Stadtentwicklung im Fokus

Ohne Einzelhandel stirbt die Innenstadt

Eine attraktive Architektur ist essenziell. Bild: Fotolia

Der Strukturwandel im innerstädtischen Einzelhandel, der auch das Vermietungsgeschäft zuletzt beeinträchtigt hat, befördert die Diskussion über die Ansiedlung weiterer Nutzungen. Die Diskussionen und Vorträge beim jüngsten Handelsimmobilien Kongress ergaben aber, dass ohne den Einzelhandel als Hauptmagnet nichts geht. Deshalb bereitet der endlose Shutdown auch große Sorgen.

„Wenn der Einzelhandel stirbt, dann stirbt auch die Innenstadt“. Mit diesem drastischen Statement machte Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE) beim 17. Deutschen Handelsimmobilien-Kongress im virtuellen Format auf die Folgen des Shutdowns nicht nur für den Einzelhandel, sondern auch für die Innenstädte, aufmerksam. Das treffe vor allem die Klein- und Mittelstädte, in denen die Mieten sinken und die Skepsis der Investoren steigt.

Grund für die Sorge ist die ständige Verlängerung der Zwangsschließungen und die Tatsache, dass die Bedingungen für die von der Bundesregierung zugesagten Hilfsprogramme so restriktiv ausgestaltet sind, dass viele Händler bislang leer ausgingen. Das ist schon daran abzulesen, dass die Gelder aus den Hilfsprogrammen kaum abfließen. Immerhin können die Überbrückungshilfen laut Genth nun beantragt werden und der HDE hat sich dafür eingesetzt, dass für den Modehandel bei der Winterware, die er nicht verkaufen konnte, eine Teilwertabschreibung möglich ist.

Dass die Innenstädte bei allen Diskussionen um mehr neue Nutzungen wie Büros, Kitas oder Bildungseinrichtungen in den oberen Etagen von Geschäftshäusern ohne den Einzelhandel als maßgeblichem Magneten nicht funktionieren, machte auch Michael Reink, Bereichsleiter Standort- und Verkehrspolitik beim HDE deutlich. Und Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln unterlegte diese Statements mit den Umfrageergebnissen der 4. Passanten-Befragung „Innenstädte auf dem Prüfstand“. Danach ergab die Befragung von knapp 58 000 Passanten Ende September/Anfang Oktober 2020, dass für das Gros der Befragten der Einzelhandel das „Motiv Nummer eins“ für den Stadtbesuch ist – weit vor Gastronomie und Kultur.

Zwar punkten die attraktivsten Städte in Deutschland vor allem mit ihrem Ambiente und Flair – Stichwort Altstadt und schöne Architektur – sowie mit ihrem Erlebniswert, aber von der Qualität des Einzelhandels hängt es laut Hudetz ab, ob die Besucher am Ende zufrieden sind. „Je spannenden der Einzelhandel, umso höher wird auch der Erlebniswert einer Stadt gesehen“, berichtet er. Deshalb sei es wichtig, diese Erwartungen zu erfüllen. Denn in Zeiten der Digitalisierung und der Online-Konkurrenz gilt der Grundsatz: „Alle Macht geht vom Besucher aus.“ Und diese kommen heute nicht mehr automatisch in die Cities. Deshalb ist der Einzelhandel laut Hudetz für die Innenstädte auch unverzichtbar.

Dabei sind die Voraussetzungen für die aktuellen Diskussionen über Deutschlands Innenstädte und ihre zukünftige Gestaltung nach den Worten von Roland Wölfel, Geschäftsführer Deutschland der Cima Beratung + Management derzeit sehr günstig. Noch nie sei die Verödung der Innenstädte von einer so breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen worden, wie jetzt durch die Folgen der Zwangsschließungen im innerstädtischen Nonfood-Handel und die Schieflage namhafter Unternehmen. Die Folgen eines Ladensterbens kann sich inzwischen jeder vorstellen.

