rv DÜSSELDORF. Über das Thema Mangel an bezahlbarem Wohnraum wird in den Medien mit Blick auf die sozialen Probleme viel berichtet. Auch das Bundesbauministerium hat das Thema unter der Headline „drastische Beschleunigung der Genehmigungsprozesse“ ganz oben auf der Agenda, um gegen den Mangel anzubauen. Nun hat die Expo Real mit einer Studie des Pestel Instituts das Thema um die wirtschaftliche Komponente ergänzt: ohne Wohnraum kein Wachstum in Deutschland.
„Unsere Studie zeigt, dass ausreichend verfügbarer Wohnraum und funktionierende Wohnungsmärkte als Wachstumsfaktoren für die Wirtschaft stark unterschätzt werden“, bringt es Claudia Boymanns, Exhibition Director der Expo Real, bei Vorlage der Studie auf den Punkt: „Die Lösung der Wohnungsfrage ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass die Konjunktur in Deutschland wieder Fahrt aufnimmt – ohne Wohnraum wird es auch kein Wachstum geben.“ Denn junge Leute, die mangels bezahlbarem Wohnraum nicht von zu Hause ausziehen können und deshalb keine Ausbildungsstelle oder einen Ausbildungsplatz antreten können, oder Arbeitnehmer, deren Wechsel auf eine neue Stelle an der Verfügbarkeit einer bezahlbaren Wohnung scheitert, fehlen als Arbeitnehmer in einem Land, das über Arbeitskräftemangel klagt. Hinzu kommt die Umweltbelastung, weil Arbeitnehmer lange Strecken mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen, wenn sie nur im weiten Umkreis eine bezahlbare Wohnung finden. Die 15-Minuten-Stadt wird damit zur Illusion.
So kommt auch die Studie des Pestel-Instituts aus Hannover mit dem Titel „Wohnen im Lebenszyklus“, zu dem Ergebnis, dass „die Knappheit an Wohnraum (…) sich zur Wachstumsbremse der deutschen Wirtschaft entwickelt“. In der Studie wurden demnach „erstmals die aktuellen Zensusdaten zu Haushaltsgrößen, Altersgruppen und verfügbarem Einkommen miteinander verknüpft und wichtige wohnungspolitische Schlüsse gezogen“, wie die Messe München mitteilt. Und auch in den Messehallen war in der Zeit vom 6. bis 8. Oktober laut Boymanns der Wohnungsmarkt und vor allem der akute Mangel an bezahlbarem Wohnraum das zentrale Gesprächsthema. Das spiegelte sich auch im Konferenzprogramm der Messe wider.
Nach den Worten von Matthias Günther, Geschäftsführer des Pestel Instituts und Autor der Studie, können Haushalte mit niedrigem Einkommen in Defizit-Regionen, in denen die Nachfrage das Wohnangebot massiv übersteigt, faktisch nicht mehr umziehen, weil die Differenz zwischen Angebots- und Bestandsmieten ein für diese Einkommensgruppe nicht mehr bezahlbares Ausmaß angenommen habe. Dabei muss zudem bedacht werden, dass mit den ungebremst weiter steigenden Mieten die Gruppe dieser betroffenen Haushalte immer größer wird und immer tiefer in die Mittelschicht vordringt. Von Rentnern, Studenten und Auszubildenden ganz schweigen.
Diese massive Unterversorgung betrifft laut Studie auch die „dringend benötigte qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland“, die dadurch verhindert werde: „Die große Arbeitskräftelücke vieler Industrie- und Dienstleistungsbranchen kann sich dadurch nicht schließen“, stellt der Wohnungsmarktforscher fest.
Belebung des Wohnungsbaus auf breiter Front
Neben den Belastungen für den Arbeitsmarkt schafft die Mangellage auf dem Wohnungsmarkt andererseits beste Voraussetzungen für Mieterhöhungen und damit eine immer weiter steigende Mietbelastung, wodurch die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten immer weiter eingeschränkt wird. Mit Blick auf den starken Anstieg der Lebenshaltungskosten seit dem Krieg in der Ukraine mit der Beschleunigung der Inflation, wird durch massiv steigende Mieten der private Konsum als wichtige Stütze der Konjunktur zusätzlich belastet. Und das bekommt vor allem der Nonfood-Handel zu spüren, der schon unter der Pandemie gelitten hat.
