Immobilienkonjunktur Die Lage spitzt sich zu

Mischnutzung bietet im Handel noch Potenzial

Cannes muss bis Juni auf die Mipim-Besucher warten. Foto: Reed Midem

rv DÜSSELDORF. Noch Mitte Februar, etwa drei Wochen vor dem geplanten Start der Immobilienmesse Mipim in Cannes, konstatierte der Leiter der Deutsche-Hypo-Geschäftsstelle Hamburg, Thomas Hansen, mit Blick auf den jüngsten Immobilienkonjunktur-Index Reecox, dass es derzeit keine Anzeichen dafür gibt, dass sich der Markt dreht. „Vielmehr ist weiterhin Euphorie zu verspüren, wobei die Marktteilnehmer den Exit durchaus immer im Blick behalten, um Gewinne zeitnah zu realisieren. Denn niemand kann sagen, wie der Markt in zwei oder drei Jahren aussieht.“

Nur eine Woche später war Aschermittwoch und die Bilanz für die unbeschwerten Karnevalstage am Rhein machte schlagartig klar, dass sich das Coronavirus zunächst in Nordrhein-Westfalen und inzwischen auch in ganz Deutschland kontinuierlich ausbreitet. Was die Unsicherheit verstärkt, ist, dass nicht klar ist, wie sich der fragliche Patient aus dem Kreis Heinsberg in NRW mit dem Virus infiziert hat. So, wie auch in Italien unklar ist, wie sich der erste Patient, mit dem die Epidemie dort begann, angesteckt hat. Verstärkt wird das Problem hierzulande durch die Engpässe bei Desinfektionsmitteln und medizinischer Schutzkleidung.

Nach einem fast schon „euphorischen Start“ im Januar 2020 wurde beim Index des Immobilienklimas im Februar bereits eine leichte Eintrübung registriert, Anzeichen für ein „Ende des Wachstums“ auf dem Immobilienmarkt aber noch nicht gesehen. Eine Trendumkehr sei weiterhin nicht in Sicht, konstatierte Sabine Barthauer, Vorstand der Deutschen Hypo. Im März präsentiert sich die Lage schon kritischer. Der moderate Rückgang aus dem Vormonat mit nur - 1,3% hat sich verfestigt und der Index des Immobilienklimas ging mit 3,8% deutlich stärker zurück.

Mit Blick auf die geopolitischen Spannungen – Stichwort: Flüchtlingskrise, Syrien-Krieg -, den Strukturwandel in der Automobilindustrie und zuletzt die Unsicherheiten durch das Coronavirus ist es aus Sicht von Sabine Barthauer offen, ob sich die Hoffnungen der Bundesregierung erfüllen werden, dass die Schwächephase der deutschen Wirtschaft 2020 überwunden werden kann. Auch die Kursverluste an den Börsen belegen die wachsende Unsicherheit. Und dass Zinssenkungen – zumal, wenn sie als unerwartete Sondermaßnahme außerhalb der regulären Notenbank-Sitzungen erfolgen, wie bei der US-Notenbank Federal Reserve am 3. März – kein Allheilmittel sind, zeigte die Reaktion des Dow Jones, der trotzdem stark eingebrochen ist, weil die Anleger die Intervention der Institution als Hinweis auf eine ernste Krisenlage interpretiert haben.

Gleichwohl weist Deutsche-Hypo-Vorstand Barthauer zunächst einmal darauf hin, dass die Auftragseingänge im deutschen Baugewerbe positiv zu bewerten sind und der Markt auch 2020 wieder mit einem hohen Transaktionsvolumen rechnet: „Ob diese Annahme substanziell zu relativieren ist, hängt maßgeblich davon ab, wie lange die Zeit der Unsicherheit andauert“, fürchtet sie. Was das Coronavirus anbelangt, stehen Deutschland und Westeuropa erst am Anfang der Entwicklung. Ausgefallene oder verschobene Messen und tausende abgesagte Flüge werfen ihre Schatten voraus.

Die Europäische Zentralbank (EZB)hat bereits angekündigt, dass sie gegebenenfalls eingreifen wird, wenn sich die Epidemie negativ auf die Finanzmärkte auswirken sollte. Vorstellbar wäre, dass die Zentralbank dem Bankensektor Kredite gewährt, wenn das Kreditgeschäft zum Erliegen kommt. Darüber hinaus hat auch die EZB entschieden, alle nicht essenziell wichtigen Reisen ihres Executive Boards und des Mitarbeiterstabs sowie Presse-Konferenzen bis zum 20. April auszusetzen. Ausgenommen sind Pressekonferenzen, die die Geldpolitik der EZB betreffen, wie die am 12. März.

Die internationale Immobilienbranche blickt derweil in den Juni, denn auf die Zeit vom 2. bis 5. wurde die Mipim 2020 verschoben. Ob die Lage bis dahin klarer ist, bleibt abzuwarten. Bislang können die Länder Europas nur darauf setzen, die Ansteckungsketten durch Quarantänen zu unterbrechen. Dass die Ursache für die Ansteckung mit dem Virus in einigen Fällen nicht nachvollzogen werden kann, erhöht die Unsicherheit. Und bis eine Schutzimpfung vorliegt, könnten aus Sicht von Experten etwa eineinhalb Jahre vergehen.

