Investmentmarkt Retail

Nachfrage nach Lebensmittelmärkten bleibt hoch

Übernahmeobjekt Zehlendorfer Welle. Foto Value Real Estate

2020 war trotz Corona ein Ausnahmejahr. Ein unerwartet starkes erstes Quartal, weil sich viele Transaktionen ins neue Jahr verschoben hatten sowie namhafte Portfolio-Investments ließen das Transaktionsvolumen im Handelsimmobilienmarkt auf über 10 Mrd. Euro steigen – allen Zwangsmaßnahmen zum Trotz. Dagegen startete 2021 nach dem Dauerlockdown seit Mitte Dezember – nicht unerwartet – mit dem schwächsten Auftaktquartal seit der Finanzkrise 2009, wie Savills konstatiert.

Einen Rückschluss auf den Verlauf des Investmentjahres 2021 lässt der schwache Start allerdings noch nicht zu, wie Christoph Scharf,Geschäftsführer der BNP Paribas Real Estate GmbH (BNPPRE) und Head of Retail Services, mit Blick auf die Tatsache berichtet, „dass in den vergangenen zehn Jahren im ersten Quartal insgesamt fünfmal die 2 Mrd.-Euro-Marke verfehlt wurde“. Das könne zwar nicht über das niedrige Transaktionsvolumen im ersten Quartal hinwegtäuschen, doch trage dies zur Relativierung des schwachen Ergebnisses bei. Zudem weist Dirk Hoenig-Ohnsorg, Head of Retail Investment bei Colliers International, darauf hin, dass die Volatilität bei Retail Assets viel höher ist als in anderen Segmenten.

Im Detail ermittelten die Immobiliendienstleister BNPPRE, Savills und JLL für den Markt ein Transaktionsvolumen von 1,5 Mrd. Euro, während CBRE mit 1,9 Mrd. Euro etwas höher und Cushman & Wakefield (C&W) mit 1,26 Mrd. Euro sowie Colliers International mit 1,2 Mrd. Euro etwas niedriger liegen. Der Rückgang gegenüber dem Vorjahreszeitraum war mit -69%, wie BNPPRE berechnete, oder gar -73% wie C&W ermittelte oder -59% wie CBRE feststellte, erheblich.

Am deutschen Gewerbeimmobilienmarkt mit einem gleichfalls um 47% geschrumpften Transaktionsvolumen von 9,54 Mrd. Euro (C&W) im ersten Quartal erreichen Retail Assets damit noch einen Anteil von etwa 16 bis 20%, je nach Höhe des ermittelten Transaktionsvolumens. Ausgebremst wurde die Dynamik auf dem hiesigen Gewerbeimmobilienmarkt durch den erneuten Anstieg der Neuinfektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus, der laut Cushman & Wakefield dafür sorgte, dass die Kontakt- und Reisebeschränkungen teilweise verschärft und auf weitere Länder ausgedehnt wurden, so dass vor allem internationale Investoren ohne Präsenz in Deutschland keine Vor-Ort-Besichtigungen vornehmen konnten.

Im Markt für Handelsimmobilien sank der Anteil der internationalen Investoren laut BNP Paribas Real Estate im ersten Quartal denn auch auf unterdurchschnittliche 28%. Die Zahl der erfassten Transaktionen halbierte sich laut Colliers International nahezu von über 80 auf 45. Laut Helge Scheunemann, Head of Research bei JLL Germany, konnte zudem das Segment Logistikimmobilien mit 1,7 Mrd. Euro im ersten Quartal mit Retail Assets gleichziehen oder übertreffen, je nachdem, ob man das Volumen von 1,5 Mrd. Euro zugrunde legt oder von 1,9 Mrd. Euro ausgeht.

Das Jahr muss noch nicht abgeschrieben werden

Doch auch wenn der seit Ende 2020 andauernde Lockdown und die bestehenden Unsicherheiten über weitere Beschränkungen im Zuge der dritten Welle in innerstädtischen Einkaufslagen und Shopping-Centern den Jahresstart extrem belasten, so gibt es dennoch keinen Anlass, das Jahr für die Branche bereits abzuschreiben. Denn der Einzelhandel mit seiner großen Bandbreite an Anbietern ist heterogen und die größte Branche, der Lebensmittelhandel inkl. Drogeriemärkten, ist gerade in der Pandemie systemrelevant und erfolgreich.

