Die Entwicklung auf dem europäischen Investmentmarkt für Retail Assets zeigt in diesem Jahr ein zwiespältiges Bild: Zum einen ist der Nonfood-Einzelhandel mit Blick auf die mehrwöchigen Zwangsschließungen in fast allen Ländern Europas das größte Opfer der Pandemie, was sich im schwachen zweiten und dritten Quartal auch auf dem Investmentmarkt widerspiegelte. Zum andern ist das Neun-Monatsergebnis auf Grund eines lebhaften Starts zu Jahresbeginn immer noch passabel. Gefragt sind europaweit vor allem Objekte mit Schwerpunkt Nahversorgung.
Wie stark die Zwangsschließungen den europäischen Einzelhandelsmarkt – jenseits des Lebensmittelhandels – belasten, zeigen folgende Schätzungen. Nach einem Umsatzwachstum von 2,7% im Gesamtjahr 2019 erwarteten die Experten zur Jahresmitte für 2020 einen Umsatzrückgang von europaweit durchschnittlich -6%, wie der Immobiliendienstleister BNP Paribas Real Estate (BNPPRE) in seinem Marktbericht „European Retail Market“ für das erste Halbjahr 2020 berichtet. Die Erholung des Konsums in den Sommermonaten und der geplante Aufbaufonds der Europäischen Union sorgten in der Branche immerhin für einen Lichtblick. Wie stark die zweite Infektionswelle im Herbst und weitere Lockdowns in vielen Ländern für eine weitere Eintrübung sorgen, werden die nächsten Wochen zeigen.
Für 2021 rechnen die Experten mit einer Erholung der Geschäftsentwicklung und einem Umsatzwachstum von 6%, so dass der Abschwung - zumindest im Durchschnitt betrachtet - wieder ausgeglichen werden könnte. Allerdings ist kaum davon auszugehen, dass sich alle Länder gleichmäßig entwickeln werden. Während Deutschland als Speerspitze gesehen wird, dürften die stark betroffenen Länder Spanien und Italien laut Studie stark zu kämpfen haben, um beim privaten Konsum wieder das Niveau von 2019 zu erreichen.
Dabei wird auch auf europäischer Ebene die Digitalisierung des stationären Einzelhandels Spiel-entscheidend sein. Denn nach vorläufigen Schätzungen der eCommerce Foundation wird der Online-Handel europaweit 2020 um 13% wachsen, wobei die Zuwachsrate vor allem in den Ländern Süd- und Osteuropas mit einer Rate von 20% überdurchschnittlich ausfallen soll. Die Implementierung der 5G-Technologie könnte das Tempo in den nächsten fünf Jahren nochmals beschleunigen. In diesem Umfeld bietet der Aufbau einer Omnichannel-Strategie für den stationären Einzelhandel den besten Weg, vom wachsenden Online-Handel zu profitieren, konstatiert BNPPRE in seinem Bericht.
Der erste Shutdown, der in den Ländern Europas vor allem in die Monate März bis Mai/Juni fiel, wirkte sich im zweiten Quartal auch auf die Entwicklung im Investmentmarkt für Retail Assets aus. Mit einem Volumen von 6,4 Mrd. Euro lag der Wert laut BNPPRE im Jahresvergleich um 37% unter dem Vorjahresniveau. Der Immobilienberater JLL ermittelte für den Zeitraum sogar nur einen Wert von 4,7 Mrd. Euro, was einem Rückgang der Investitionen um 40% im Vergleich zum zweiten Quartal 2019 entspricht. Für das dritte Quartal ermittelte BNPPRE ein Volumen von 7,7 Mrd. Euro (-28%).
Ein scharfer Einbruch im zweiten Quartal
Dass sich das Volumen in den ersten neun Monaten 2020 laut BNPPRE auf 27 Mrd. Euro summierte und damit das Transaktionsvolumen den Vorjahreswert nur um 2% unterbot, lag allein am lebhaften Start im ersten Quartal mit einem Plus von 75% gegenüber dem ersten Quartal 2019. Hier wirkte sich vor allem auch der ungewohnt lebhafte Jahresstart in Deutschland aus. JLL errechnete ein Gesamtvolumen von 12,7 Mrd. Euro für das erste Halbjahr und bezifferte den Rückgang gegenüber dem Vorjahreszeitraum mit 16%.
