Gipfeltreffen der Stadtlabore

Man muss als Kommune heute vom Rücksitz ans Steuer kommen

Nürnberg setzt auf Ressortübergreifende Zusammenarbeit. Foto: Comfort

Leerstand in den Einkaufsstraßen wird für immer mehr deutsche Städte zum Problem. Bei ihrem jüngsten Gipfeltreffen hat die Initiative „Stadtlabore für Deutschland: Leerstand und Ansiedlung“, die mit IFH Köln und 14 Modellstädten unterschiedlicher Größe eine digitale Plattform für proaktives Ansiedlungsmanagement aufbaut, ihre Erfahrungen ausgetauscht und über Problemlösungen diskutiert. Das Leitmotiv: Gemeinsame Lösungen sind notwendig.

Jahrzehntelang beschränkte sich Stadtentwicklungspolitik in vielen Kommunen mehr oder weniger darauf, die Ansiedlung des großflächigen (Lebensmittel)Handels auf der grünen Wiese zu verhindern. Die lange Zeit florierenden Innenstädte waren vielfach ihren Akteuren – Einzelhandel und Immobilieneigentümern – überlassen. Die Kommunen „fuhren“ nur auf dem Rücksitz mit. Das Resultat waren stetig steigende Mieten und zu viel Gleichförmigkeit.

Mit dem gravierenden Strukturwandel durch die Online-Konkurrenz und der verstärkenden Wirkung durch die Zwangsschließungen des City-Handels zur Pandemie-Bekämpfung wird inzwischen Leerstand zum unübersehbaren Problem – nicht zuletzt, weil viele Unternehmen durch Schutzschirmverfahren oder Insolvenzen in Eigenverwaltung während der Pandemie ihr Filialnetz bereinigt haben. Spektakulärstes Beispiel ist Galeria Karstadt Kaufhof. Da vielfach auch die Frequenz gesunken ist, fürchten Städte und Gemeinden um die Attraktivität ihrer Stadtzentren.

In diesem Kontext registrierte die Hansestadt Bremen nach den Worten von Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt schon vor einigen Jahren zu viel Leerstand in den wichtigen Erdgeschossen und zu viel Eintönigkeit in ihren Einkaufslagen und steuerte aktiv gegen. „Man muss als Kommune vom Rücksitz ans Steuer kommen“, umschrieb denn auch Jürgen Knoth von der Wirtschaftsförderung Bochum, den Weg, den die Städte und Gemeinden heute gehen müssen, wenn sie im Dialog mit den innerstädtischen Akteuren wie Einzelhandel, Immobilieneigentümern, Vertretern von Kunst und Kultur Konzepte entwickeln wollen, um die Städte wieder attraktiv für die Besucher zu machen.

„Alle haben die gleichen Probleme“, so Knoth über die schrumpfende Attraktivität der Innenstädte: „Deshalb sind auch gemeinsame Lösungen notwendig.“ Vor diesem Hintergrund diskutierten Oberbürgermeister und einige Vertreter von Modellstädten beim „Gipfeltreffen der Stadtlabore für Deutschland“ unter dem Motto „Leerstand auflösen, Standorte gestalten“ über ihre Erfahrungen und zogen Bilanz über das bisher Erreichte.

Konkret befasst sich die Initiative „Stadtlabore für Deutschland: Leerstand und Ansiedlung“ mit dem Ansiedlungsmanagement für die vielfältige Stadt. Dabei bauen das IFH Köln und 14 Modellstädte unterschiedlicher Größe eine digitale Plattform für proaktives Ansiedlungsmanagement in Innenstädten und schaffen Standards für den Trialog von Kommune, Immobilienwirtschaft und Anbieterseite. Ziel ist es, Leerstand digital zu erfassen und mit Immobilieneigentümern sowie potenziellen Mietern ins Gespräch zu kommen. Gefördert werden die Stadtlabore auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Ohne die Immobilieneigentümer geht es nicht

Dabei beklagte Unternehmerin Verena Pausder in ihrer Keynote, dass es in Deutschland zu viel Datenschutz gibt und die vorliegenden Daten zu wenig genutzt würden. Etwa 85% der vorhandenen Daten blieben ungenutzt. Deshalb stellte sie die Frage in den Raum: „Was ist alles möglich, wenn wir all das nutzen, was wir jetzt schon wissen?“ Und sie appellierte mit Blick auf die Neigung der Deutschen, immer nach der perfekten Lösung zu suchen, an die etwa 600 Zuhörer der Online-Veranstaltung, dass man sich bei neuen Projekten auch trauen müsse, Fehler zu machen. Und: „Man muss auch die Bereitschaft zum Handeln haben.“

