Quartiersentwicklungen

Ohne Handel ist kein Blumenstrauß zu gewinnen

Die Nahversorgung darf im Wohnquartier nicht fehlen. Bild: IPH

Bei der Entwicklung neuer Wohnquartiere ist auch den Stadtverwaltungen klar, „dass ohne Handel kein Blumenstrauß zu gewinnen ist“, wie Hilmar von Lojewski, Beigeordneter und Leiter des Derzernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr beim Deutschen Städtetag bei einer Diskussionsrunde über Chancen und Grenzen der Nahversorgung in Quartieren feststellte. Mit der Frage, welche Kriterien eine nachhaltige Nahversorgung in Wohnquartieren erfüllen muss, um die Anforderungen der Bewohner – nicht nur der Stadtplaner – zu erfüllen, befasst sich die Studie von Bouwfonds Immobilienentwicklung (BPD) und BBE Handelsberatung.

Wie Alexander Heinzmann, Geschäftsführer beim Projekt– und Gebietsentwickler Bouwfonds Immobilienentwicklung (BPD) in Deutschland, feststellt, ist die Beschaffung von Lebensmitteln ein fester Bestandteil des Alltags, wobei die schnelle und bequeme Versorgung durch wohnortnahe Anbieter unerlässlich sei. Die Palette der Lebensmittelbeschaffung reicht vom Einkauf im Geschäft vor Ort über Online-Einkäufe bis hin zu Lebensmittellieferungen. Das heißt für Heinzmann: „Insbesondere im Rahmen großer Wohngebietsentwicklungen stellt sich damit die Frage, wie sich die künftigen Bewohner versorgen wollen und welche Anforderungen sich daraus an die Gestaltung der Nahversorgung im Wohngebiet ergeben.“

Wichtig ist nach den Worten von Han Joosten, Leiter Gebietsentwicklung und Marktforschung bei BPD, demnach, „eine langfristige und bedürfnisgerechte Nahversorgung sicherzustellen“. Deshalb sei es notwendig, sich an den Zielgruppen im Quartier auszurichten und nicht an der Größe des geplanten Nahversorgers – wie das im deutschen Planungsrecht meist der Fall ist. Denn dadurch werde die flexible Anpassung von Handelskonzepten an die Wohnquartiere behindert.

Zumal beim Lebensmittelhandel, wie Katrin Grumme,geschäftsführende Gesellschafterin der EGCP Projektentwicklungs- und Verwaltungsgesellschaft, zu bedenken gibt, auch auf die Wirtschaftlichkeit geachtet werden muss. Mit Blick auf die Tatsache, dass die Sortimente im Laufe der Jahre stark gewachsen sind, geht Lebensmittelhandel laut Grumme nicht „kleinflächig“.

Hinzu kommen die gesellschaftlichen und technischen Veränderungen. So identifizierte die BPD-BBE-Studie sieben Megatrends, die aus Sicht der Experten auch die Präferenzen der Bundesbürger mit Blick auf die Nahversorgung beeinflussen. Dazu gehören die Urbanisierung, also die Fokussierung der Menschen auf die Städte, eine wachsende Bevölkerung, deren Lebenserwartung steigt, ein Mobilitätswandel im Zuge der sich verändernden Arbeitswelten, die zunehmende Digitalisierung, die sich in alle Lebensbereiche ausdehnt, die Automatisierung und die mit dem Klimawandel wachsende Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit.

Lebensmittel geht nicht „kleinteilig“

Auf dieser Basis haben die Experten die Präferenzen von sieben einzelnen Zielgruppen in Deutschland, die sie vorab definiert hatten, näher untersucht. So etwa die jungen Berufseinsteiger, die jungen Familien und die aktiven Ruheständler. Dass hier die Bedürfnisse stark auseinanderliegen – hier der regelmäßige Kleineinkauf und der soziale Kontakt im Lebensmittelmarkt, dort der Großeinkauf für die Familie unter Zeitdruck – liegt auf der Hand. Aus Sicht von Markus Wotruba, Leiter Standortforschung bei der BBE Handelsberatung, müssen solche Trends gleich bei der Planung neuer Wohngebiete und der Nahversorgungskonzepte berücksichtigt werden.

