Investmentmarkt Retail: Rekordergebnis

Licht- und Schattenseiten liegen eng beieinander

Der Lebensmittelhandel ist auf der sicheren Seite. Foto: Rewe

Das hohe Transaktionsvolumen im ersten Quartal hat dafür gesorgt, dass im Investmentmarkt für Retail Assets - trotz Corona-Krise mit all ihren Folgen für Nonfood-Händler - im ersten Halbjahr 2020 mit 6 Mrd. bis 7,4 Mrd. Euro ein Rekordergebnis erzielt wurde, das die Lage vieler Mieter aus dem Einzelhandel und der Gastronomie nicht widerspiegelt. So konnte die Anlage-Klasse ihren zweiten Platz im Gewerbeimmobilienmarkt mit 29,4 Mrd. Euro hinter Büroimmobilien verteidigen. Der Einbruch im zweiten Quartal offenbart aber, dass die Corona-Krise Wirkung zeigt.

So konstatiert Helge Scheunemann, Head of Research bei JLL Germany, dass der erste Blick auf die „nackten Zahlen“ zunächst einmal erfreulich ist und unter „normalen“ Umständen positive Schlagzeilen hervorrufen würde. Doch bei der verhaltenen Stimmung und der „enormen Diskrepanz der Transaktionsvolumina zwischen dem ersten und zweiten Quartal“ könne keine echte Freude aufkommen, so der Experte, dessen Prognose für den Gesamtmarkt zur Jahresmitte 2020 durchwachsen ausfällt.

Mit Blick auf das lebhafte Transaktionsgeschäft im ersten Quartal und namhafte Deals im zweiten konstatiert auch Matthias Leube, CEO bei Colliers International Deutschland, dass „diese Verkäufe wegen ihrer langfristigen strategischen Reichweite weniger als kurzfristige Reaktion auf die aktuellen Marktentwicklungen zu interpretieren (sind), als vielmehr auf die fortgeschrittene Hochphase im Immobilienzyklus, die mit der Pandemie eine unerwartete Wende nahm“. In diesem Kontext war nach seinen Worten der Verkauf der TLG-Einzelhandels-Objekte Folge der Bereinigung und Neuausrichtung des Portfolios. Das gilt auch für den Verkauf des SB-Warenhaus-Betreibers Real und der 80 Immobilien durch die Metro AG an die SCP Group, der schon 2019 abgeschlossen werden sollte.

Durchwachsen präsentiert sich der deutsche Immobilienmarkt im Allgemeinen und mit Retail Assets im Besonderen, weil laut Scheunemann zwar einige Verkaufsprozesse weiter bzw. wieder anlaufen und auch einige größere Transaktionen in den nächsten beiden Quartalen erfolgreich abgeschlossen werden könnten, doch behindere das nach wie vor lahme Reisegeschäft das Fortführen oder den Abschluss mancher Transaktionen, so banal das auch klingen möge: „Solange die Einreisebeschränkungen aus bestimmten Herkunftsländern aufrecht erhalten bleiben, solange werden auch die Transaktionsaktivitäten nur eingeschränkt und überwiegend national funktionieren.“ Der Anteil der Ausländer am Transaktionsvolumen im Gewerbeimmobilienmarkt lag laut BNP Paribas Real Estate im ersten Halbjahr 2020 auch nur bei 41%.

Dass speziell bei Handelsimmobilien Licht und Schatten eng beieinander liegen – noch verstärkt durch die Covid-19-Pandemie – zeigt auch der Blick auf das Transaktionsvolumen, das von den Immobiliendienstleistern im ersten Halbjahr 2020 mit 6,01 Mrd. Euro (JLL), 6,5 Mrd. Euro (Colliers International), 6,9 Mrd. Euro (CBRE), 7,1 Mrd. Euro (BNP Paribas Real Estate) und 7,4 Mrd. Euro (Savills) beziffert wird – bei etwa 2,3 Mrd. Euro im zweiten Quartal. So entfiel auf Fachmärkte und Fachmarktzentren mit hohem Food-Anteil sowie Supermärkten und Lebensmittel-Discountern, denen die Online-Konkurrenz hierzulande bislang nicht zu schaffen macht, mit weit über 50% Anteil oder deutlich über 4 Mrd. Euro der höchste Anteil.