Beide Immobiliendienstleister sehen aber den deutschen Markt in Europa auf dem ersten Platz. So berichtet JLL, dass Deutschland mit 1,93 Mrd. Euro im zweiten Quartal der stärkste Markt war, wenn man die Transaktionen mit mehr als 5 Mio. Euro Volumen zusammenrechnet. Andere Immobiliendienstleister kommen hier auf etwa 2,3 Mrd. Euro. Auf den weiteren Plätzen folgen Frankreich mit 1,35 Mrd. Euro (BNPPRE: 1,4 Mrd. Euro) und Großbritannien mit 530 Mio. Euro. Frankreich verzeichnete laut BNPPRE trotz Lockdown im zweiten Quartal ein Plus von 19%.
Dagegen setzt sich der Abwärtstrend der vergangenen Jahre in Großbritannien fort und wurde durch den Shutdown weiter beschleunigt. Das Transaktionsvolumen verringerte sich im zweiten Quartal um 67%. Der Einzelhandel stehe vor herausfordernden Zeiten, wodurch viele Einzelhändler wie Marks & Spencer, John Lewis und Harrods gezwungen seien, die Kosten zu senken.
Noch deutlicher fällt der Abstand zwischen Deutschland und den übrigen Ländern aus, wenn man auf die Neunmonatszahlen blickt. Hier ermittelt BNP Paribas Real Estate für Deutschland ein Transaktionsvolumen von 9,6 Mrd. Euro – nach einem lebhaften Start im ersten Quartal mit einem Volumen von 4,86 Mrd. Euro. Auf dem zweiten Platz folgt Frankreich mit 3,0 Mrd. vor Großbritannien mit 2,9 Mrd. Euro. Es folgen auf den weiteren Plätzen Spanien mit 1,4 Mrd. Euro, die Niederlande und Schweden mit 1,2 Mrd. Euro, Italien mit 1,0 Mrd. Euro, Finnland mit 0,7 Mrd. Euro und Polen mit 0,5 Mrd. Euro.
Auch auf dem gesamten europäischen Gewerbeimmobilienmarkt war nach einem lebhaften Wachstum im ersten Quartal laut BNPPRE mit dem Shutdown ab März in vielen Ländern ein scharfer Einbruch zu verzeichnen, so dass das Transaktionsvolumen in den ersten neun Monaten um 15% unter dem Vorjahresniveau lag. In den vergangenen zwölf Monaten – also von Anfang Oktober 2019 bis Ende September 2020 – wurde ein Transaktionsvolumen von insgesamt 261 Mrd. Euro erzielt, vor allem angetrieben vom Logistik-Bereich, der allein im ersten Halbjahr um 10% zulegte. Das Investitionsvolumen im Markt für Handelsimmobilien lag in diesem Zeitraum bei 44 Mrd. Euro (2018/19: 42 Mrd. Euro).
In diesem Umfeld registrierte der Immobiliendienstleister, dass die Spitzenrenditen für High-Street-Immobilien zwischen dem ersten und dem dritten Quartal weiter gestiegen sind und in Spanien im Schnitt bei 3,75% liegen, in Großbritannien bei 3,50%, in Italien bei 3,4% und in Frankreich bei 3,0%. Für Deutschland werden trotz der unsicheren Lage zunächst gleichbleibende Renditen auf einem Niveau von 2,8% ermittelt. Beim Blick in die Corona-bedingt ungewisse Zukunft gehen die Forscher davon aus, dass der High-Street-Einzelhandel mit seinen stabilen Einnahmen und der starken Frequenz aber attraktiv bleiben werde.