Zumal die Ansprüche und die Haushaltsbudgets stark voneinander abweichen. So ist die jüngste eigenständig lebende Gruppe, die Starterhaushalte in Ausbildung, zwischen 16 und 21 Jahre alt, hat eine mittlere bis hohe Bildung und steht am Anfang des Studiums oder der Berufsausbildung. Sie lebt meist in Ein-Personen-Haushalten oder in Wohngemeinschaften und hat ein geringes Einkommen, was sie sehr Preis-sensibel macht. Die bevorzugte Lage sind Groß- und Universitätsstädte.

Die jungen Berufseinsteiger sind in der RegelAnfang bis Ende 20, haben ihre Ausbildung abgeschlossen und stehen am Anfang der Karriere. Mit ihren mittleren Einkommen leben sie in Ein- oder Zweipersonenhaushalten in der City oder in der Randlage von Großstädten. Ein großer Teil des Geldes geht für die Miete weg, weshalb bei Lebensmitteln gespart werden muss.

Die multilokalen Professionals sind viel auf Reisen, wohnen meist im Singlehaushalt in der Stadt in einer hochwertigen Altbauwohnung oder im Neubau eines innerstädtischen Szeneviertels. Meist handelt es sich um Akademiker in leitender Position im Alter zwischen 20 und 50 Jahren mit sehr gutem Einkommen. Diese Konsumenten schätzen eine schnelle und unkomplizierte Versorgung mit Lebensmitteln. Das Angebot sollte an den unterschiedlichen Orten rund um die Uhr verfügbar sein. Dafür sind sie auch bereit, mehr zu zahlen.

Die dynamischen Familien mit meist sehr guter Ausbildung ziehen, wenn der Nachwuchs kommt, aus der Stadt an den Rande von Groß- und Mittelstädten mit guter Infrastruktur für die ein- bis drei Kinder. Ihren urbanen Lebensstil behalten sie bei. Trotz hoher Flexibilität im Berufsleben bleibt neben Erziehung und Hausarbeit wenig Zeit für den wöchentlichen Großeinkauf. Der muss deshalb einfach und zeitsparend sein und sich mit anderen Verpflichtungen verbinden lassen. Zudem legen sie Wert auf hochwertige Lebensmittel.

Es gilt viele Interessen unter einen Hut zu bringen

Die Empty Nester sind zwischen 50 und 65 Jahre alt, berufstätig und haben eine mittlere bis hohe Bildung. Wie der Name schon sagt, sind die Kinder aus dem Haus im Umland von Groß- und Mittelstädten ausgezogen und stehen auf eigenen Beinen, sodass die Eltern überlegen, in eine hochwertige Wohnung in zentraler Lage zu ziehen, zumal sie einen relativ großen finanziellen Spielraum haben. Sie haben mehr Zeit, so dass der Lebensmitteleinkauf auch Teil der Freizeit ist. Sie legen Wert auf Qualität und kaufen frische Lebensmittel auf lokalen Märkten oder in Feinkostgeschäften.

Die aktiven Ruheständler (zwischen 65 und 70) genießen den Lebensabend und leben in Ein- oder Zweipersonenhaushalte mit mittlerem bis hohem Einkommen im abbezahlten Eigenheim am Stadtrand. Sie sind aktiv in die lokale Gemeinschaft integriert. Der Lebensmitteleinkauf ist für sie ein Teil der Freizeitgestaltung und wird gern mit einem Ausflug oder einem Restaurantbesuch verbunden. Essen hat einen besonderen Stellenwert, genauso wie die Qualität der Nahrungsmittel.