Verstärkt wurde die Fokussierung auf Handelsimmobilien mit Schwerpunkt „Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs“ durch die Tatsache, dass der Lebensmitteleinzelhandel (inkl. Drogerien) während des Shutdowns weiter verkaufen durfte, während der unter Konkurrenzdruck durch das Internet stehende Nonfood-Handel, bis auf Baumärkte und Garten-Center in einigen Bundesländern – schließen musste und erst langsam wieder in Schwung kommt. Deshalb stehen Fachmärkte und Fachmarktzentren mit hohem Lebensmittel-Anteil sowie Supermärkte laut BNPPRE weiterhin ganz oben auf der Einkaufsliste der Investoren.

Geschäft mit Shopping-Centern bleibt schwierig

Das sieht Dirk Hoenig-Ohnsorg, Head of Retail Investment bei Colliers International auch so: „Nahversorger gelten unter den Investoren seit Beginn der Corona-Krise mehr denn je als Gewinner des disruptiven, von der Digitalisierung getriebenen Strukturwandels.“ Deshalb geht der Experte davon aus, dass sich dieser Trend mit dem wiederkehrenden Neugeschäft nach dem Ende des Lockdowns im Markt eher noch verfestigen wird. Diese starke Nachfrage nach Fachmarkt-geprägten Objekten wie Fachmarktzentren, Nahversorgungszentren und Baumärkten hat nach Beobachtung von Jan Dirk Poppinga Co-Head of Retail Investment bei CBRE in Deutschland, auch dazu geführt, dass die Ankaufsrenditen für erstklassige Objekte bislang auf ihrem historischen „Niedrigstand“ von etwa 4,1% geblieben sind.

Auf dem zweiten Platz finden sich Geschäftshäuser und Einzelhandelsobjekte in 1A-Lagen, wozu Colliers International auch innerstädtische Warenhäuser zählt. Das Volumen dieser Anlage-Klasse lag bei etwa 2,5 Mrd. Euro. Auf Warenhäuser alleine entfielen im ersten Halbjahr 2020 laut Savills 1,7 Mrd. Euro. Erst auf dem dritten Platz finden sich Shopping-Center, wobei CBRE das Transaktionsvolumen mit 585 Mio. Euro und Colliers International mit 780 Mio. Euro beziffert. Viele Objekte seien erst nach sehr gründlichen und derzeit langwierigen Prüfungen und umfangreichen Repositionierungen zu vermitteln, berichtet Hoenig-Ohnsorg.

Da es jenseits des Lebensmitteleinzelhandels auf Grund der behördlich angeordneten Schließungen bei den betroffenen Nonfood-Einzelhändlern zu erheblichen Umsatzausfällen kam und in der Folge die notwendigen Mietstundungen die Liquidität der Eigentümer erheblich einschränkte, wie Jörg Krechky, Director und Head of Retail Investment Services Germany bei Savills, berichtet, habe sich der Druck auf die Renditen zuletzt erhöht. Deshalb geht er bei Shopping-Center von einem Anstieg um 70 Basispunkte auf 5,0% aus, räumt aber auch ein, dass eine konkrete Bestätigung in Form von Transaktionen noch nicht vorliege.

Gleichwohl zeichnet ein Anstieg in dieser Größenordnung aus seiner Sicht ein realistisches Bild vom aktuellen Risikoprofil dieser Anlageklasse mit Blick auf die Mietausfallwahrscheinlichkeit in Zeiten der Corona-Krise. Immerhin befindet sich ein Teil der Mieter etwa aus dem Bekleidungseinzelhandel in Schutzschirm- und Insolvenzverfahren. Bei Einkaufszentren in B-Lagen sieht Krechky die Spitzenrendite sogar bei 7%. Gleichwohl gibt BNPPRE zu bedenken, dass auf Grund fehlender Transaktionen vom Markt abgesicherte Spitzenrendite nicht gesichert ausgewiesen werden können.

