mode-Einzelhandel mit Bekleidung und Schuhen klingt das Klagelied des Kaufmanns schon seit Jahren immer besonders laut. Der Blick auf die Zahlenreihen für die vergangenen 20 Jahre zeigt allerdings auch, wie gravierend sich hier die Marktbedingungen verändert haben. Gab es im Jahr 2000 als die Digitalisierung und der Online-Einkauf noch in den Kinderschuhen steckten und etwas für absolute Computer-Freaks waren, nach der IFH-Studie „Fashion – Marktsegmente und Vertriebsstrukturen im Ausblick 2025“, die beim ECC Web Talk Fashion 2024 vorgestellt wurde, bundesweit noch etwa 45 000 Mode-Unternehmen, so waren es 2022 noch etwa 16 500 – also 64% weniger als vor 22 Jahren. Und Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung beim IFH Köln, erwartet, dass die Zahl im vergangenen Jahr nochmals weiter auf rund 16 300 gesunken ist, wobei zuletzt noch die Corona-bedingten Insolvenzen hinzukamen.

Gefüllt wurden die Lücken, die insbesondere der Facheinzelhandel, aber auch die Warenhäuser und Verkaufsstellen etwa von Tchibo hinterlassen haben, gemäß der IFH-Studie „Marktsegmente und Vertriebsstrukturen im Ausblick 2025“ durch Vertikale Händler, die vom Design über die Produktion bis zum Einzelhandel alles aus einer Hand bieten und deshalb sehr nah am Markt und damit an den Kundenwünschen sind wie beispielsweise Zara sowie die Mono-Label-Stores der Hersteller. Da den Herstellern immer mehr Einzelhandelskunden wegbrachen – viele Mittelständler gaben auch auf, weil sie keine Nachfolger hatten –, sahen sie sich gezwungen, die Lücken durch eigene Marken-Läden zu füllen. In diesem Umfeld haben vertikale Anbieter und Hersteller-Läden ihren Marktanteil in den vergangenen 20 Jahren etwa verdoppelt. Hinzu kommt, dass auch die mittleren und großen Mode-Filialisten sowie die Platzhirsche an Boden verloren haben.

Fast im gleichen Maße wie der Facheinzelhandel geschrumpft ist, haben die Online-Player wie Amazon, Otto oder Zalando in den vergangenen 20 Jahren ihren Marktanteil ausgeweitet. Mit 41,4% (2023) erreicht der Online-Handel unter allen Einzelhandelsbranchen bei Mode den größten Anteil. In diesem Jahr soll er laut IFH auf 41,8% steigen.

Im Gegenzug hat aber das Ladensterben insbesondere beim mittelständischen Mode-Fachhandel mit seinen individuellen Konzepten in den Innenstadt-Lagen Spuren hinterlassen und dazu geführt, dass die Sortimente bedingt durch die Filialisten immer gleichförmiger wurden, was sich zweifellos auch auf die Frequenz ausgewirkt hat. Und in den Kleinstädten werden die Angebotslücken immer größer. Das dürfte wiederum den Online-Handel mit seinen großen Sortimenten gestützt haben. Vor diesem Hintergrund ergibt die Forderung des Handelsverbands Deutschland (HDE) nach einer systematischen Förderung des Facheinzelhandels zur Belebung der Innenstädte durchaus Sinn.

Das Ladensterben hinterlässt Spuren in den Cities

Positiv fällt ins Gewicht, dass der Mode-Handel den drastischen Umsatzeinbruch in den Corona-Jahren 2020 und 2021 inzwischen wieder ausgleichen konnte. 2020 waren die Erlöse durch die Zwangsschließung um 12,7% von 57,427 Mrd. Euro (2019) auf 50,14 Mrd. Euro eingebrochen. Nach einem kleinen Plus von 3,6% sind die Umsätze 2021 zunächst auf 51,926 Mrd. Euro gestiegen und 2022 mit der fortschreitenden Normalisierung des Alltags um 9,5% auf 56,849 Mrd. Euro. Im vergangenen Jahr konnte die Branche laut IFH-Studie nach einem Umsatzwachstum von 1,8% auf 57,878 Mrd. Euro das Vor-Corona-Niveau wieder leicht überschreiten. Für dieses Jahr erwarten die Experten ein weiteres Wachstum von 1,7% auf 58,87 Mrd. Euro.

Ob dieses Ziel erreicht werden kann, wird sich am Ende des Jahres zeigen müssen, denn angesichts der drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten und der immer noch weiter steigenden Lebensmittelpreise müssen viele Haushalte bei anderen Ausgaben sparen. Zwar hat die Mehrheit in einer IFH-Studie (55%) auf die Frage, ob sie sich wegen der steigenden Lebensmittelpreise in anderen Bereichen einschränken müssten, mit „nein“ geantwortet, doch bleiben damit 45% der Befragten, die offenbar kürzertreten müssen. Mit 33% der Nennungen schränken diese sich vor allem bei ihren Ausgaben für Besuche in Restaurants bzw. generell in der Gastronomie ein.