Zentraler Wunsch der Älteren in der Gruppe der Über-75Jährigen, ist es laut Studie, in der vertrauten Umgebung zu bleiben. Auch wenn diese Ein- bis-Zwei-Personen-Haushalte überall leben, so ist der typische Wohnort das kleinstädtisch geprägte Umland von Groß- und Mittelstädten. Eine bezahlbare und altersgerechte Wohnung im Quartier zu finden, ist für viele aber schwierig. In diesem Lebensabschnitt ist das Einkaufen wichtiger Bestandteil des Alltags, dient der Bewegung und dem sozialen Austausch. Typisch sind mehrere kleine Einkäufe statt des wöchentlichen Großeinkaufs.

Da kaum jemand die Anforderungen an eine attraktive Nahversorgung besser beurteilen kann als die Kunden selbst, wurden im Rahmen eines eintägigen Workshops mit acht Teilnehmern aus den oben beschriebenen Zielgruppen, unter Anwendung der Lego Serious Play-Methode, zentrale Anforderungen an eine attraktive Nahversorgung erarbeitet und daraus Zukunftsvisionen für die Lebensmittelmärkte in neuen Wohngebieten entwickelt. Die Lego Serious Play-Methode ist ein moderierter Gesprächs-, Kommunikations- und Problemlösungsprozess.

Dabei zeigte sich, dass für die Kunden des stationären Handels vor allem Kopplungspotenziale mit anderenHändlern/Erledigungen zu den Grundvoraussetzungen der Nahversorgung gehören. Stichwort: Handelsagglomeration. Was sich schon bei Betrachtung einiger Zielgruppen abzeichnete, ist, dass den Kunden die räumliche Nähe (siehe Grafik BPD) des Supermarktes sehr wichtig ist. Dabei wird die Nähe zum Wohnort höher eingeschätzt als zum Arbeitsplatz.

Die Einkaufsstätte muss gut erreichbar sein

Weitere Anforderungen sind die gute Erreichbarkeit der Einkaufsstätte. „Kurze Wege und eine zu Fuß oder mit dem Fahrrad gut erreichbare Nahversorgung werden als besonders attraktiv wahrgenommen“, heißt es in der Studie. Für größere Einkäufe setzen sie auf die gute Erreichbarkeit mit dem Pkw. Wichtig ist auch die Größe des Sortiments. „Grundsätzlich sollte der Markt groß genug sein, um ein breites und vielfältiges Warensortiment abbilden zu können“, ergab der Workshop. Kleinflächen gelten für viele nicht als vollwertige Nahversorger.

Im Zeitalter der Digitalisierung kommt aber auch der Lebensmittelhandel nicht am Online-Vertrieb aus. So gehen die Forscher davon aus, dass der Online-Lebensmittelhandel mit neuen Konzepten stärker in den Vordergrund rücken wird. Lebensmittel zeitsparend online zu kaufen, werde in Zukunft sicher zur Grundausstattung einer attraktiven Nahversorgung gehören.

Im Workshop wurde auch erarbeitet, wie die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs idealerweise in das Wohnquartier integriert werden kann: Mit Blick auf die Wohnung als Rückzugsort und Raum für die Erholung möchten die Teilnehmer den Lebensmittelmarkt nämlich nicht gern im Wohngebäude haben - dann schon lieber Gastronomie-Betriebe im Erdgeschoss. Und auch der Lieferverkehr sollte effizient und emissionsarm abgewickelt werden.

Nach Vorstellung der Teilnehmer sollten die Nahversorger und das Dienstleistungsangebot an einem zentralen Ort gebündelt werden. Gewünscht wird eine Kombination aus Nahversorgungsangebot und anderen  Nutzungen wie Ärzte, Apotheken, Friseure oder Freizeiteinrichtungen. Und: Für die Kunden ist ein großflächiger Nahversorger wichtig, damit sie für ihre Einkäufe im Quartier nicht mehrere Händler aufsuchen müssen. Daneben können sie sich Ergänzungen wie einen durchgehend geöffneten Convenience Store für Spontaneinkäufe und einen Wochenmarkt für frische Produkte vorstellen. Und schließlich sollten die Wohngebäude und der Nahversorgungsbereich durch attraktive Plätze verbunden werden, während die Gastronomie im Quartier verteilt werden sollte.