Spitzenrenditen bei Shopping-Centern steigen
Als ernster schätzen die Forscher die Auswirkungen der Pandemie auf B-Lagen und vor allem auf Shopping-Center ein. Derzeit würden die Spitzenrenditen für Shopping-Center in A-Lagen in allen untersuchten Ländern steigen – sprich: die Preise geben weiter nach. Am höchsten liegen die Renditen mit 7,0% inzwischen in Großbritannien, was mit Blick auf die große Skepsis britischer Investoren bei Retail Assets – mit Ausnahme von Nahversorgungsimmobilien wie Retail Parks – nicht überrascht. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Anteil des Online-Handels in Großbritannien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern besonders hoch ist.
Auch in Spanien haben die Spitzenrenditen mit durchschnittlich 5,5% inzwischen die 5%-Marke nach oben durchbrochen. Unter dieser Marke – allerdings mit steigender Tendenz - liegen die Renditen in Italien mit 4,9%, in Polen mit 4,75%, in Deutschland mit 4,5% und in Frankreich mit 4,25%. Im zweiten Quartal hatte BNP Paribas Real Estate für Deutschland noch einen Wert von relativ stabilen 4,1% ermittelt.
Besonders gefragt sind derzeit auch auf europäischer Ebene aber Fachmarktprodukte (siehe Grafik Seite 4, Quelle BNPPRE) wie etwa Supermärkte, die mit ihrem Schwerpunkt Lebensmitteleinzelhandel von der Corona-Krise eher noch profitieren, da sie die Basisversorgung der Bevölkerung sicherstellen. Laut JLL war der Anteil dieser Anlageklasse im zweiten Quartal auf 43% gestiegen. Wie Sandra Ludwig, Head of Retail Investment JLL Germany, berichtet, verbindet die „anhaltende Nachfrage nach Objekten mit Nahversorgungsanker alle Märkte in Europa. Gerade in der Pandemiephase steigen hier die Umsätze und das Segment erweist sich als ausgesprochen krisenresistent.“
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass der größte Deal im ersten Halbjahr, der Verkauf von 120 Lebensmittelmärkten durch TLG an den Investor X + Bricks auf das deutsche Fachmarkt-Segment entfällt. Andere namhafte Transaktionen waren laut JLL der Verkauf der Real-Märkte durch Metro an den Investor SCP Group für 300 Mio. Euro sowie der vereinbarte Verkauf von drei neuen lebensmitteldominierten Einzelhandelsimmobilien für 95 Mio. Euro durch die Schoofs Immobilien-Gruppe an den Fonds Greenman Open.
Fachmarktimmobilien dominieren den Transaktionsmarkt
Transaktionen mit Shopping-Centern machten auf dem europäischen Markt für Retail Assets im zweiten Quartal 35% aus und auf das Segment High Street entfielen 19%. Der Vergleich mit den Halbjahreszahlen zeigt das wachsende Interesse an Fachmarktprodukten, denn hier liegt ihr Anteil mit 40% noch unter Shopping-Centern mit 41%. High-Street-Objekte kamen auf 16%. Wie sich das Segment Retail Assets weiterentwickelt, wird maßgeblich vom Verlauf der Pandemie abhängen und der Frage, ob und für wie lange der Nonfood-Handel in den einzelnen Ländern schließen muss.
Das wird auch Auswirkungen auf die Mieten in den Top-Lagen haben. Wie BNPPRE berichtet, wurde von Mietpreisanpassungen in einigen High Streets in London, Prag, Madrid und Barcelona berichtet. Immerhin sind diese Lagen vom Luxus-Segment und damit von den internationalen Reisetouristen abhängig, die auf Grund der aktuellen Beschränkungen fehlen. In den nächsten Monaten erwartet der Immobilienberater einen steigenden Druck auf die Mieten und wachsenden Leerstand.
Gleichzeitig ist laut BNPPRE aber auch zu beobachten, dass Vermieter und Mieter aufeinander zugehen und sich über flexiblere Arrangements verständigen. Die Core-Lagen der Top-Städte werden aus Sicht der Experten aber wohl die letzten sein, in denen in der näheren Zukunft große Veränderungen zu erwarten sind. Denn hier ist das Flächenangebot knapp.