Aber an zweiter Stelle folgen bereits die Ausgaben für Mode & Bekleidung (30%) vor Ausflügen und Urlaub (29%) sowie Freizeit & Kulturveranstaltungen (27%). Am wenigsten schränken sie sich mit jeweils 15% bei Ausgaben für Drogerie- und Schönheitsartikel sowie Produkte aus dem Bereich Heimwerken & Garten ein. Entsprechend ermittelte das IFH Köln für den Bereich Fashion & Accessoires im ersten Halbjahr 2024 einen Umsatzrückgang von nominal -0,9% und real -3,7%. Bei Lebensmitteln lag das Wachstum dagegen bei nominal 3,7% und real 1,4%.

Mit Blick auf das Thema Kaufkraftverlust und Zwang zum Konsumverzicht hat das IFH Köln in Zusammenarbeit mit der BBE Handelsberatung auch den Trend zum Wachstumsbereich Second-Hand-Ware untersucht. „Mit Fokus auf dem Preis ist Nachhaltigkeit weiterhin präsent“, heißt es in der Studie. Nach Schätzung der Experten könnte das Umsatzvolumen mit Secondhand-Ware in diesem Jahr knapp 6 Mrd. Euro erreichen. 2018 hatte es erst bei etwas über 2 Mrd. Euro gelegen. Hier wirkt vor allem der Online-Handel mit seinen Marktplätzen für Mode-Gebrauchtware wie Vinted,Medimops oder Sellpy (siehe Foto: Sellpy) als Absatz-Beschleuniger. 2023 lag der Anteil der Mode am gesamten Gebrauchtwarenmarkt bei 37%.

Doch inzwischen hat auch der stationäre Handel diesen Markt für sich erkannt und verkauft neben Neu- auch Secondhand-Ware. Im Vorjahr erreichte der gesamte Umsatz mit Secondhand-Ware ein Volumen von 5,5 Mrd. Euro am Gesamtumsatz mit Mode von knapp 57,9 Mrd. Euro. Für dieses Jahr erwarten die Experten von IFH und BBE, dass von den prognostizierten 58,9 Mrd. Euro etwa 6 Mrd. Euro auf das Geschäft mit gebrauchter Ware entfallen werden. Das wäre ein Plus von 8,6%.

Damenmode hat Vor-Corona-Niveau noch nicht erreicht

Beim Weg zurück aus der Corona-Flaute hat sich vor allem der mit einem Anteil von 36,1% stärkste Bereich, die Damenmode, laut Studie das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht. Positive Impulse für den Mode-Markt sehen die Experten aber noch beim Schuhmarkt, der vom Boom bei Sneakers profitiert, bei Sportbekleidung, die um 5,6% zulegen konnte und bei Berufsbekleidung (+2%).

Mit Blick auf die vielen Insolvenzen in der Bekleidungsbranche in der jüngeren Vergangenheit wies Lukas Reischmann, Senior Consult bei der BBE Handelsberatung, in seinem Vortrag „Mit Daten zurück in die Erfolgsspur“, darauf hin, dass die Unternehmen über einen großen Fundus an Daten verfügen, die auch in dynamischen Zeiten für Klarheit und Sicherheit sorgen und den richtigen Weg weisen können – wenn sie richtig genutzt werden. Wichtig sei die betriebswirtschaftliche Transparenz. Laut Allianz Trade Kreditversicherung sind immerhin 79% der Insolvenzen auf ein fehlendes Controlling zurückzuführen.

Analog zum Online-Handel sollte laut Reischmann auch der stationäre Einzelhandel die Daten über seine Kundschaft nutzen, um ihre Wünsche und ihr Einkaufsverhalten besser einschätzen zu können. Sie sollten Informationen auswerten, wie sich die Kunden im Laden bewegen, was sie interessiert und was sie kaufen. Dabei geht es um die Kundenstammdaten, die Transaktionsdaten und vor allem die Trackingdaten, die auch viel über die Verweildauer aussagen.

Als Positivbeispiel für eine erfolgreiche Verkaufsstrategie zur Steigerung der Frequenz empfahl Reischmann eine Doppelplatzierung der Ware an frequenzstarken Punkten auf der Ladenfläche. So wurde im Erdgeschoss ein Tisch mit Dekoartikel und dem Hinweis auf die Abteilung für Heimartikel in der dritten Etage aufgestellt. „Die Ergebnisse zeigen, dass die Abschöpfungsquote im 3. Obergeschoss durch die Doppelplatzierung im Erdgeschoss deutlich – um 20% – gesteigert werden konnte“, berichtet der Experte.