Probleme der Innenstädte parteiübergreifend erkannt

Das ist auch in weiten Teilen der Politik angekommen. So berichtet Bernd Düsterdiek, designierter Beigeordneterdes Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStG), dass die Probleme der Innenstädte inzwischen parteiübergreifend erkannt wurden. Zumal die Probleme durch die Corona-Krise zwar beschleunigt und verschärft, aber nicht verursacht wurden. „Das Thema beschäftigt uns als Spitzenverband der Städte und Gemeinden schon lange sehr extrem“, so Düsterdiek. Deshalb hatte der Verband, dem etwa 11 000 Städte und Gemeinden angeschlossen sind, auch 2016 mit dem HDE die „Allianz für Innenstädte“ gegen die Verödung ins Leben gerufen. Denn für die Kommunen seien die Innenstädte die „Visitenkarte“.

Doch die Zwangsschließungen haben Teilen des innerstädtischen Nonfood-Handels wie den Anbietern von Bekleidung, Schuhen und Lederwaren „einen unglaublichen Umsatzrückgang beschert“, wie Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung und der IPH Handelsimmobilien berichtet. Der Erlösrückgang lag 2020 nach den vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes bei über 23%. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, befürchtet einen massiven Verlust an innerstädtischen Einzelhändlern, die die Zwangsmaßnahmen nicht mehr länger durchstehen könnten. Abzulesen sei das an den vielen Abmeldungen.

Hinzu kommen Filialschließungen im Zuge von Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung und die Verhandlungen mit den Vermietern über Mietnachlässe, was die Mieten in den innerstädtischen Lagen laut Stumpf weiter unter Druck setzen. „Die Innenstädte sind stark betroffen“, bestätigt auch Olaf Petersen, Geschäftsführer beider Comfort-Gruppe. Der Immobilienberater verzeichnete im Corona-Jahr etwa ein Drittel weniger Vermietungen, kürzere Mietvertragslaufzeiten von durchschnittlich 7,3 Jahren (2016: 9,4 Jahre) und schon vor 2020 nachgebende Mieten.

Der Vermietungsmarkt für Retail Assets wird laut Petersen zunehmend zum „Mietermarkt“. Bei der Nachvermietung stünden die Mieter nicht mehr Schlange. Aus seiner Sicht wird es in den guten Lagen der Top-Metropolen zwar keinen Leerstand geben, allerdings künftig weitere Nutzungen, wodurch die Städte bunter werden und zu ihrem Ursprung zurückkehrten – was im Grunde nicht schlecht sei. Dazu können laut Hauptgeschäftsführer Genth etwa neue Mieter wie Kitas oder Bildungseinrichtungen in den oberen Etagen der Geschäftshäuser gehören, wodurch aber auch das Mietniveau sinken wird, weil diese Nutzer laut Reink nicht so hohe Mieten zahlen.

Doch auch Lebensmittelanbieter wie Kaufland prüfen nach den Worten von Angelus Bernreuther, Leiter des Bereichs institutionelle Investoren und Immobilienwirtschaft heute mehr Standorte als früher, auch in zentralen Lagen. Allerdings müssten die Kriterien zum Konzept des Unternehmens passen.

In diesem Kontext geht BBE-Geschäftsführer Stumpf davon aus, dass die Top-Lagen in den Big 7 für den Handel - vor allem auch für neue Konzepte - attraktiv bleiben. Das sieht Jens Peter Klatt, Vice President des als Pure Player gestarteten Optikers Mr Spex, der inzwischen 34 stationäre Shops betreibt und weitere eröffnen will, auch so. Die Optiker-Kette glaubt an die Cities und die Shopping-Center und den stationären Handel, der heute ein wichtiges Standbein in der Unternehmensstrategie ist.

Gute Handelskonzepte könnten von Corona profitieren

So ist auch Stumpf überzeugt, dass gute Handelskonzepte von Corona sogar profitieren könnten, wenn beispielweise durch Schließungen attraktive Flächen auf den Markt kommen. Auch starke Shopping-Center in A-Lagen bleiben aus seiner Sicht robust, auch wenn das Vermietungsgeschäft derzeit aus verständlichem Grund nicht so gut läuft. Die Mieten würden hier aber nicht unter das Niveau von 2010 fallen. Bei Einkaufszentren in B-Lagen war der Veränderungsdruck nach seiner Beobachtung schon in den 2010er-Jahren sehr hoch, so dass sich die Mieten bereits angepasst hätten und die Korrekturen wohl abgeschlossen seien.