Oder anders formuliert: „Der Lockdown, eine fehlende Perspektive für Wiedereröffnungsszenarien in den Einkaufsstraßen sowie hohe Inzidenzwerte skizzieren nur einen Teil der schwierigen Rahmenbedingungen, denen sich der Einzelhandelsmarkt im ersten Quartal ausgesetzt sah“, sagt BNPPRE-Geschäftsführer Scharf.

Deshalb ist Jan Schönherr, Co-Head of Retail Investment bei CBRE in Deutschland auch überzeugt, dass „Lebensmittelmärkte“ und „lebensmittelgeankerte Handelsimmobilien“ von vielen Investoren weiterhin stark nachgefragt werden, da sie von den Corona-bedingten Einschränkungen kaum betroffen sind. Im Gegenteil: Die Branche profitiert auch davon, dass die Gastronomie geschlossen ist und mehr Menschen zu Hause kochen und essen.

So registriert auch Jörg Krechky, Director und Head of Retail Investment Services Germany bei Savills, dass die Nachfrage nach lebensmittelgeankerten Immobilien unvermindert hoch ist, wobei allerdings das Angebot eher gering ausfällt. Deshalb erwartet er für das Gesamtjahr 2021, dass im Segment Fachmärkte und Fachmarktzentren ein Nachfrageüberhang von etwa 3 Mrd. Euro bestehen dürfte – etwa in der gleichen Größenordnung wie schon 2020.

Nachfrageüberhang von drei Milliarden Euro

Im ersten Quartal 2021 war mit 44% oder 836 Mio. Euro laut CBRE der größte Teil des Transaktionsgeschehens erneut auf die Gruppe der Fach- und Lebensmittelmärkte sowie der Fachmarkt- und Nahversorgungszentren gefallen. BNPPRE ermittelte einen Wert von 868 Mio. Euro bzw. einen Anteil von 58% am Transaktionsvolumen, auch wenn die Fachmarktsparte im ersten Quartal nicht an das außergewöhnlich hohe und durch Übernahmen befeuerte Rekordergebnis aus dem Vorjahr anknüpfen konnte, so steht diese Anlageklasse dennoch auf der Einkaufsliste der Investoren im Einzelhandelssegment ganz oben.

Neben „dem Erfolgskurs lebensmittelgeankerter Fachmärkte, Nahversorgungszentren sowie Supermärkten und Discounter“, die laut JLL mit deutlich über 60% das Gros dieser Assetklasse ausmachen, wurden auch einige innerstädtische Geschäftshäuser und größere Fachmarktzentren gehandelt. Zu den größten Investments am Jahresanfang zählt Savills den Verkauf des Stadtteilzentrums Zehlendorfer Welle durch die CELLS Group und Ares Management an die Values Real Estate. Des Weiteren ist laut Colliers International der Weiterverkauf von sieben Karstadt-Warenhäuserndurch RFR an Apollo zu nennen und der Erwerb von Mehrheitsanteilen am ehemaligen Mutschler-Center, einem Fachmarktzentrum in Neu-Ulm, für rund 120 Mio. Eurodurch den österreichischen Investor und Entwickler Hallmann.

Auf Geschäftshäuser entfiel laut CBRE ein Anteil von 32% (608 Mio. Euro) und auf sonstige Objekte, wozu Geschäftshäuser in Nebenlagen gehören, 17%. Auffallend ist laut BNPPRE das niedrige Volumen in den A-Standorten, das mit 353 Mio. Euro nur ein Drittel des Vorjahresniveaus erreichte. Für Kauf- und Warenhäuser ermittelte Savills ein Volumen von 226 Mio. Euro. Dagegen war der Anteil von Shopping-Centern mit 7% (CBRE) sehr bescheiden. Hier seien die Investoren weiterhin in Warteposition, bis sich die Mietpreise ausbalanciert hätten, berichtet Schönherr, während bei High-Street-Objekten vor allem „absolute Prime-Objekte“ gefragt seien.

