Netzwerk Innenstadt 2023

„Machgeschichten“ für Begegnungsräume

Viel Flair in der Altstadt von Recklinghausen. Foto: Stadt Recklinghausen.

Nachdem sich das Netzwerk Innenstadt NRW im vergangenen Jahr unter dem Motto „resiliente Innenstadt“ mit der Frage befasst hat, wie Deutschlands Innenstädte krisenfester gemacht werden können – gegen Verödung und die Folgen des Klimawandels – stand die Tagung in Aachen in diesem Jahr unter dem „denglischen“ Motto „Machen is possible“ – denn die Umsetzung von Ideen ist das Ziel.

Nach den Worten von Landesbauministerin Ina Scharrenbach gibt es bei der Umgestaltung der Innenstädte weniger ein „Erkenntnisproblem“ als vielmehr ein „Umsetzungsproblem“, wie sie in ihrem Vortrag „Innenstadt machen: Perspektiven für die Zukunft“ anmerkte. Dabei geht es aus ihrer Sicht maßgeblich darum, neue Wege zu gehen, um auf dieser Basis auch neue Ideen zu entwickeln.

Nach Einschätzung von Bernadette Spinnen, Vorsitzende der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V., geht es um nicht weniger als darum, alles neu zu denken und Lösungen auf einer neuen Ebene zu erfinden. Denn am Punkt der Transformation der Innenstädte, an dem die Stadtentwicklung angelangt ist, gibt es für Lösungen keine Blaupausen. Deshalb sei es wichtig, Vorbilder zu suchen. Bei dieser Erzählung von der innerstädtischen Zukunft kommt es nach den Worten von Frauke Burgdorff,Stadtbaurätin der Stadt Aachen, darauf an, die Menschen hinter einer Idee zu finden – sprich: die Bürger mitzunehmen.

So standen bei der Tagung Innenstadt NRW 2023 des Netzwerks Innenstadt in Aachen, die vom NRW-Bauministerium unterstützt wird, nach den Worten von Moderator Tom Hegermann, viele vorbildliche „Machergeschichten“ im Mittelpunkt, die den innerstädtischen Akteuren Mut machen sollen. Wie Professorin Ulrike Mansfeld von der Hochschule Bremen in ihrem Keynote-Vortrag „Die Innenstadt – Funktionsort und Sehnsuchtsraum“ darlegte, geht es dabei um die Stadt als Begegnungsort, an den die Menschen früher kamen, um ihr Bedürfnis nach sozialen Kontakten befriedigen zu können.

Dabei sieht Professorin Mansfeld gerade die Hochschulen mit ihren vielen kreativen Studenten als wichtige Institution, um für die Gestaltung der Innenstädte als Begegnungsorte neue Konzepte zu erarbeiten. Ein Beispiel in der Hansestadt Bremen ist die Bremer Teestunde mitten in der City, die mit ihren Angeboten Made in Bremen von heimischen Produzenten für Lokal-Kolorit sorgt. Oder die Markthalle Acht, die mit ihrem Streetfood-Angebot und ihren Musikdarbietungen als Begegnungsstätte im Trend liegt.

Die Eröffnung der Markthalle hat laut Ulrike Mansfeld zudem den Vorteil, dass die Stadt Bremen so gezwungen war, auch den öffentlichen Raum im Umfeld aufzuwerten. Und die Urbanen Pioniere AAA kümmern sich um das zentrale Thema Leerstand in der Bremer City und sorgen mit ihrem umfangreichen Wissen für Zwischennutzungen. Bei solchen Projekten mit möglichst vielen Akteuren zusammenzuarbeiten, um eine breite Resonanz zu erreichen, ist nach ihren Worten zwar mühsam, aber es ist möglich.

