Studie Risikofaktor ESG

Licht und Schatten liegen eng beieinander

Nachhaltige Gebäude beeinflussen die Markenbildung positiv. Foto: GRR

rv DÜSSELDORF: Der Druck in der Immobilienbranche bei Bau, Betrieb und Investition das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht aus den Augen zu verlieren, wächst kontinuierlich. Die Sorge ist groß, dass nicht mehr zeitgemäße Immobilien aus dem Markt ausscheiden. Allerdings sind die heutigen regulatorischen Vorgaben auch mit Risiken behaftet und führen bei Verkaufsprozessen zu aufwendigen Zeitverzögerungen, wie die Untersuchung des Real Estate Brand Institutes in Zusammenarbeit mit der Hochschule Biberach und Union Investment jüngst aufzeigte.

Die Sonderstudie „Risikofaktor ESG?“, die im Frühjahr 2022 hierzulande unter Beteiligung von 117 Immobilienexperten durchgeführt wurde, befasst sich erstmals mit den Auswirkungen und Risikofaktoren bei der ESG-Implementierung auf die Reputation und Geschäftsmodelle von Immobilienunternehmen. Dabei zeigte sich, dass die regulatorischen Vorgaben für „ESG“ (Environtment, Social, Governance) für Immobilienakteure das immense Risiko der Fehlinterpretation bergen.

Bei der EU-Offenlegungsverordnung für ein nachhaltiges Finanzwesen zeigt sich, dass sie zu deutlichen Verzögerungen bei Ankaufsprozessen führt. Und Due-Diligence-Prüfungen werden laut Studie bereits heute von jedem zweiten Marktteilnehmer – gemessen an der Zeit vor der Offenlegungsverordnung – als „zeitaufwendiger eingeschätzt“.

Entsprechend fällt die Beurteilung der meisten Experten tendenziell negativ aus, wie Jan von Mallinckrodt (Bild), Head of Sustainability bei der Union Investment Real Estate GmbH, zusammenfasst.Denn die Mehrheit (knapp 60%)der befragten Experten stufendie aktuellen regulatorischen Vorgaben zur Erreichung des 1,5-Grad-Pfades in der Immobilienwirtschaft als mangelhaft ein. „Was vom Grundsatz her in der Branche eine breite Akzeptanz genießt“, so Mallinckrodt weiter, „kann auf Grund vieler noch ungelöster Fragen nicht die erforderliche Energie freisetzen“. Da der Handlungsdruck „extrem hoch“ bleibt, kann „Abwarten“ aus seiner Sicht in der aktuellen Situation freilich nicht der richtige Ansatz sein.

Neben den Risiken der Fehlinterpretation und den Folgen für das Investitionsverhalten wurden in der Studie noch weitere Schwächen identifiziert. Dazu gehören der insgesamt höhere Verwaltungsaufwand, den 37% der Befragten beklagen und eine höhere Kostenbelastung, die von 30% der Befragten kritisiert wird – beides zentrale Hemmnisse für eine konsequente ESG-Implementierung in den Unternehmen. Die Studie liefert aber auch Lösungen, für solche Probleme. So könne die Antwort auf die steigenden Kosten in verbesserten und digitalisierten Prozessen bestehen, „die zu Effizienzsteigerungen im Ankauf- und Bestandsmanagement führen“, heißt es.

Ein weiteres großes Handlungsfeld, das bei der Implementierung der ESG-Kriterien in die Unternehmen gelöst werden muss, ist die organisatorische Aufhängung des Themas: „Derzeit ist die Verantwortung in den Immobilienunternehmen für die organisatorische Implementierung breit über ESG-Abteilung, diverse Arbeitsgruppen, externe Fachberater und Geschäftsführung bzw. Vorstand verteilt“, heißt es dazu. Doch die Dringlichkeit des Themas dürfte ESG vermehrt zur Chefsache machen. Jedenfalls sieht das Gros der Experten (60%) die Implementierung von ESG als zentrale Steuerungsaufgabe des Top-Managements.

Die ungeklärten Probleme müssen gelöst werden

Dass diese ungeklärten Problemfelder gelöst werden müssen, zeigt schon die große Bedeutung, die das Thema grundsätzlich für Immobilienmarkt und Unternehmen hat, wie Harald Steiner, CEO des European Real Estate Brand Institute, hervorhebt: „Im Ergebnis unserer empirischen Marktbetrachtungen ist ESG seit diesem Jahr der stärkste Treiber mit dem größten Einfluss auf die Positionierung und Reputation von Unternehmensmarken.“ Das Thema bleibt aus seiner Sicht damit der zentrale Schlüssel für die Branche.

Zumal 29% der Befragten in der konsequenten Umsetzung der ESG-Kriterien für die betreffenden Unternehmen die Chance sehen, sich gegenüber dem Wettbewerb zu positionieren. Auch erwarten die Experten bessere Finanzierungsbedingungen für ESG-konforme Objekte (17%) und eine höheren Zufriedenheit bei den Mitarbeitern (14%). So findet es Mallinckrodt erfreulich, dass das Thema ESG in Verbindung mit wirtschaftlichen Ertragspotenzialen gesehen wird – auch wenn die Entwicklung erst am Anfang steht. „Das entspricht unserer Erwartung, dass sich Nachhaltigkeit in zunehmendem Maße in der Immobilienbewertung wiederspiegeln wird“, so der Nachhaltigkeitsexperte.

Bei aller Kritik an den regulatorischen Vorgaben konzediert die Studie dem Thema „ESG“ – unter der Vielzahl der aktuellen Themen in der Immobilienwirtschaft – das größte Potenzial, „zum Schlüssel für künftiges Wachstum zu werden“. Dabei wird laut Thomas Beyerle, Professor an der Hochschule Biberach, die Lösungskompetenz der Anbieter im Bereich Beratung rund um die regulatorischen Vorgaben künftig darüber entscheiden, wie „wettbewerbs- und zukunftsfähig ein Geschäftsmodell in der Immobilienbranche ist“. Der Druck geht bei diesem Thema vor allem von Investmentpartnern und institutionellen Anlegern aus, zunehmend aber auch von der Öffentlichkeit und den Medien sowie von den eigenen Mitarbeitern.