Die Preisfindung ist derzeit nicht einfach

„Vorübergehende Mietrückstände oder gar die komplette Stundung von Mietzahlungen beeinträchtigen die Preisfindung aktuell (…) erheblich“, gibt auch Scheunemann zu bedenken. Diese Unsicherheit lähme den Markt. „Der Wert der Immobilien wird zukünftig auf jeden Fall noch viel mehr durch die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Nutzer beeinflusst, ist er überzeugt. Dabei schneiden im Segment Handelsimmobilien der Lebensmittelhandel und die Betreiber von Drogerie-Märkten (Nahversorger) aus seiner Sicht positiv ab.

Colliers-CEO Leube erwartet Risikoadjustierte Preisabschläge je nach Objekt- und Lagequalität im weiteren Jahresverlauf nicht nur bei Shopping-Centern, sondern auch im Highstreet-Segment: „Dabei wird mit zunehmender Zahl der Kauffälle sichtbar werden, dass sich die schon vor Ausbruch der Krise beobachteten Renditeanstiege im Highstreet- und  Shopping-Center-Segment mit höherer Dynamik als bisher fortsetzen werden", ist er überzeugt. Bislang lagen die Spitzenrenditen in den 1A-Lagen der sieben größten Städte nach Feststellung von Colliers International in einem Korridor zwischen 2,75% in der Bayernmetropole München und 3,40% in Köln und Düsseldorf.

Zu den größten Deals jenseits der 500 Mio. Euro-Grenze gehörten in diesem Jahr der Einzelhandelsbereich aus dem TLG-Portfolio, das der Immobilieninvestor Aroundtown bereits im ersten Quartal übernommen hatte sowie der Verkauf von 80 Real-Immobilien durch Metro an die SCP Group. In einer ähnlichen Größenordnung bewegten sich laut Colliers International im zweiten Quartal auch der Verkauf eines Kaufhof-Portfolios von der RFR Holding an einen Opportunity Funds des US-amerikanischen Investors Apollo sowie von 120 lebensmittelgeankerten Einzelhandelsobjekten durch die TLG Immobilien AG. Insgesamt summieren sich die Paketverkäufe zwischen Januar und Juni 2020 auf rund 5 Mrd. Euro. Daneben gab es noch Einzel-Deals vor allem im Fachmarktbereich.

Zusammenfassend lässt sich nach den Worten von Piotr Bienkowski, CEO von BNPPRE Deutschland, festhalten, „dass sich die Situation auf Grund der Corona-Krise zwar spürbar eingetrübt hat, die Märkte aber gleichzeitig von Stillstand oder kompletten Einbrüchen weit entfernt sind. Nach den Worten von Christoph Scharf, Geschäftsführer von BNPPRE und Head of Retail Services gestaltet sich der Ausblick auf den Jahresverlauf 2020 auf Grund der Unsicherheiten aktuell jedoch schwierig. Allerdings zeigt sich nach seiner Beobachtung, dass größere Objekte, bei denen der Preis und vor allem die Lage stimmen, wieder auf mehr Interesse treffen, sodass hier leicht steigende Umsätze nicht auszuschließen sind.

Eine Jahresprognose ist aus heutiger Sicht nicht einfach

Jan Schönherr Co-Head of Retail Investment bei CBRE in Deutschland erwartet „im weiteren Jahresverlauf, dass das Transaktionsvolumen in den verschiedenen Segmenten entweder durch ein mangelndes Angebot oder eine mangelnde Nachfrage gebremst wird“. Bei Einkaufszentren gebe es kaum Verkäufer und Highstreet-Investoren würden noch abwarten, ob es nach der drei-monatigen Mietzahlungspause zu einem Anstieg der Insolvenzen bei den typischen Highstreet-Mietern kommen wird: „Die meiste Dynamik sehen wir bei kleineren und mittelgroßen Fachmarktzentren, die keinen größeren Fashion-Anteil haben,“ berichtet er.

Entscheidend für den Einzelhandelsimmobilienmarkt wird aus Sicht von Jan Linsin, Head of Research bei CBRE in Deutschland, das Konsumverhalten der Bunddesbürger und damit die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland sein. Er geht davon aus, dass die „konjunkturelle Schockstarre“ hierzulande inzwischen überwunden wurde. Sämtliche Frühindikatoren würden auf eine kräftige Erholung im Sommer hindeuten.