Deutlich wurde bei den verschiedenen Diskussionsrunden, wie wichtige im Rahmen der Labore für Deutschland der Dialog mit den unterschiedlichen Marktakteuren ist und wie wichtig der Austausch der 14 Modellstädte über ihre Eindrücke und Erfahrungen untereinander. Darauf wies auch der Oberbürgermeister von Mönchengladbach, Felix Heinrichs, hin. Und Senatorin Vogt aus Bremen betonte, dass die Vernetzung beim Thema Innenstadtentwicklung extrem wichtig ist. Erfreulich ist zudem, dass die Hansestadt Bremen durch die Beteiligung an dem Projekt Stadtlabore ihre schon vor Jahren angestoßene Initiative zur Aufwertung der Innenstadtlagen weiter vertiefen kann.

Bei der Belebung der innerstädtischen Lagen ist es den Oberbürgermeistern aber auch wichtig, über den Tellerrand – bzw. über den reinen Einzelhandel – hinaus zu schauen und sich zu fragen: Was braucht eine Innenstadt heute, wie der Oberbürgermeister von Saarbrücken, Uwe Conradt, feststellt. Neben Einkaufen gehören dazu aus seiner Sicht Essen gehen, also Restaurants und Cafés, Theater und Kinos und vieles mehr, damit die Frequenz wieder steigt.

Die Ausweitung des Nutzermix geht aber nicht ohne die Immobilieneigentümer, die auch bereit sein müssen, neue Nutzungsarten zu akzeptieren. Immerhin zahlt der innerstädtische Einzelhandel unter allen Nutzungsarten mit Abstand die höchsten Mieten. Mit dem zunehmenden Leerstand erhöht sich bei den Eigentümern nun allerdings der Leidensdruck, auch andere Nutzer ins Auge zu fassen.

Auch die Bewohner müssen mitgenommen werden

Viele Immobilieneigentümer sind sich nach Feststellung von Maria Bohne, die als Vertreterin der Wirtschafsförderung die Modellstadt Nürnberg repräsentierte, ihrer Verantwortung für die Gestaltung der Innenstädte nicht bewusst. Deshalb ist aus ihrer Sicht der Dialog im Rahmen der Stadtlabore so wichtig. Und da in der Innenstadt alles vertreten sein muss, was zum Leben gehört, setzt die Stadt Nürnberg unter dem Motto „Stadt geht auch miteinander“ auf die Ressortübergreifende Zusammenarbeit und Netzwerke der lokalen Akteure.

Auch die Stadt Lübeck hat nach den Worten von Stefan Krappa von der Wirtschaftsförderung erkannt, dass man ohne die Eigentümer nicht weiterkommt. Die besondere Bedeutung der Immobilien für die Aufwertung der Stadtzentren hat auch die Stadt Hanau im Blick und geht nach den Worten von Simon Roth vom Bauprojekt HanauGmbH noch einen Schritt weiter – nicht zuletzt auch um schädliche Spekulation zu unterbinden. Um sprichwörtlich „an den Tisch der Akteure“ zu kommen und in Dialog mit den Eigentümern zu treten, hat die Stadt bei fünf Immobilien das Vorkaufsrecht nach § 25,1 Nr. 2 Baugesetzbuch genutzt.

Das Vorkaufsrecht ist laut Roth der Schlüssel für das Projekt „Hanau aufLaden“, das Ladenflächen für frische Ideen, temporäre Stores und besondere Konzepte bietet. Hier wird Einkaufen in Hanau neu- weiter- und zusammengedacht, so lautet das Motto. Ganz wichtig ist beim Thema Stadtentwicklung nach Erfahrung von Patricia Steppudis, die beim Gipfeltreffen der Stadtlabore Erfurt repräsentierte, auch das Thema „Partizipation der Stadtbewohner“: Die Bürgerbeteiligung könnte aus ihrer Sicht der Schlüssel sein für eine gemischte und resiliente Innenstadt, wobei es nach ihren Worten aber ganz wichtig ist, ein Zielbild zu formulieren: „Die Leute lieben dieses Projekt“, so ihr klares Resümee.