Unter den Anlageklassen schlagen sich die Folgen der Epidemie vor allem im Hotelsegment nieder. Das Hotelklima sank im März um 10,5% auf 100,5 Punkte. Das Handelsklima, das bedingt durch den vom wachsenden Online-Handel ausgelösten Strukturwandel schon vor geraumer Zeit die 100-Punkte-Marke nach unten durchbrochen hat, gab im März erneut um 5,8% auf 65,8 Punkte nach. Darin spiegelt sich freilich nicht die Tatsache wider, dass der deutsche Lebensmittelhandel und mit ihm die Lebensmittelmärkte, Nahversorgungszentren und Fachmarktzentren mit starkem Lebensmittelangebot seit Jahren einen Aufschwung erleben und die Nachfrage der Investoren nach diesem Segment hoch ist.

Teile des Nonfood-Einzelhandels stecken dagegen seit Jahren im Strukturwandel und in der Konsolidierungsphase, die etwa im Modehandel, der noch vor wenigen Jahren stark expandierte, mit Filialnetzverkleinerungen, der Suche nach dem richtigen stationären Konzept und dem Aufbau eines Online-Vertriebs einhergehen. Die Elektrofachmärkte planen Flächenverkleinerungen, weil sie das Online-Geschäft ausgebaut haben, während der Buchhandel, der als erster vom Internet-Riesen Amazon angegriffen wurde, seine Konsolidierungsphase abgeschlossen hat. Auch hier waren Flächen- und Filialnetzverkleinerungen ein Thema.

Handel reduziert die Fläche auf ein gesundes Maß

„Der Handel reduziert seine Flächen wieder auf ein gesundes Normalmaß“, umschreibt der Immobiliendienstleister JLL den aktuellen Prozess und betont, dass von einer Krise des stationären Einzelhandels keine Rede sein könne. Schon vor Jahrzehnten beklagten namhafte Handelsunternehmen mit Blick auf den ungehemmten Bau von Einzelhandelsflächen, dass es zu viel Verkaufsfläche gebe. Mit 1,45 qm Verkaufsfläche pro Kopf liegt Deutschland im europäischen Spitzenfeld und noch vor Großbritannien, Frankreich und Italien.

„Die Einzelhandelsfläche in Deutschland hat seit den 1980er-Jahren unter dem Eindruck großer Reallohnzuwächse enorm zugenommen“, erinnert sich Dirk Wichner, Head of Retail Leasing bei JLL Germany. „Jede Fläche, die frei wurde, war sofort absorbiert. Nun sehen wir, dass die Toplagen kleiner werden und die Anzahl der bespielten Stockwerke reduziert wird.“ Vor allem Flächen, die über mehrere Etagen gehen, sind meist nicht mehr komplett vermietbar. Das drückt die Mieten.

So rechnet JLL für eine Top-Lage in der Münchener City vor, dass sich die Miete von 360 Euro je qm und Monat im Erdgeschoss, im ersten Obergeschoss schon auf 150 Euro mindern und in der zweiten Etage auf 15 Euro sinken kann. Laut Fritz Maier-Hartmann, Senior Team Leader Office Leasing bei JLL in München, sind gleichzeitig die Bürospitzenmieten auf Grund der hohen Nachfrage bei geringem Angebot  in solchen Top-Lagen auf über 40 Euro je qm gestiegen – Tendenz steigend.

Die Antwort auf diesen Wandel sind Mischobjekte. Kurz gesagt: die Umwandlung von Handelsflächen etwa in Büroflächen, die in den Cities von Top-Städten wie München gesucht sind. Auch Julian Nasiri, Team Leader Retail Investment bei JLL München sieht Chancen. „Viele sehen im Rückgang der Flächennachfrage und Zugeständnissen bei der Miete einen Nachteil für die Einzelhandelsimmobilie, Investoren fokussieren sich stärker auf andere Assetklassen“, bedauert er: Damit würden sie aber ausblenden, wie viel Potenzial in den Gebäuden liege, wenn man einen vertikalen Nutzungsmix erwäge. Dies gilt umso mehr, als Mischobjekte auch bei den Investoren unter dem Aspekt der Diversifizierung auf wachsendes Interesse stoßen.

Laut Nasiri werden im Exit-Szenario für die in den Top-Lagen der Metropolen gefragten Büroflächen „deutlich höhere Faktoren bezahlt“. Das führt dazu, dass diese  Mischobjekte auch deutlich an Kapitalwert gewinnen können: „Das geringere Klumpenrisiko durch den besseren Asset-Klassen-Mix und ein schnellerer Zugriff auf Upside-Potenziale der Büromieten durch kürzere Mietvertragslaufzeiten machen diese Immobilien auch für institutionelle Investoren interessant“, so der Experte. „In Deutschlands Topeinkaufsstraßen schlummert ein großes Potenzial, das bislang kaum gehoben wird.“