Mit Blick auf das zentrale Thema „Stadtentwicklung“ waren sich die Kongressteilnehmer in ihrer Einschätzung einig, dass die Innenstädte nicht einfach so weiter machen könnten wie bisher, auch wenn einige Politiker nach Beobachtung von Marc Ramelow, Geschäftsführer der mittelständischen Mode-Kette Gustav Ramelow, erwarten würden, dass nach der Wiedereröffnung alles so sein werde wie früher.

Das machte auch HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth in seiner Rede mit dem Titel „Alles auf Anfang – Neuorchestrierung von Stadt und Handel“ deutlich. Es müsse alles neu gedacht werden und es dürfe kein Denkverbot geben, wobei aber auch Genth den Handel weiterhin als dominierende Größe der Innenstädte sieht. Das haben offenbar auch viele Politiker begriffen. So gibt es laut Düsterdiek etwa in der CDU-Fraktion schon konkrete Überlegungen für einen Pakt für die Innenstadt, der auch finanzielle Unterstützung vorsehen soll.

Laut Genth sehen inzwischen alle Parteien die Notwendigkeit, den Einzelhandel im Interesse der Innenstädte zu unterstützen, auch die Forderung des HDE nach Einrichtung eines 500 Mio. Euro schweren Innenstadt-Fonds stößt auf Zustimmung. Zudem wurde im Innenministerium ein „Beirat Innenstadt“ etabliert, der ein Maßnahmenpaket erarbeiten soll. Im Bundeswirtschaftsministerium wurde ein Roundtable zum Thema Innenstadt eröffnet und im Rahmen der Städtebauförderung wurden laut Genth zunächst 25 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Der HDE will sich dafür einsetzen, dass eine Best Practice Datenbank aufgebaut wird. Vorbild ist hier die Datenbank, die die Cima für Bayern eingerichtet hat.

Laut Stumpf gibt es für die einzelnen Probleme der deutschen Innenstädte zwar kein Patentrezept, doch könnten die Städte von den zentral geführten Shopping-Centern mit ihren Bedarfsanalysen und ihren darauf basierenden Konzepten und Visionen lernen. Zudem empfiehlt er, die Immobilieneigentümer frühzeitig in die Stadtentwicklung einzubeziehen. Denn aus den IFH-Studien „Innenstädte auf dem Prüfstand“ ist bekannt, wie wichtig aus Sicht der Besucher auch die Architektur der Immobilien für die Attraktivität der Innenstädte ist.

Für Prof. Thomas Krüger, Leiter Projektmanagementin der Stadtentwicklung in der Hafen City Universität Hamburg, stellt sich mit Blick auf die Größe der Aufgaben und die Tatsache, dass sich die Filialisten meist bei der Finanzierung von städtebaulichen Projekten zurückhalten, die Frage, wer das alles umsetzen soll? Aus seiner Sicht ist ein Transaktionsmanagement nötig und Handlungsforen, die auch über Geld verfügen. Stadtentwicklung dürfe sich nicht nur auf das beschränken, was gerade getan werden müsse. Man brauche Konzepte für die Innenstädte.

Aus Sicht von Oliver Bernhardi, Director Real Estate Management beim Schuh-Filialisten Ludwig Görtz, müssen sich die Vermieter/Immobilieneigentümer auf den gesamten Standort und nicht nur auf die eigenen Immobilien fokussieren. Bei den Mieten schlägt er eine Basismiete inklusive Nebenkosten plus Erfolgskomponenten wie Umsatz und Frequenz vor. Zudem sollte ein Marketingbeitrag von Mieter und Vermieter für den Standort gezahlt werden.

Als durchsickerte, dass der Shutdown bis in den März hinein verlängert werden soll, konstatierte Reink: „Wenn die Unterstützung nicht sehr bald kommt, dann brauchen wir uns über die Innenstadt keine Gedanken mehr zu machen.“