Über den erfolgreichen Umbau und die Umnutzung der im Mai 2016 geschlossenen Karstadt-Filiale in der Altstadt von Recklinghausen berichtete Georg Gabriel, stellvertretender Fachbereichsleiter Wirtschaftsförderung, Standortmanagement und Stadtmarketing von Recklinghausen (siehe Handelsimmobilien Report Nr. 396 vom 17.5.2023 und www.hi-report.de). Die städtebauliche Idee hinter dem Projekt war die Stadtreparatur in dieser Innenstadt-Lage, indem das Gebäude von 1930 im Sinne der neuen Nutzungen umgebaut und die äußere Architektur stilgetreu aufgewertet wurde. Bevor mit dem Bau begonnen werden konnte, wurde der Standort mit Veranstaltungen und einer attraktiven Gestaltung der Schaufenster lebendig gehalten.

Dass das Gebäude als Mischobjekt mit betreutem Wohnen, Büros, Praxen, Einzelhandel im Erdgeschoss und einem Hotel wieder eine Zukunft hat, ist dem Engagement von Gerd Rainer Scholze, dem Gründer der Düsseldorfer AIP-Unternehmensgruppe, zu verdanken. Prompt kam aus dem Kreis der Zuhörer die Frage, wo man jemanden wie Gerd Rainer Scholze finden könne. Aber auch das Engagement der Stadt Recklinghausen hat das Projekt laut Gabriel gefördert. So lag die Baugenehmigung exakt ein Jahr nach der Schließung vor. Und bei dem spektakulären Kindergarten mit Spielflächen auf dem Dach, der vom Diakonischen Werk betrieben wird, fungiert die Stadt als Ankermieter, was für die Reputation des Objekts sehr wichtig war.

Wichtig ist der Blickwinkel der Bürger

Aus dem Projekt „Die gute Stube Altstadt Recklinghausen“, das sich mit der Leerstands-Bekämpfung und der Aufwertung des Quartiers unter Einbeziehung aller Marktakteure befasst, weiß Gabriel, wie wichtig die Institution eines Quartiersmanagers ist. Dass in dem Quartier zuletzt 43 Mietverträge abgeschlossen werden konnten, führt er darauf zurück, dass die Interessenten in ihm einen Ansprechpartner hatten. „Innenstädte brauchen ein aktives Management“, lautet sein Resümée, deshalb sollte eine solche Funktion auch in Zukunft finanziell unterstützt werden.

Anders waren die Anforderung bei der „Machgeschichte in Wolfsburg“ gelagert. Hier ging es nach den Worten von Josephine Stein, Leiterin Handel und Zentren bei der WMG Wolfsburg Wirtschaft und Marketing GmbH, um die Attraktivitätssteigerung der Innenstadt, die im Wesentlichen aus der Porschestraße mit den drei Teilabschnitten Nord, Mitte und Süd besteht. Viel Zeit für die Umsetzung gab es nicht. Dabei ging es im ersten Schritt darum, die Straße in einer Studie genau aus dem Blickwinkel der Menschen zu betrachten und zu erfassen, was diese sich wünschen, wie der Raum auf sie wirkt und wie sie sich in der Straße bewegen.

Im Ergebnis ging es laut Nico Albrecht, im Geschäftsbereich Grün, Abteilung Planen und Bauen der Stadt Wolfsburg, darum, mehr Qualität durch Sitz- und Ruhezonen in die Porschestraße zu bringen und mehr Anlässe wie mobile Spielangebote anzubieten, damit wieder mehr Menschen in die Innenstadt kommen. In der gut besuchten Porschestraße Süd mit ihren Kulturangeboten wurden auffällige Sitzgelegenheiten und mobile Pflanzen-Container aufgestellt, damit die Besucher einen Anlass haben, länger zu bleiben.

In der Porschestraße Mitte, der Einkaufslage von Wolfsburg, die vor allem in der Mittagspause besucht wird, wurde der Gastronomiebereich unterstützt, beispielsweise indem auch hier mehr bepflanzte Container aufgestellt wurden. Vor allem aber in der Porschestraße Nord mit dem Bahnhof und dem Zentralen Busbahnhof, der von vielen Schülern genutzt wird, wollte die Stadt mehr für die Aufenthaltsqualität tun. So wurden hier mehr Angebote für die Freizeitgestaltung der Kinde und mobile Sitzgelegenheiten aufgestellt.