Obwohl der Start ins Jahr 2021 bedingt durch die geringere Zahl von Transaktionen und einer sinkenden durchschnittlichen Transaktionsgröße bescheiden ausgefallen ist, so bleibt die Angebotsknappheit auf dem deutschen Markt dennoch ein zentrales Thema, wie auch Jan DirkPoppinga, Co-Head of Retail Investment bei CBRE in Deutschland, unterstreicht: „Gerade bei diesen besonders gefragten Handelsimmobilientypen sowie bei absoluten Core-Objekten sehen wir aktuell einen Mangel an adäquaten Produkten.“

Spitzenrenditen entwickeln sich in entgegengesetzte Richtungen

Diese Heterogenität des Handelsimmobilienmarkts lässt sich auch an den Spitzenrenditen ablesen. So registrierte Sebastian Gerhardt, Senior Director Valuation Advisory Services bei CBRE im ersten Quartal eine spürbare Bewegung. Bei Lebensmittelmärkten sanken die Spitzenrenditen von 5,20% im Vorjahr auf 4,80% Ende 2020 und auf 4,50% zum Ende des ersten Quartals 2021. Dabei ermittelte JLL für Supermärkte und Discounter einen Rückgang um zehn Basispunkte auf 3,9% resp. 4,5%. Krechky geht davon aus, dass sich der Trend bei Supermärkten erst umkehrt, wenn die Renditen das Niveau von Logistikimmobilien erreichen. Bei Baumärkten ging der Wert in dem Zeitraum von 5,20% auf 4,80% zurück. Dagegen blieben die Spitzenrendite von Fachmarktzentren laut CBRE stabil bei 4,15%, während BNPPRE sie bei Top-Objekten bei 3,9% sieht und einzelne Fachmärkte bei 4,7%.

In die andere Richtung entwickelten sich die Risikoprämien bei Shopping-Centern und Geschäftshäusern in den Top-Lagen der Großstädte, die laut CBRE seit dem ersten Quartal 2020 im Schnitt der Top 7-Städte um 18 Basispunkte auf 3,30% gestiegen sind, Savills beziffert den Wert mit 3,0%. Dabei sieht BNPPRE die Risikoprämine in der Bandbreite von 2,80% in Berlin und München und 3,30% in Köln. Die Spitzenrenditen von Shopping-Centern legten in diesem Zeitraum laut CBRE sogar um 85 Basispunkte auf 5,10% an A-Standorten und von 6,10% an B-Standorten zu. Laut Poppinga hat sich der Anstieg der Spitzenrenditen sowohl bei 1A-Objekten als auch bei Shopping-Centern zuletzt jedoch verlangsamt.

Beim Blick auf das Gesamtjahr konstatiert BNPPRE-Geschäftsführer Scharf, dass die Marktbedingungen für Retail-Investments außerhalb der Fachmarkt- bzw. Lebensmittelsparte „als äußerst schwierig zu bewerten sind“. Anlass zur Hoffnung geben für ihn viele kleinere Transaktionen, denen im Jahresverlauf auch wieder größere Investments folgen könnten, soweit Angebot und Corona-Krise das zuließen. Poppinga geht davon aus, dass das Transaktionsvolumen 2021 von einer Kombination aus „Produktmangel“ und einem – jedenfalls in einigen Segmenten – „pandemiebedingten Abwarten“ der Investoren geprägt sein werde.

Für Impulse könnte auch der Trend zu Mixed-Use-Objekten mit Handel und Wohnen oder zu Quartieren mit verschiedenen Nutzungen sorgen. „Insgesamt gehen wir davon aus, dass die Dynamik am Einzelhandelsinvestmentmarkt nach dem schwachen Jahresauftakt noch zunehmen wird, zumal sich einige größere und attraktive Pakete im Markt befinden“, so Poppinga. Das sieht Hoenig-Ohnsorg ähnlich: Großportfolien vor allem im Fachmarktbereich mit Lebensmittelschwerpunkt, die derzeit im Markt sind, aber auch Mischportfolien mit Einzelhandelsanteilen könnten das Transaktionsvolumen bis zum Jahresende noch in die Nähe von 10 Mrd. Euro bringen, wie es die Jahre 2016 und 2018 mit ähnlichem Jahresauftakt gezeigt hätten.