Laut Expo-Real-Wohnstudie fehlen allein in Westdeutschland etwa 1,2 Mio. Wohnungen, wobei davon ausgegangen wurde, dass der Langzeitleerstand dauerhaft aus dem Markt herausfällt. Allein um die Arbeitsmobilität wieder anzukurbeln, müsste dieses Wohnraumdefizit aufgelöst werden, heißt es in der Studie weiter. Und Pestel-Geschäftsführer Günther geht davon aus, dass sich die Lage weiter zuspitzt, sodass es nicht mehr ausreiche, einzelne Segmente zu fördern. Vielmehr müsste der Wohnungsbau insgesamt stimuliert werden.
Das gilt für den sozialen Wohnungsbau genauso wie für den Wohnungsbau durch Projektentwickler und den Eigenheimbau. Der Experte plädiert für eine Belebung auf breiter Front. Ein großer Schritt könnte laut Studie gegangen werden, „wenn der Staat seine Vorteile in der Refinanzierung an den Wohnungsbau weitergeben würde, und zwar sowohl an den Mietwohnungsbau als auch an den Bau von Eigentumswohnungen“.
Denn auch die Förderung von Wohneigentum ist hierzulande mit Blick auf die ohnehin im weltweiten Vergleich sehr geringe Eigentumsquote wichtig – auch weil die Eigentumsquote seit Jahren über alle Altersgruppen hinweg weiter sinkt. Der Grund liegt in der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), wodurch der Markt angeheizt wurde und die Wohnungspreise hierzulande so stark gestiegen sind, dass sich angesichts der hohen Finanzierungskosten selbst die gut betuchte Mittelschicht kein Wohneigentum mehr leisten kann.
Die Folgen für die Vermögensverteilung sind fatal, wie Günther feststellt. Vor diesem Hintergrund soll die Wohnstudie deutlich machen, dass auch die Ungleichheit beim Thema Wohnen hierzulande immer weiter zunimmt. „Die verfügbare Wohnfläche je Einwohner war noch nie so hoch wie heute und gleichzeitig herrscht in vielen Regionen Wohnungsmangel“, heißt es.
In diesem Kontext meinen die Experten mit Blick auf die in Europa festgelegte CO2-Neutralität der europäischen Städte bis 2050, dass die energetische Sanierung zwar weiter wichtig sei, das Bauen von neuen Wohnungen aber Priorität haben müsse. Dabei könnten qualitativ ausgerichtete Förderprogramme allein das Problem nicht lösen. Im Gegenteil: Die Förderungen, die darauf abzielen, gegenüber den in Deutschland bereits sehr hohen Standards ‚noch bessere‘ Wohnungen zu bauen, sind „nicht zielführend“, wie in der Studie betont wird.
Deshalb sollte es laut Günther doch egal sein, „ob die Gebäude aus Beton, Stahl oder Holz sind – Hauptsache ist, dass die Wohnungen gebaut werden“. Andernfalls wird aus seiner Sicht das Wachstum in der Wirtschaft auf sich warten lassen. „Ein wesentlicher Bestandteil der Transformation des Gebäudesektors liegt in der Deckung des nach der Sanierung verbleibenden Energiebedarfs durch regenerative Quellen“, zählt der Experte auf: „Die Kosteneffizienz der Umstellung auf alternative Systeme der Wärmebereitstellung – zu nennen ist insbesondere die Wärmepumpe – ist weit höher als eine sehr anspruchsvolle energetische Sanierung. Die Bestandssanierung darf nicht aufgegeben werden, aber die zu erreichenden Standards hinsichtlich des Wärmebedarfs sind zu hinterfragen.“
Zur diesjährigen Expo Real kamen laut Messeveranstalter mit etwa 42 000 Teilnehmern aus 70 Ländern etwas mehr Besucher als 2024. Die 1 742 Aussteller kamen aus 34 Ländern. Experten sehen den Markt inzwischen in einer ‚Beruhigungsphase‘ und registrieren, dass das Investoreninteresse – wenn auch nur zögerlich – zurückkehrt. Der auf der Messe geführte offene Austausch über Marktbereinigung, Herausforderungen und Zukunftschancen sei hilfreich, heißt es im Expo-Real-Schlussbericht: Insgesamt sei die Branche vorsichtig zuversichtlich.