Mehr Aufenthaltsqualität für die Kinder

Die Bürger konnten zwischen Mai und September 2022 via QR-Code ihre Bewertung abgeben, die laut Albrecht überwiegend positiv war. Vor allem aber: Im Bereich Busbahnhof hat sich die Zahl der Kinder, die sich hier aufhalten, verdoppelt und die Handy-Nutzung, die zuvor sehr hoch war, ging zurück. Viele kommen nun auch, um hier die Freizeit zu verbringen. Beim Blick in die Zukunft gibt Josephine Stein zu bedenken, dass bei solchen Projekten Flexibilität sehr wichtig ist, da sich alles ständig ändert.

Die Machgeschichte von Benjamin Grundzinski, Vorstand der Platzprojekt e.V. in Hannover, zeigt, wie aus dem Ideenreichtum von jungen Menschen, den richtigen Rahmenbedingungen, die sein Verein setzt, und einer Industriebrache Europas größte Skate-Anlage wurde. Auf einem Teil eines ungenutzten Grundstücks der Metro mit einem Beton-Boden hatten sich Jugendliche im Laufe der Zeit eine Skate-Bahn eingerichtet und immer weiter um- und ausgebaut. Inzwischen gehört das Areal der Stadt Hannover, die es an den Verein Platzprojekt verpachtet hat.

Laut Grundzinski ist hier ein wichtiger Begegnungs- und Sozialraum entstanden, in dem sich an manchen Tagen bis zu 5 000 Menschen einfinden. In der Innenstadt mit ihren teuren Grundstücken ließe sich eine solche Anlage aber eher nicht etablieren. Doch damit würden Innenstädte nicht zu Begegnungsräumen für alle, findet der Platzprojekt-Vorstand.

Eher unkonventionell ist auch die Machgeschichte vom Grand Hotel Cosmopolis aus Augsburg, die Lea Füller, Vorstand der GHC, vorstellte. Hier haben zunächst vier Personen das leerstehende Haus der Diakonie übernommen und das Gebäude zu einem Begegnungsort mit Hostel, Asylhotel, Café, Atelier und Kultur entwickelt, der inzwischen von der gesamten Stadtgesellschaft getragen wird. Bei dem Cosmopolis handelt es sich um ein gemeinnütziges Projekt mit gewerblichem Hostel und Café. Der hier erzielte Gewinn fließt wieder in das Projekt zurück.

Das Geheimnis der Stadtentwicklung sind laut Bernadette Spinnen die besonderen Menschen, die sich einsetzen und die Projekte voranbringen. Ohne sie funktioniert Stadtentwicklung nicht. Und mit Blick auf die Breitenwirkung und die Akzeptanz von Stadtentwicklung in der Bevölkerung geht es laut Frauke Burgdorff um die Frage, wie man so in die Menschen investiert, dass sie die Innenstadt mitgestalten möchten. Dabei ist es wichtig, Eigeninitiativen zu unterstützen.

Zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität gehört in den versiegelten Städten aber auch deren Renaturierung, etwa durch eine blau-grüne Infrastruktur und die Umsetzung des Schwammstadtprinzips, wie Ralf Engels aus dem Bereich strategische Entwässerungsplanung beim Tiefbauamt Bochum, erläuterte. Statt das Regenwasser vollständig in die Kläranlagen abzuleiten, geht es darum, so viel Wasser wie möglich über unversiegelte Flächen – wie bei einem Schwamm – aufzufangen, um über mehr Vegetation die Temperaturen zu senken. Dieser Umbau der Infrastruktur führt laut Engels in ein unbekanntes Terrain und erfordert ganz neue Denkstrukturen – und sehr viel Zeit.